Eine Nation findet ihren Frieden

London · Wimbledon-Sieger Andy Murray ist nun endgültig der Liebling der Nation. Die BBC verzeichnete Einschaltquoten in Rekordhöhe, die Presse fordert den Ritterschlag. Murray widmet seinen Erfolg unterdessen einem, der nie im All England Club gewann.

Knie' nieder, Knappe Andy, und erhebe dich als Sir Andrew, Ritter des Heiligen Tennis-Grals: Einen Tag nachdem Andy Murray den Wimbledon-Fluch der Gastgeber nach 77 Jahren gebrochen hatte, fegte ein kollektiver Sturm der Begeisterung durch die englische Presselandschaft. Der "Champion", der "History Boy", der "Gipfelstürmer" - und bald tatsächlich ein Ritter Ihrer Majestät? Die Queen übermittelte zumindest schon einmal ihre herzlichsten Glückwünsche an ihren Untertan aus Schottland.

Murray selbst stand vor seinem treu ergebenen Tennisvolk und reckte den Goldpokal in den strahlend blauen Himmel über dem altehrwürdigen All England Club. Unter ihm hatte sich bereits ein Schatten über die Fred-Perry-Statue gelegt, ein symbolischer Moment, als hätte der Geist des Nationalhelden, der 1936 den letzten seiner drei Titel im Allerheiligsten des Tennis gewonnen hatte, endlich Frieden gefunden.

Von nun an werden alle nachfolgenden Generationen an Murray gemessen, doch der 26-Jährige aus Dunblane hofft, dass die Nation nicht wieder 77 Jahre auf den nächsten Wimbledon-Champion warten muss. "Dieses Turnier ist so unglaublich schwer zu gewinnen, daher könnte es durchaus sein, dass es wieder eine ganze Weile dauert", sagte er: "Mit all dem Geld, was in diesem Land in den Sport investiert wird, sollten es aber nicht wieder 70 Jahre oder mehr werden."

Die Nation genoss unterdessen den Siegestaumel: 15 000 Menschen auf dem Centre Court und Millionen vor den Fernsehern waren in glückseliger Harmonie vereint. Die BBC verzeichnete beim Finale zwischen Murray und dem Weltranglistenersten Novak Djokovic Einschaltquoten in der Spitze von 17,3 Millionen Zuschauern mit 72,8 Prozent Marktanteil - der höchste Wert in diesem Jahr und mehr als ein Indiz für die Sehnsucht des Landes nach einem neuen Champion.

Hinter Murray und seinem 6:4, 7:5, 6:4-Triumph stand jedoch noch eine weitere Kraft, die ihn bereits zu olympischem Gold 2012 und wenig später zum US-Open-Erfolg getrieben hatte: Murrays erster Weg, nachdem er seinen vierten Matchball in der nervenaufreibenden Schlussphase verwandelt hatte, führte in seine Box - in die Arme von Ivan Lendl, dem großen Tennisspieler der 80er Jahre, der alle Grand Slams außer Wimbledon gewonnen hatte.

"Ich weiß, er hätte hier am liebsten als Spieler triumphiert, aber das heute ist für ihn das Zweitbeste. Das meine ich ganz ernsthaft", sagte Murray und erklärte die enge Partnerschaft mit dem gebürtigen Tschechoslowaken: "Er hat mir beigebracht, aus Niederlagen zu lernen. Mehr, als ich es in der Vergangenheit getan habe."

Vier Grand-Slam-Finals hatte Murray verloren - so viele wie Lendl selbst. Nach der Pleite im Wimbledon-Finale 2012 gegen Rekord-Champion Roger Federer flossen bittere Tränen auf dem Centre Court. Und manch einer glaubte, Murray würde nie einen großen Titel gewinnen. Der Triumphzug im olympischen Wimbledon belehrte die Kritiker, die in Murray wieder nur den schnoddrigen Schotten und nicht mehr den einzigen britischen Hoffnungsträger sahen, eines Besseren.

"Er war immer sehr ehrlich zu mir, er hat mit immer gesagt, was er denkt", lobte Murray seinen Trainer Lendl: "Und im Tennis ist das nicht immer ganz so einfach. Die Spieler haben das Sagen, und die Trainer fühlen sich nicht immer wohl damit, ihre Meinung zu äußern." Arbeitet Murray hart, ist Lendl glücklich, schludert sein Schützling im Training, wird er sauer. So einfach ist das.

Die Times feierte Lendl als "perfektes Gegenstück" zur Euphorie, die das Land zu Beginn der 127. Ausgabe des Turniers erfasst hatte. Sollten Sir Andrew die Schlagzeilen nach der Entdeckung des Heiligen Grals zu Kopf steigen und er abheben, wird ihn der Mann mit dem eingefrorenen Gesicht auf den Boden zurückholen. Ganz sicher. Ob Ritter oder nicht.

Zum Thema:

HintergrundSabine Lisicki hat gestern, zwei Tage nach ihrer Finalniederlage in Wimbledon gegen die Französin Marion Bartoli, ihre Ziele für die Zukunft formuliert. "Ich will unter die Top Ten", sagte die 23-Jährige - aktuell auf Rang 18 platziert - bei einer Pressekonferenz in Berlin. Langfristig wolle sie die Nummer eins der Welt werden: "Das ist immer noch aktuell." Karl Altenburg, der Präsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), will nach Lisickis Erfolg den Turnierstandort Deutschland beleben. Allerdings erklärte der Investmentbanker auch, dass der DTB über "keine ausreichenden finanziellen Mittel" verfüge, um selbst neue Turnierlizenzen zu erwerben. Dies sei aber auch nicht originäre Aufgabe des Verbandes. In dieser Saison stehen zwei deutsche WTA-Turniere im Turnierkalender. Der Nürnberger Versicherungscup, bei dem Andrea Petkovic erst im Finale an der Rumänin Simona Halep scheiterte, war Mitte Juni zum ersten Mal ausgetragen worden. Die Veranstaltung im April in Stuttgart hatte die Russin Maria Scharapowa gewonnen.Zu Hochzeiten des Tennis-Booms gab es in einem Jahr sogar sechs WTA-Turniere in Deutschland. Außer beim Grand Prix in Filderstadt spielten die Damen auch in Hamburg, Berlin, Leipzig, München und Hannover. dpa/sid

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort