Gelassen nach der Lehrstunde

Düsseldorf · Das 2:4 gegen Argentinien hat bei Deutschland keine großen Spuren hinterlassen. Am Sonntag wartet in der EM-Quali in Dortmund Schottland. Dort wird die Welt wieder anders aussehen, verspricht Joachim Löw.

Ernüchterung beim Weltmeister: Nach dem bösen Erwachen beim 2:4 (0:2) der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in der Finalneuauflage gegen Argentinien hielt sich die Stimmung auf der Abschiedsfeier für die drei zurückgetretenen WM-Champions Philipp Lahm , Miroslav Klose und Per Mertesacker im szenigen Düsseldorfer Hafenviertel sichtlich in Grenzen.

Zwar weckte die emotionale Rede von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach bei der Ehrung der drei aus der Nationalmannschaft zurückgetretenen WM-Helden kurz nach Mitternacht noch einmal kurz Erinnerungen an die magische Nacht von Rio beim 1:0 gegen die Gauchos in Maracana, anschließend waren die aktuellen Nationalspieler mit ihren Gedanken aber ganz schnell beim nächsten Spiel. Denn mit dem Start in die EM-Qualifikation gegen Schottland beginnt für Manuel Neuer und Co. am Sonntag in Dortmund (20.45 Uhr/RTL) nach dem WM-Rausch wieder der Ernst des Lebens.

"Am Sonntag wird es von unserer Seite ein ganz anderes Spiel geben", versprach Bundestrainer Joachim Löw unmittelbar nach der Lehrstunde für seine ersatzgeschwächte Mannschaft den besorgten deutschen Fußball-Fans. Denn nicht nur die 51 132 Zuschauer in der ausverkaufte Düsseldorfer Arena, sondern auch über zehn Millionen Fans vor dem Bildschirm hatten eine über weite Strecken desolate deutsche Abwehr und eine an Harmlosigkeit kaum zu überbietende deutsche Offensive gesehen.

Nach 50 Minuten stand es bereits 0:4. Die Treffer erzielten Sergio Agüero (21.), Erik Lamela (40.), Federico Fernandez (47.) und der überragende Ángel Di María (50.). Andre Schürrle (52.) und der eingewechselte WM-Held Mario Götze (78.) verhinderten zwar noch ein Desaster, Schottlands Teammanager Gordon Strachan dürfte sich nach der wenig weltmeisterlichen Vorstellung der DFB-Auswahl aber eine Chance für Sonntag ausrechnen. "Die Tore sind viel zu einfach gefallen", kritisierte Torwart Manuel Neuer . Nach seinen ersten 45 Minuten als Kapitän hofft der Torwart, dass seine Vorderleute die richtigen Schlüsse aus dem verpatzten Saisonstart ziehen: "Das muss für uns nun ein Wachrüttler sein, um wieder in die Gänge zu kommen."

Davon geht Toni Kroos aber nicht aus. "Man sollte das nicht überbewerten. Wir wissen, dass es für den WM-Titel keine Pluspunkte gibt, und das wird man auch am Sonntag sehen", sagte der neue Real-Profi, der den Schotten nicht viel Hoffnung machte: "Es wird ein hartes Spiel werden gegen einen physisch starken Gegner. Aber wir werden uns in diesem Pflichtspiel anders präsentieren. Da wird man einen Unterschied feststellen können."

Der Unterschied sollte sich vor allem in der Viererkette bemerkbar machen, die gegen den Vize-Weltmeister teilweise einem aufgescheuchten Hühnerhaufen glich. Möglicherweise kehrt der angeschlagene Jerome Boateng in die Abwehr zurück, auch der junge Antonio Rüdiger könnte nach seinem gelungenen Kurzeinsatz gegen Argentinien zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz im DFB-Trikot kommen. Dortmunds neuer Kapitän Mats Hummels fällt dagegen für das Match in seinem "Wohnzimmer" aus, für das es noch mehrere Tausend Karten gibt.

Nicht dabei sein wird Julian Draxler, der sich gegen Argentinien gezerrt hat. Daher hat Löw gestern Sidney Sam von Schalke 04 für den Start des deutschen Fußball-Nationalteams in die EM-Qualifikation gegen Schottland nachnominiert. Der 26 Jahre alte Sam rückt demnach als Alternative für die Offensive in das Aufgebot. Draxler, der in Düsseldorf in der 33. Minute ausgewechselt wurde, soll aber weiter beim DFB-Team behandelt werden. Mit Beifallsstürmen bedankten sich die Fans bei ihrem sichtlich bewegten Tor-Liebling Miroslav Klose - unbarmherzige Pfiffe gab es dagegen gleich wieder für den Mann ohne Lobby. Mario Gomez war nach drei vergebenen Torchancen und einem missglückten Comeback im Vier-Sterne-Trikot des Fußball-Weltmeisters für Viele im Rund der Hauptschuldige für das 2:4 gegen Partyschreck Argentinien . "Ich glaube, es ist auch ein Stück weit mittlerweile normal", sagte der inzwischen 29-Jährige zu seiner Déjà-vu-Rolle als Sündenbock, gegen die ihn schon immer allein Tore zu schützen vermochten. Die Pfiffe bei der Auswechslung empfand Gomez selbst "gar nicht so dramatisch", wie er später in den Stadionkatakomben versicherte: "Viele haben vielleicht gedacht, dass ich ein Tor mache nach dieser langen Zeit. Dann hatte ich diese zwei großen Chancen und habe das Tor nicht gemacht. Es ist so im Fußball."

Joachim Löw mochte die Publikums-Reaktion nicht unkommentiert stehen lassen. Er tadelte die Kritiker: "Grundsätzlich geht es einfach nicht, dass ein Spieler der deutschen Nationalmannschaft ausgepfiffen wird, nur weil er die eine oder andere Chance liegen gelassen hat", sagte der Bundestrainer zum Foul der Fans, die er belehrte: "Mario hat sieben Monate verletzt gefehlt, hat ein einziges Pflichtspiel bestritten. Ich weiß das als Trainer richtig gut einzuschätzen, dass er nicht in Topform sein kann." Gomez abschließend: "Jetzt haben wir ein Spiel verloren, sicherlich auch, weil ich die beiden Bälle nicht reingemacht habe."

Der schönste Moment war vor dem Spiel. Tränen bahnten sich an, als Miroslav Klose nach 72 Länderspieltoren vom DFB in den Ruhestand verabschiedet worden war. Emotional war das, und bereits da war klar, dass das, was später auf dem Spielfeld folgen würde, nur schwächer werden kann.

Dass es dann so schlecht war, dass die Deutschen in Minute 50 gar mit 0:4 hinten lagen, war fast schon zum Heulen, wäre da nicht stets dieses gute Gefühl im Hintergrund am Beruhigen gewesen: "Wir sind Weltmeister. Alles wird gut", sagte es uns. Und nicht nur unser Gefühl sagte das - auch Bundestrainer Joachim Löw . Und tatsächlich gibt es keinen Grund, dieses Spiel überzubewerten. Es gibt aber auch keinen Grund, es gänzlich zu vergessen. Wertlos war es nicht. Denn es hat auch gezeigt, dass der zweite Anzug nach der WM nicht wirklich sitzt. Daran muss Löw noch arbeiten. Und das wird er tun. Ohne Klose - und ohne Emotionen.

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