FC Bayern vor Zerreißprobe

München · Die Demütigung von Real Madrid stellt den FC Bayern vor eine unsichere Zukunft. Trainer Pep Guardiola will sich und seinem System auf jeden Fall treu bleiben – seiner aktuellen Mannschaft aber nur bedingt.

 Der Rekordtorschütze der Champions League feiert sich selbst: Cristiano Ronaldo.

Der Rekordtorschütze der Champions League feiert sich selbst: Cristiano Ronaldo.

 Pep Guardiola tröstet seinen enttäuschend spielenden Star Franck Ribéry. Fotos: Hoppe/dpa

Pep Guardiola tröstet seinen enttäuschend spielenden Star Franck Ribéry. Fotos: Hoppe/dpa

Die Aufräumarbeiten bei Bayern München begannen 42 Stunden nach dem schlimmsten Debakel in der Europapokal-Geschichte. Gestern Nachmittag versammelte Trainer Pep Guardiola seine nach dem 0:4 (0:3) im Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen Real Madrid von ihm selbst angezählten Stars, um sie auf das Saisonfinale mit dem DFB-Pokal-Endspiel am 17. Mai gegen Borussia Dortmund einzuschwören.

Was genau er den auf brutalst mögliche Art von ihrem Thron gestürzten Fußball-Königen zu sagen hatte, drang zunächst nicht nach außen - "kein öffentliches Training", hieß es. Die Öffentlichkeit muss sich bis heute um 11 Uhr gedulden, um von Guardiola zu erfahren, wie er den Umbruch beim FC Bayern herbeiführen will.

Dass er nötig ist, wurde bei der Demütigung gegen Madrid offensichtlich. Und dass Guardiola ihn plant, ließ er selbst bereits durchblicken. Es ging auf Mitternacht zu, als er am Dienstag ein paar Sätze mit großer Sprengkraft sagte. Der zornige Spanier stellte öffentlich die Frage, ob er in München für seine Idee von Fußball die richtigen Spieler habe.

Nur vier Monate nach dem erfolgreichsten Jahr der Vereinsgeschichte mit fünf Titeln und nur einen Monat nach dem frühzeitigsten Gewinn der Meisterschaft droht dem FC Bayern eine Zerreißprobe. Natürlich müsse er sich überlegen, ob sein Ballbesitz-Fußball "mit diesen Spielern das beste Rezept ist", sagte Guardiola. Die Antwort darauf gab er sich gleich selbst: "Ich kann nicht ändern, was ich liebe. Und ich liebe es, den Ball zu haben." Statt des Systems muss also das Personal gewechselt werden.

Dessen sind sich die Bosse, die Guardiola weiter vorbehaltlos stützen, bewusst. Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge kündigte an, der Coach habe Einfluss bei Spielerverpflichtungen, Finanzvorstand Hans-Christian Dreesen versicherte gar, Guardiola werde seine Wünsche, so er sie habe, erfüllt bekommen.

Mit vier Toren Unterschied hat der FC Bayern im Europapokal schon ein paar Mal verloren - zu Hause aber noch nie. Dass es diesmal so weit kam, nahm Guardiola auf seine Kappe: Seine Mannschaft habe das Spiel deshalb "nicht kontrolliert, weil das der Trainer nicht gut gemacht hat". Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos auf der Doppelsechs - "ein Riesenfehler". Die Folge: keine Kontrolle. Nie hat sein Lieblingsschüler Thiago, der gegen Dortmund voraussichtlich wieder dabei ist, so gefehlt.

Doch das alleine war es nicht. Die Treffer durch Sergio Ramos (16., 20. Minute) für die in jedem Detail besseren Königlichen fielen nach ruhenden Bällen. Die hilflosen Münchner wurden danach einmal ausgekontert und einmal düpiert - beide Male traf Cristiano Ronaldo (34., 90.), mit 16 Treffern in einer Champions-League-Saison nun Rekordtorschütze. Madrid ist die Fußball-Hauptstadt Europas. Mit Real und Atlético zogen erstmals in der Geschichte des Europacups zwei Vereine aus derselben Stadt ins Finale um die wichtigste Clubtrophäe des Kontinents ein (24. Mai). "Madrid gewinnt die Champions League", titelte die Zeitung "El Mundo". Atlético errang am Mittwochabend mit einem 3:1-Sieg beim FC Chelsea einen historischen Erfolg: Der Club aus den Arbeitervierteln im Süden der spanischen Hauptstadt steht erstmals seit 40 Jahren wieder im Endspiel des europäischen Elitewettbewerbs.

"Atlético spielte besser und steht verdient im Finale", konstatierte sogar Real-Trainer Carlo Ancelotti: "Es gibt keinen Favoriten. Das Endspiel wird eine ausgewogene Partie." Die Real-Anhänger hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass ihnen der FC Chelsea als Gegner lieber gewesen wäre. Die Königlichen wissen, dass der kleine Nachbar in Endspielen ein äußerst unangenehmer Gegner ist. Im spanischen Pokalfinale standen die Madrider Clubs sich fünf Mal gegenüber, vier Mal setzte sich Atlético durch - zuletzt vor einem Jahr im Bernabéu-Stadion.

Auf dem Weg ins Finale schalteten die Rot-Weißen die vier früheren Europacupsieger FC Porto, AC Mailand, FC Barcelona und FC Chelsea aus, verloren kein einziges Spiel. Als Vater des Erfolgs feierten die Fans Trainer Diego Simeone. "Die Elf ist sein Meisterwerk", konstatierte das Sportblatt "As". Nach dem Sieg in London trugen die Simeone-Schützlinge T-Shirts mit einer Aufschrift, die das Denken des "Fußballautors" Simeone genau umschreibt: "Gehe in jedes Spiel so, als wäre es Dein letztes!" Der Argentinier wollte in London von großen Jubelarien nichts wissen, sondern dachte schon an die nächsten Aufgaben. "Ich glaube nicht, dass dies der Höhepunkt meiner Karriere ist", sagte er. Am Sonntag will er mit Atlético bei UD Levante einen weiteren Schritt zum Gewinn der spanischen Meisterschaft tun.

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