Ex-Funktionär bekennt: Es gab Staats-Doping im DDR-Sport

Berlin. Fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung hat Thomas Köhler (Foto: dpa) als erster Top-Sportfunktionär das Staats-Doping im DDR-Sport zugegeben sowie Doping von 16-Jährigen eingestanden

Berlin. Fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung hat Thomas Köhler (Foto: dpa) als erster Top-Sportfunktionär das Staats-Doping im DDR-Sport zugegeben sowie Doping von 16-Jährigen eingestanden. In seinem Buch "Zwei Seiten der Medaille", das morgen im Handel erscheint, bricht der frühere zweite Mann des DDR-Sports sein Schweigen und unterstellt auch Topathleten auf insgesamt 232 Seiten eine Mitwisserschaft. "Alle Mittel wurden im Einvernehmen mit dem Sportler verabreicht", schreibt Köhler. Jens Weißflog, dreimaliger Olympiasieger und Weltmeister im Skispringen, sagt dazu: "Wenn es Köhlers Meinung ist, dass alle gedopt und es gewusst haben, dann kann ich nur von mir sagen, dass ich davon nichts wusste. Ich habe zu DDR-Zeiten gewonnen und auch nach der Wiedervereinigung - und das immer ohne Doping. Das haben unzählige Tests bewiesen. Köhlers Aussagen hören sich so an, als wolle er sich aus der Mitverantwortung stehlen." Für Ex-Radsportler Uwe Trömer ist Köhler nicht weit genug gegangen: "Herr Köhler gibt einiges zu, er gibt aber nicht genug zu. Ich hätte den Hut vor ihm gezogen, wenn er all die Scheiße, die da gelaufen ist, benannt hätte." Beifall kam von Thomas Bach, dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB): "Der DOSB hat bekanntlich die wissenschaftliche Aufarbeitung des Dopings in Deutschland - und zwar ausdrücklich in Ost und in West - in Auftrag geben lassen. Weitere Aussagen wie die von Herrn Köhler könnten diese Aufarbeitung fördern." Weil Anfang der 70er Jahre die Chancengleichheit für DDR-Sportler im Ost-West-Vergleich nicht mehr gewährleistet gewesen sei, "entschied sich die damalige Sportleitung für den Einsatz ausgewählter anaboler Substanzen in einer Reihe von Sportarten", schreibt Rodel-Olympiasieger Köhler, zudem ehemaliger Vize-Präsident des Deutschen Turn- und Sportbunds. Die DDR-Verantwortlichen hätten sich für eine "sachgerechte und medizinisch kontrollierte Anwendung ausgewählter Dopingmittel" entschieden. "Die Vergabe von Medikamenten erfolgte unter strengster Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht. Schwere gesundheitliche Zwischenfälle oder sogar Todesfälle, die in anderen Ländern durchaus vorkamen, passierten in der DDR nicht", behauptet Köhler, obwohl er das längst widerlegt wurde.Der Sportfunktionär räumt auch ein, dass Minderjährige gedopt wurden: "Wenn Sportler bereits ab dem 16. Lebensjahr beteiligt wurden, geschah das vor allem unter Beachtung ihres biologischen Reifegrades." Dies sei vor allem im Schwimmen passiert. "Kinder-Doping war in der DDR offiziell verboten. 16-Jährige sind keine Kinder, sondern Jugendliche", erklärte er. Und: "Informationen, die darauf hindeuten, dass Anabolika an Spartakiade-Sportler vergeben wurden, überraschten mich. Über derartige Verletzungen unserer Nachwuchskonzepte hatte ich keine Kenntnisse und hätte diese auch nicht geduldet", schreibt er. dpa

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