Fußball Die Legende wider Willen wird 70

Saarbrücken · Dieter Ferner feiert am Mittwoch runden Geburtstag. Der Vizepräsident ist für die Fans des 1. FC Saarbrücken eine Ikone.

 2010 erreichte Dieter Ferner den Zenit seiner Popularität. Nach dem Spiel beim Bonner SC feierten die Fans des 1. FC Saarbrücken den Trainer, der zwei Aufstiege in Folge schaffte. Der Sprung in die 3. Liga kam überraschend – und Ferner musste wegen der fehlenden Fußballlehrer-Lizenz aufhören.

2010 erreichte Dieter Ferner den Zenit seiner Popularität. Nach dem Spiel beim Bonner SC feierten die Fans des 1. FC Saarbrücken den Trainer, der zwei Aufstiege in Folge schaffte. Der Sprung in die 3. Liga kam überraschend – und Ferner musste wegen der fehlenden Fußballlehrer-Lizenz aufhören.

Foto: Eibner-Pressefoto

Die Legende lacht. Wenn Dieter Ferner kurz vor seinem 70. Geburtstag an manches Erlebnis mit dem heute in der Fußball-Regionalliga spielenden 1. FC Saarbrücken denkt, muss er oft schmunzeln. Aber obwohl er für alle Fans des blau-schwarzen Traditionsvereins eine Ikone ist, möchte er sich selbst nicht in diese Legenden-Schublade stecken lassen. Auch wenn die Medien ihn oft so bezeichnen.

„Ich sehe bei diesem Verein nur eine Legende: Herbert Binkert“, sagt der ehemalige Bundesliga-Torwart. Binkert ist heute 95 Jahre alt, war Saar-Nationalspieler, Teil der FCS-Wunderelf aus den 50er-Jahren. Wäre nicht die Sonderrolle des Saarlandes gewesen, hätte er vielleicht beim „Wunder von Bern“ 1954 im deutschen Team gespielt. „Er war später Trainer bei fast allen saarländischen Traditionsvereinen und ist überall ohne Streit weggegangen. Und aus jedem Gespräch mit ihm habe ich etwas mitgenommen“, sagt Ferner.

Akrobat schön: Als Torwart war auf Dieter Ferner stets Verlass. Auch beim 6:1 gegen Bayern München stand er im Tor des 1. FC Saarbrücken.

Akrobat schön: Als Torwart war auf Dieter Ferner stets Verlass. Auch beim 6:1 gegen Bayern München stand er im Tor des 1. FC Saarbrücken.

Foto: EliaScan/Hartung

Er selbst stammt aus dem bergischen Radevormwald, ist mittlerweile aber echter Saarländer – und unglaublich populär. Nicht nur wegen seiner bescheidenen, bodenständigen und direkten Art. „Ich war Teil der einzigen FCS-Mannschaft, die den Klassenverbleib in der Bundesliga geschafft hat. Und bin später als Trainer zwei Mal hintereinander von der Oberliga in die 3. Liga aufgestiegen“, mutmaßt die Legende wider Willen.

Ihm am Mittwoch zum 70. Geburtstag zu gratulieren, könnte schwierig werden. Er ist in Urlaub, auf Tauchstation. Irgendwo, wo die Sonne scheint. Wie schon beim 50., 60. oder 65. Geburtstag. „Ich verstehe nicht, warum man feiern soll, dass man ein Jahr älter geworden ist“, sagte er vor Jahren einmal.

  Dieter Ferner ist ein emotionaler Typ. Das war auch bei seiner Verabschiedung 2012 durch FCS-Präsident Paul Borgard (mittlerweile verstorben) zu sehen.

Dieter Ferner ist ein emotionaler Typ. Das war auch bei seiner Verabschiedung 2012 durch FCS-Präsident Paul Borgard (mittlerweile verstorben) zu sehen.

Foto: Wieck

Der heutige FCS-Vizepräsident hat 62 Bundesliga-Spiele bestritten, 166 Zweitliga-Spiele, dazu zwei Partien für die deutsche B-Nationalmannschaft. Und mit 70 Jahren kann man schon mal Bilanz ziehen. Sein Fazit fällt positiv aus. „Wenn man so zurückschaut, bin ich zufrieden. Viel ändern würde ich nicht“, sagt der Ex-Profi, der erst mit 17 Jahren vom Feldspieler zum Torwart gemacht wurde. Nur eine Sache fuchst ihn. „Ich bedauere, dass ich nie zu einem ganz großen Club gegangen bin“, sagt Ferner und erinnert sich an das Jahr 1977.

Nach Stationen bei Bayer Leverkusen und Rot-Weiß Oberhausen war Ferner 1975 nach Saarbrücken gekommen. Mit 28 Jahren bekam er im Frühjahr 1977 ein Angebot des 1. FC Köln. Der „Effzeh“ aus dem Rheinland hatte damals eine ungleich größere Strahlkraft als heute. „Ich saß schon im Auto und wollte nach Köln fahren, um dort zu unterschreiben“, erinnert sich Ferner: „Am Ludwigsbergkreisel habe ich umgedreht, bin zurück nach Hause gefahren und habe in Köln angerufen und abgesagt. Heute gibt es ja Berater für Fußball-Profis, so einer hätte mir wahrscheinlich in den Arsch getreten.“ Ferner gefiel es beim FCS, er verlängerte seinen Vertrag. Eine Eigenart ließ sich „Barry“, so sein Spitzname, mehrfach sogar in die Vereinbarungen reinschreiben: Bei Auswärtsspielen wollte er immer ein Einzelzimmer haben.

Lange trainierte Ferner, hier mit Thomas Esch, den FCS II.

Lange trainierte Ferner, hier mit Thomas Esch, den FCS II.

Foto: rup/Ruppenthal

Es herrschte eine große Euphorie in jenen Wochen, in einem legendären Spiel schlugen die Saarbrücker im ausverkauften Ludwigspark Bayern München mit 6:1, schafften später den Liga-Verbleib. Und wie es so oft im Leben kommt: „Ein Jahr später sind wir mit dem FCS aus der Bundesliga abgestiegen. Und auf der Rückfahrt haben sie im Radio gebracht, dass Köln gerade deutscher Meister geworden war.“

1980 verließ Ferner den FCS, nach einem Jahr beim 1. FC Bocholt wechselte er zu Chicago Sting in die US-amerikanische Profiliga. Und wurde 1981 als entscheidender Mann im Shootout durch ein 1:0 gegen Cosmos New York US-Meister. Shoot-out heißt, ein Spieler läuft aus 25 Metern auf den Torwart zu und muss binnen acht Sekunden abgeschlossen haben.

In Chicago lernte Ferner, damals mit einem beeindruckenden dunklen Schnauzbart, auch seine Frau Pamela kennen. Mit der Amerikanerin hat er zwei Kinder. Beide erbten das Sporttalent, standen in Leistungskadern. Heute stehen Christopher (Trampolinturnen) und Brigitta (Gymnastik) am Ende ihres Studiums. Sie studierte im Saarland Lehramt, ist jetzt im Referendariat und Trainerin beim Saarländischen Turnerbund, er studiert in Wien Journalistik, Kommunikation und Politikwissenschaft.

1983 wechselte Ferner aus den USA für ein Jahr zurück nach Oberhausen, beendete seine Karriere und betrieb in den USA eine Fußballhalle. Es dauerte aber nicht lange, da zog es Ferner wieder ins Saarland, wo er hinter der Grenze in Alsting ein Haus besaß. Er arbeitete beim Statistischen Landesamt. Und in den folgenden 30 Jahren trainierte er Amateur-Mannschaften wie den SC Altenkessel, seine erste Station, den FC Kutzhof, Borussia Neunkirchen oder zwei Mal den SC Friedrichsthal, der 2015 seine bisher letzte Station war. Beim FCS war er aber immer präsent – und sei es als Fan auf der Tribüne. Etwa 15 Jahre lang hatte er auch die A-Jugend oder die zweite Mannschaft damals in der Oberliga betreut.

In der Oberliga begann 2008 auch ein märchenhaftes Kapitel, das einen großen Teil seines Rufs als Heilsbringer ausmacht. Nachdem der FCS als Tabellenvierter die Qualifikation für die neue Regionalliga verpasst hatte, übernahm Ferner den Neuaufbau. Was folgte, war kaum zu erwarten. 2009 der Aufstieg in die Regionalliga mit großem Vorsprung auf die Konkurrenz. Und 2010 der Aufstieg in die 3. Liga – übrigens nach zwei Niederlagen zum Auftakt, darunter ein 0:6 gegen die SV Elversberg im ersten Saisonspiel. „Wir waren damals nicht unbedingt fußballerisch die beste Mannschaft. Aber wir waren immer in der Lage, die entscheidenden fünf Prozent mehr als der Gegner in die Waagschale zu werfen“, erinnert sich Ferner, der seit 2012 in Güdingen wohnt. Der Jubel war riesengroß. „Ungeplante Aufstiege sind halt die schönsten.“

Vor der ersten Drittliga-Saison musste er als Trainer aufgrund der fehlenden Lizenz als Fußball-Lehrer aufhören. Eine Entscheidung, die ihm und den Fans bitterlich wehtat. Er tat es klaglos – zum Wohle des Vereins. Das stand bei ihm stets im Vordergrund: ein weiterer Puzzlestein zu seiner Beliebtheit. Genau wie seine Emotionalität. Auf Außenstehende bisweilen knurrig wirkend, können Ferners Augen bei großen Erfolgen schon mal feucht werden. „Ja, ich bin schon emotional“, sagt er: „Was ich zu meinen Spielern immer gesagt habe: Fußball hat was mit Emotionen zu tun. Wenn ich emotionslos bin, kann ich nicht gut Fußball spielen.“ Klar müsse man als Trainer das Emotionale etwas runterfahren, insbesondere an der Außenlinie. „Im Alter wird man souveräner. Da lässt man auch mal eher fünf gerade sein“, blickt er auf seine Entwicklung zurück. Auf die Frage, wann er im Fußball aufhört, schmunzelt er und meint: „Wenn ich mich nicht mehr aufrege.“

Ferner wurde 2010 Sportdirektor. Half weiter bei der Zusammenstellung der Mannschaft. Und hatte fast immer ein gutes Händchen. Ob er Menschenkenntnis hat? „Ich glaube schon“, sagt Ferner. Die Spieler, die er verpflichtete, galten unter Fans und Experten als gute Charaktere, die auch an einem schlechten Tag eins immer bis zum Ende machten: laufen und kämpfen. Fanrufe wie „Wir wollen euch kämpfen sehen“, gab es bei Ferners Teams selten.

2012 verabschiedete er sich vom FCS. Er wollte wieder Trainer sein. Nur vier Jahre später kehrte er zurück, wurde Vizepräsident und Leiter der AH-Abteilung. „Der FCS ist einfach mein Verein“, sagt er auf die Frage, was der Club für ihn bedeutet. Drei Mal in der Woche kommt er in die Geschäftsstelle, telefoniert fast jeden Tag mit dem sportlichen Leiter Marcus Mann. Ferners Urteil hat höchstes Gewicht.

Nach dem verpatzten Beginn der aktuellen Saison („Wir sind unter unseren Möglichkeiten gestartet“) sind in der Rückrunde fünf Punkte auf Spitzenreiter Waldhof Mannheim aufzuholen. „Wir müssen jetzt an die letzten sieben, acht Spiele anknüpfen“, hat Ferner den Aufstieg in die 3. Liga noch nicht abgehakt. Das Scheitern in der letzten Relegation gegen 1860 München, obwohl der FCS im Grunde das bessere Team war, war für ihn „einer der bittersten Momente bisher beim FCS. Wenn das ein Gegner gewesen wäre, der uns an die Wand gespielt hätte? Aber so“, sinniert er. Und wo sieht er den FCS in ferner Zukunft? „Fernziel müsste irgendwann mal die 2. Liga sein“, sagt er.

Auch mit 70 ist Dieter Ferner noch fit, drei Mal die Woche geht er ins Fitnessstudio. „Die Einschläge kommen näher“, weiß er, dass in seinem Alter gute Gesundheit nicht jedem beschieden ist. Zumal, wenn jemand wie er eine „On-off-Beziehung“ zu Zigaretten führt. Immerhin: Seit Neujahr ist Ferner mal wieder rauchfrei.

Glück verspürt Ferner, „wenn ich morgens aufstehe und die Sonne scheint. Wenn ich danach mit meinem Hund Lucky rausgehe“. Seinem Namen machte der fünfjährige Border Collie übrigens schon alle Ehre. Vor dem Geschäft von FCS-Altstar Albert Kempf rannte er einst über die viel befahrene Brebacher Landstraße zu einem anderen Hund – und blieb unverletzt.

Glücklich kann Ferner auch sein, wenn er sich ans Jahr 2004 erinnert. Er erlitt eine Hirnblutung. Motorische oder sprachliche Ausfälle blieben nicht zurück. „Es war an Christi Himmelfahrt. Es kam ohne Vorwarnung, von einer Minute auf die andere. Ich hatte Kopfschmerzen, als ob mir jemand mit einer Pistole in den Kopf geschossen hätte“, erinnert er sich. Ein Arzt gab ihm nach einer „Nacht des Schreckens“ Infusionen, Ferner leitete danach das Training der FCS-Amateure, fuhr mit zum Auswärtsspiel. Drei Tage später kam er in die Notaufnahme, lag 14 Tage auf der Neurologie. Der Schreck veränderte ihn ein halbes Jahr, danach kam wieder der Alltag. „Und das alles ist zu der Zeit passiert, als ich nicht geraucht habe“, sagt er und lacht.

Ob ein Leben mit dem FCS und dessen ständigen Aufs und Abs wohl gesund sein kann? „Wenn man immer Meisterschaften und Titel feiern möchte, dann ist man als Fan des FC Bayern München richtig. Wenn man alle Facetten des Fan-Seins miterleben will, ist man beim FCS richtig“, sagt Ferner. Und wenn man so richtig viel miterlebt hat, dann kann man sogar eine Legende werden. Auch wenn man keine sein will.

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