Sensation im DFB-Pokal Eine magische Pokalnacht in Saarbrücken

Saarbrücken · Der FCS sorgte am Mittwochabend mit dem 2:1-Sieg gegen Bayern München für eine der größten Pokalsensationen der vergangenen Jahrzehnte – und für viele feuchte Augen.

 FCS-Fans und Spieler machten am St. Johanner Markt die Nacht zum Tag.

FCS-Fans und Spieler machten am St. Johanner Markt die Nacht zum Tag.

Foto: Stefan Regel/SZ

Mit hohlen Wangen blickte Thomas Tuchel ins Leere. Nach der 2:1-Pokalsensation des Fußball-Drittligisten 1. FC Saarbrücken am Mittwochabend in der zweiten Runde gegen seinen FC Bayern München wollte der millionenschwere Trainer nur noch weg. Es war die wohl größte Pokalsensation des FCS gegen den größtmöglichen Gegner, seit 23 Jahren waren die Bayern nicht mehr gegen einen Gegner unterhalb der 2. Liga ausgeschieden. „Nach so einem bitteren Abend ist nicht der Moment, um Vorwürfe zu machen. Es ist kein Zeitpunkt, um mit dem Finger aufeinander zu zeigen und alles in Frage zu stellen“, sagte Tuchel. In ihm schien es zu brodeln wie es vorher im mit 15 903 ausverkauften Ludwigspark. Dort war der viel diskutierte Rasen zwar tief, aber bespielbar.

100 000 Karten hätte der FCS für den kampf des David gegen den Goliath verkaufen können. Die Zuschauer, die eine Karte ergattert hatten, haben jetzt „ihr“ 1977. So wie heute ältere Saarländer vom 6:1 des FCS gegen die Bayern erzählen, werden noch in Jahrzehnten die anwesenden Anhänger von diesem 1. November 2023 ihren Kindern und Enkeln erklären. Es war eine magische Nacht, es wurde Fußballgeschichte geschrieben. 862 500 Euro verdienten die Blau-Schwarzen mit dem Einzug ins Achtelfinale des DFB-Pokals. Davon abzuziehen ist wohl eine vierstellige Summe aufgrund des wiederholten Abbrennens von Pyrotechnik in der FCS-Fankurve „Virage Est“. Das Achtelfinale wird an diesem Sonntag um 15.45 Uhr im ZDF in der Halbzeit des Topspiels der Frauen-Bundesliga zwischen dem FC Bayern München und dem VfL Wolfsburg ausgelost. In der Trommel liegen mit Zweitligist 1. FC Kaiserslautern (3:2 gegen Bundesligist 1. FC Köln) und Regionalligist FC Homburg (2:1) auch zwei Erzrivalen des FCS. Theoretisch könnte die Paarung auch FCS gegen FCH im Ludwigspark heißen. In den ersten beiden Runden gab es Sensationen en masse, nur noch sechs von 18 Bundesligisten sind im Rennen, das gab es zuletzt 1992/93, in der letzten Bundesliga-Saison des FCS.

Dort standen die Fans schon lange vor dem Spiel dicht an dicht. Nach einem Fanmarsch ab 17 Uhr vom Landwehrplatz aus standen die härtesten Anhänger in blauen und schwarzen Überzieh-Capes in den Fanblöcken. Und sorgten für eine Stimmung, die Kommentatoren weltweit bei der Übertragung oder in Zusammenfassungen lobten. Sie bejubelten jeden gewonnen Zweikampf, jeden Einwurf oder Freistoß. Nach dem frühen Rückstand und dem 1:1-Ausgleich kurz vor der Pause wurden die Gesichter der FCS-Fans immer zufriedener. Bis um 22.40 Uhr der Park Kopf stand. Marcel Gaus’ Tor zum 2:1 in der sechsten Minute der Nachspielzeit öffnete die Tore in eine Art emotionales Disneyland. Fremde Menschen umarmten sich, mussten sich erst mal kneifen, trunken vor unbändiger Freude. Der Verein, der seit seiner Gründung 1903 schon mehr als Axel Schulz gegen Foreman einstecken musste, der im Sommer auf bitterste Art und Weise den Zweitliga-Aufstieg verpasst hatte, stand plötzlich auf der Sonnenseite des Lebens. Alle Unbillen des Fußballgottes, alle Leiden - vergessen. Ekstase war angesagt. Die Fans, die ihre Malstatter in der 1. und 5. Liga, nach Mönchengladbach und Mayen begleitet hatten, freuten sich ungläubig, fast wie kleine Kinder, nachdem sie im Fanblock vor Freude in Nachspielzeit wie Delphine im Meer umhergesprungen waren.

. Auto-Korsos sorgten für Hupkonzerten und schlängelten sich bis tief in die Nacht durch die Innenstadt. „Das ist Wahnsinn“, jubelte FCS-Fan Alexander Grindel: „Für mich hat sich ein Traum erfüllt. Ich habe immer an ein Pokalwunder geglaubt, und jetzt haben wir gegen eine der besten Mannschaften der Welt gewonnen.“ Alexander Schwab vom Bayern-Fanclub Bohlingen am Bodensee war dagegen bedient und meinte: „Der FCB hätte von Beginn an mit dem besten Team auflaufen müssen. Immer nur Schonen, Schonen, Schonen, das geht nicht. Das ging in die Hose. Im Pokal gibt es keine klaren Sachen mehr.“ In der ARD sahen 5,612 Millionen Menschen das Spiel und sorgten für die bisher beste TV-Quote des diesjährigen DFB-Pokals. Sie sahen ein Stadion mit vier unausgebauten Ecken, die die Fans „Kuhweiden“ nennen. Die mit Stehplätzen zu belegen, wird wohl nicht in Bälde passieren, liest man zwischen den Zeilen. Die Stadt äußerte sich kürzlich zu einem „nachhaltigen Ausbau“, dabei liegt der Fokus darauf, das Stadion zweitligatauglich zu machen. Das heißt, zuerst müsste auch der Unterrang der Gegengerade, der sogenannten Herbert-Binkert-Tribüne, überdacht werden, weil die Deutsche Fußball Liga ausnahmslos überdachte Plätze im Profibereich vorsieht.

Zur Veranschaulichung: Der Gesamt-Marktwert des FCS-Kaders beträgt laut der Seite Transfermarkt.de rund 6,6 Millionen Euro – der Bayern-Kader ist rund 950 Millionen Euro wert. Nach Abpfiff liefen einige FCS-Fans auf den Platz, einer verhöhnte Bayern-Torwart Manuel Neuer, andere wollten nur feiern. Die Saarbrücker Mannschaft feierte zuerst bei ohrenbetäubender Ballermann-Musik in der Kabine, ehe es in der Nacht an den mit hunderten Fans bevölkerten St. Johanner Markt ging. In der angesagten „Fuchs Bar“, wo Torwart Tim Schreiber manchmal auflegt, befolgten die Profis den „Feierbefehl“ von Trainer und Manager Rüdiger Ziehl. Zu tanzbarer Musik mischten sie sich unter die Fans, schrieben Autogramme, ließen sich tätscheln und umarmen, machten bei Selfies mit und hüpften zu „Will Grigg’s on fire“ so hoch, dass bei Tim Civeja die Lockenpracht umherflog. Kapitän Manuel Zeitz sah auch um halb drei noch so aus, wie er sich nach dem Spiel fühlte. „Es fühlt sich surreal an“, hatte der erfahrene Spielführer, ein echter Ur-Saarbrücker geäußert.

 Die FCS-Helden feierten in der „Fuchs Bar“ die Pokal-Sensation.

Die FCS-Helden feierten in der „Fuchs Bar“ die Pokal-Sensation.

Foto: Stefan Regel/SZ
1. FC Saarbrücken: FCS schafft 2:1 Sensation gegen Bayern München
Foto: Stefan Regel

Während die erst am Spieltag angereisten Bayern nach Ensheim zum Flieger mussten, musste Joshua Kimmich nach vollbrachter Dopingprobe noch im Auto durch den Saarbrücker Jubel und wurde prompt per Handyvideo erwischt. 100-Millionen-Euro-Mann Harry Kane hatte Tuchel übrigens nicht eingewechselt, um ihn in der Verlängerung zu bringen. Beim FCS, denn so kennen ihn die Fans, gilt es jetzt, die Euphorie in den Alltag mitzunehmen, am Samstag geht es in der 3. Liga zum SV Sandhausen. 2020 verlor der FCS nach dem gewonnen Pokal-Viertelfinale gegen Fortuna Düsseldorf Tage später in der Regionalliga Südwest beim FC Astoria Walldorf. Liebe und Leiden, so ist man es seit 1903 gewöhnt, ganz oben und ganz unten. Und ganz oben. In 100 Spielen gegen Bayern gewinnt man vielleicht einmal, meinte Gaus. Dieser Tag war nun am 1.11.. Und damit musste auch Thomas Tuchel leben.