Fußball-WM in Russland Euphoriewelle schwappt über die Insel

Moskau · Engländer überwinden beim 4:3 gegen Kolumbien ihr Elfmeter-Trauma. Danach kennt der Jubel keine Grenzen mehr.

 Nach dem entscheidenden Elfmeter von Eric Dier stürmen die englischen Spieler freudetrunken los. Großen Anteil am Sieg hatte Stürmer Harry Kane (3. v. l.). Er verwandelte in der regulären Spielzeit und im Elfmeterschießen zwei Strafstöße souverän und führt mit sechs Treffern die WM-Torschützenliste an.

Nach dem entscheidenden Elfmeter von Eric Dier stürmen die englischen Spieler freudetrunken los. Großen Anteil am Sieg hatte Stürmer Harry Kane (3. v. l.). Er verwandelte in der regulären Spielzeit und im Elfmeterschießen zwei Strafstöße souverän und führt mit sechs Treffern die WM-Torschützenliste an.

Foto: dpa/Lui Siu Wai

In England sangen freudetrunkene Fans die ganze Nacht voller Inbrust ihre Hymne „Football‘s coming home“. Die Presse jubelte über das „Miracle in Moscow“ („Das Wunder von Moskau“). Und Edelfan Prinz William war außer sich vor Freude: Der erlösende Sieg über das nationale Trauma hat das Mutterland des Fußballs in einen kollektiven Freudentaumel versetzt – die Elfmeter-Helden soll diese Euphoriewelle nun bis ins WM-Finale tragen. „Ich bin so stolz. Es ist eine große Nacht für England“, schwärmte der strahlende Kapitän Harry Kane nach dem Einzug ins Viertelfinale, abgekämpft und überglücklich: „Es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Aber wir haben mehr Glauben als je zuvor.“

Den Glauben an diese junge Mannschaft und den zweiten WM-Triumph nach 1966 teilen nach dem Krimi gegen Kolumbien (4:3 i.E., 1:1 n.V.) selbst die so kritischen Medien auf der Insel. „Es gibt kein Limit für das, was diese Mannschaft erreichen kann“, schrieb die Times und nannte das denkwürdige Drama im Moskauer Spartak-Stadion einen „Sieg für 23 Männer, eine Katharsis für ein gesamtes Land“.

Die Fans in England konnten ihr Glück kaum glauben. Nie zuvor hatten die Three Lions ein Elfmeterschießen bei einer WM gewonnen. Zuletzt hatte ein englisches Team 1996 im EM-Viertelfinale beim Nervenspiel vom Punkt gesiegt. Die Daily Mail vermutete daher: „Die Explosion der Erleichterung muss bis ins All zu hören gewesen sein.“

Auch der Vater des Erfolges brüllte seine Freude über die „History Boys“ (The Sun) mit einem Urschrei heraus. Team-Manager Gareth Southgate, mit seinem verschossenen Elfmeter im Halbfinale der Heim-EM 1996 gegen Deutschland selbst mitverantwortlich für „22 Jahre der Schmerzen“ (Daily Express), hatte das Team mit monatelangem Spezialtraining auf diesen Moment vorbereitet. Southgate schob schon vor sechs Jahren ein umfassendes Interventionsprogramm an, bei dem ein Forschungsteam alle Erkenntnisse rund um das Nervenspiel vom Punkt sammelte. Die Spieler mussten sich psychometrischen Tests unterziehen und trainierten seit März (!) Elfmeter. Sportpsychologen vermittelten „Strategien für den Umgang mit Stress“ wie den langen Weg aus dem Mittelkreis zum Punkt.

Nach dem Spiel platzte Southgate beinahe vor Stolz. „Es ist ein besonderer Moment für dieses Team, für die ganze Nation. Er gibt den nächsten Generationen hoffentlich den Glauben, dass alles möglich ist“, sagte der 47-Jährige, „diese jungen Spieler leben das vor“.

Weil Kolumbiens Yerry Mina mit einem Last-Minute-Kopfballtor (90.+3) Englands Führung durch Kane (57., Foulelfmeter) ausgeglichen hatte, musste das von vielen Fouls und Unsportlichkeiten überschattete Duell vom Punkt entschieden werden. Neben Eric Dier, der den entscheidenden Elfmeter verwandelte, machte sich Jordan Pickford unsterblich. Ausgerechnet Pickford. Den Torhüter des FC Everton hatten die Medien aufgrund seiner verhältnismäßig geringen Größe von 1,85 Metern als schwächstes Glied des Teams ausgemacht. „Ich war überrascht, dass er den halten konnte bei seiner Körpergröße“, witzelte Southgate genüsslich. „Ich habe Kraft und Beweglichkeit“, sagte der 24-jährige Pickford grinsend, „es ist mir egal, dass ich nicht der größte Torhüter bin.“

Der Elfmeter-Krimi lockte in dem 53 Millionen Einwohner zählenden Land so viele Zuschauer vor die Fernsehschirme wie seit sechs Jahren nicht. In der Spitze 23,8 Millionen verfolgten das Spiel, das entsprach einem Marktanteil von 81 Prozent. Auch in der ARD schauten 12,48 Millionen Zuschauer (Marktanteil 45,0 Prozent) zu.

 Held des Abends: Torwart Jordan Pickford hielt den Elfmeter von Carlos Bacca, zudem trafen die Kolumbianer einmal die Latte.

Held des Abends: Torwart Jordan Pickford hielt den Elfmeter von Carlos Bacca, zudem trafen die Kolumbianer einmal die Latte.

Foto: dpa/He Canling

Als nächstes wartet nun am Samstag (16 Uhr/ARD) in Samara Schweden, eines der großen Überraschungsteams des Turniers. Bei aller Euphorie begegnet Southgate den Außenseitern aus Skandinavien mit viel Respekt: „Sie wurden unterschätzt. Ich bin sicher, es wird verdammt schwierig, gegen sie zu spielen.“ Der Rückhalt aus der Heimat wird dann wieder da sein – auch der royale. „Ihr sollt wissen, dass das ganze Land am Samstag hinter Euch steht“, ließ Prinz William per Twitter ausrichten.

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