Eine Rasselbande für die Tour de France

Berlin · Bundestrainer Joachim Löw hat 27 Spieler in seinen vorläufigen Kader für die EM in Frankreich berufen. Mit Julian Brandt, Joshua Kimmich und Julian Weigl sind drei Neulinge dabei, mit Leroy Sané ein weiterer Junger.

24, 25, 26, 27 - allein ihre Rückennummern beweisen, dass Julian Brandt, Joshua Kimmich, Leroy Sané und Julian Weigl kämpfen müssen. Das Quartett bildet die Rasselbande im vorläufigen, 27-köpfigen EM-Kader von Joachim Löw . Der Bundestrainer deutet mit diesem Vierer die Zukunft seiner Weltmeister-Mannschaft an - bis 31. Mai können sie Löw nun zeigen, dass sie schon bei der EM in Frankreich (10. Juni bis 10. Juli) die Gegenwart sind. "Die Freude habe ich bei den Anrufen durch das Telefon gespürt", berichtete Löw.

Beste Chancen werden dabei dem Schalker Sané (20) eingeräumt, dessen Berufung am wenigsten überraschend kam. Er ist der einzige aus dem Quartett, der bereits ein Länderspiel absolviert hat. Seit seinem Einsatz beim unglückseligen Gastspiel in Frankreich (0:2) im vergangenen November wurde er von Löw, der ihm "eine besondere Gabe und Raffinesse" bescheinigt, nicht mehr berufen. Weil Löw im Angriff Alternativen zu Mario Gomez braucht, könnte Sané aber auf den EM-Zug aufspringen.

Das Trio Brandt, Kimmich und Weigl hat sich mit starken Auftritten nicht nur in der Bundesliga empfohlen. Brandt (20) schoss zuletzt sieben Tore in sieben Spielen und besaß großen Anteil an Leverkusens direkter Qualifikation für die Champions League . "Ich würde mir einen Ast abfreuen", sagte er am vergangenen Wochenende über eine mögliche Einladung. "Julian ist technisch sehr gut und schnell, er kann auf engen Räumen hervorragend kombinieren und hat einen guten Lauf", sagte Löw gestern. Tatsächlich bringt Brandt fast alles mit, was im modernen Fußball gefragt ist: Auffassungsgabe, Schnelligkeit mit und ohne Ball, nötige Durchsetzungskraft, Torgefahr.

Letzteres ist nicht die Stärke von Kimmich und Weigl, die Brandt ansonsten in nichts nachstehen. Der gelernte Mittelfeldspieler Kimmich überzeugte beim FC Bayern sogar in der ungewohnten Position des Innenverteidigers. Löw lobte seine Vielseitigkeit. "Joshua kann in der Abwehr, auf der Sechs und außen spielen. Er hat bei Bayern auf hohem Niveau trainiert und gespielt, teilweise sogar in der Champions League ." Vereinstrainer Pep Guardiola nannte Kimmich seinen "Sohn" und schwärmte: "Ich liebe diesen Jungen! Er hat alles, er kann alles, er gibt alles."

Ähnlich imposant wie der Aufstieg des ehemaligen Leipzigers verlief der von Weigl - zu dessen eigener Überraschung. "Ich wusste nicht, wie schnell es gehen würde. Ich wollte in Dortmund ankommen und Spielminuten sammeln", sagte Weigl - jetzt hat er die Chance auf die EM. "Er hat eine unglaubliche Übersicht, ist sehr ball- und passsicher", begründete Löw die Nominierung des ehemaligen Münchner Löwen, der wie Kimmich vor einem Jahr noch in der 2. Liga spielte.

Bis zum 31. Mai muss Löw das endgültige Aufgebot mit 20 Feldspielern und drei Torhütern der Europäischen Fußball-Union melden. Damit werden vier Spieler noch durch das Raster fallen. "Es gibt keinen potenziellen Streichkandidaten", sagte Löw und ergänzte mit Blick auf das Turnier: "Wir sind selbstbewusst, aber nicht überheblich. Wir sind stark, aber nicht unbesiegbar."

14 Weltmeister führen Löws Mannschaft an - an der Spitze der "Sonderfall" Bastian Schweinsteiger . Der 31-jährige Kapitän ist nach einer zweiten Knieverletzung im EM-Jahr ohne Fitness, Form und Spielpraxis. "Er kann auch im Laufe des Turniers noch wichtig werden", sagte Löw. Es ist keine Überraschung - und doch ein Riesenerfolg. Jonas Hector aus Auersmacher hat es in den vorläufigen Kader der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die Europameisterschaft geschafft. Dass der 25-Jährige vom Bundesligisten 1. FC Köln auch in das endgültige Aufgebot kommt, gilt als wahrscheinlich. Schließlich ist Hector nach der Nichtberücksichtigung von Erik Durm und Marcel Schmelzer der einzige gelernte Linksverteidiger im Kader.

Dass Hector den Vorzug vor den beiden Dortmundern erhielt, kommt nicht überraschend. Immerhin gehört er seit seinem Debüt am 14. November 2014 beim 4:0 in der EM-Qualifikation gegen Gibraltar zum Stammpersonal von Bundestrainer Joachim Löw , hat seither zwölf Länderspiele bestritten und am 29. März diesen Jahres beim 4:1 gegen Italien in München auch sein erstes Länderspieltor erzielt (zum zwischenzeitlichen 3:0). Trotzdem ist die Freude bei ihm riesengroß. "Ein Traum geht in Erfüllung", sagte Hector gestern der Saarbrücker Zeitung.

In Frankreich wird Hector, sofern er nicht von einer Verletzung gestoppt wird, der erste Saarländer bei einem internationalen Turnier seit Stefan Kuntz ' EM-Teilnahme vor 20 Jahren in England, die mit dem Europameister-Titel endete.

Hector wird auch der einzige Saarländer im Team bleiben, denn Torhüter Kevin Trapp fand keine Berücksichtigung. Der 25-Jährige aus Rimlingen, der mit Paris St. Germain französischer Meister wurde und bis ins Viertelfinale der Champions League kam, zog ebenso wie Weltmeister Ron-Robert Zieler vom Bundesliga-Absteiger Hannover 96 den Kürzeren. Stattdessen vertrauen Löw und Bundestorwarttrainer Andreas Köpke neben ihrer Nummer eins, Manuel Neuer (Bayern München), den Ersatz-Torhütern Marc-André ter Stegen (FC Barcelona ) und Bernd Leno (Bayer Leverkusen ). Leno stand zwar bei den letzten Länderspielen im Aufgebot, hat aber wie Trapp noch kein Spiel für das A-Team absolviert.

Meinung:

Lasst den Löw mal machen

Von SZ-Redakteur Michael Kipp

Etwa 40 Millionen Bundestrainer gibt es in Deutschland. Doch nur einer darf entscheiden: Gestern hat Joachim Löw den vorläufigen Kader für die EM bekannt gegeben - und wie immer gilt: Fast jeder Hobby-Bundestrainer hatte andere Namen in "seinem" Aufgebot. Wo ist bitte Dortmunds Schmelzer? Hat Löw was gegen den BVB? Ist Leno besser als Trapp? Wer ist eigentlich dieser Rudy? Was macht Podolski im Aufgebot? Kann Schweinsteiger ohne Rollator gehen? Und welche vier Spieler streicht der "echte" Trainer noch aus dem Kader? Sicher die Jungen. Weigl, Kimmich, Brandt, Sané. Oder vielleicht doch Draxler, Schürrle, Podolski, Bellarabi? Dreierkette, Viererkette? Es gibt so viele Gedankenspiele, dass den 40 Millionen Trainern da draußen gesagt sei: Lasst den Löw mal machen. Die WM 2014 lief ja ganz gut. Wenn nicht, haben wir ja noch genügend Bundestrainer in der Hinterhand - die es wesentlich besser können.

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Auf einen Blick Der vorläufige deutsche EM-Kader: Tor: Manuel Neuer (Bayern München/30 Jahre/64 Länderspiele/0 Tore), Bernd Leno (Bayer Leverkusen /24/0/0), Marc-André ter Stegen (FC Barcelona /24/5/0). Abwehr: Jérôme Boateng (Bayern München/27/57/0), Emre Can (FC Liverpool/22/5/0), Jonas Hector (1. FC Köln/25/12/1), Benedikt Höwedes (FC Schalke 04/28/32/2), Mats Hummels (Borussia Dortmund/27/46/4), Shkodran Mustafi (FC Valencia/24/10/0), Antonio Rüdiger (AS Rom/23/9/0), Sebastian Rudy (Hoffenheim/26/10/0). Mittelfeld/Angriff: Karim Bellarabi (Bayer Leverkusen /26/10/1), Julian Brandt (Bayer Leverkusen /20/0), Julian Draxler (VfL Wolfsburg/22/17/1), Mario Gomez (Besiktas Istanbul/30/62/26), Mario Götze (Bayern München/23/50/17), Sami Khedira (Juventus Turin/31//58/5), Joshua Kimmich (Bayern München/21/0), Toni Kroos (Real Madrid/26/64/11), Thomas Müller (Bayern München/26/70/31), Mesut Özil (FC Arsenal/27/72/19), Lukas Podolski (Galatasaray Istanbul/30/127/48), Marco Reus (Dortmund/26/29/9), Leroy Sané (Schalke 04/20/1/0), André Schürrle (Wolfsburg/25/50/20), Bastian Schweinsteiger (Manchester United/31/114/23), Julian Weigl (Dortmund/20/0). Fahrplan bis zur EM: 24. Mai: Beginn Trainingslager in Ascona. 29. Mai: Deutschland - Slowakei in Augsburg (17.45 Uhr/ARD). 31. Mai: Meldung endgültiges EM-Aufgebot. 4. Juni: Deutschland - Ungarn in Gelsenkirchen (18 Uhr/ZDF). 7. Juni: Bezug EM-Quartier Évian-les-Bains. sid

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