"Eine Fußballkarriere nur des Geldes wegen wird wohl scheitern"

Neun Jugendliche verlassen den 1. FC Saarbrücken, um den Traum vom Profifußball zu verwirklichen. Was halten Sie als Soziologe und Ökonom davon, wenn Kinder ihre Heimat verlassen?Eike Emrich: Die Frage, wie sich solch ein Jugendlicher entwickeln wird, hängt von vielen Faktoren ab und lässt sich schlecht vorhersagen

Neun Jugendliche verlassen den 1. FC Saarbrücken, um den Traum vom Profifußball zu verwirklichen. Was halten Sie als Soziologe und Ökonom davon, wenn Kinder ihre Heimat verlassen?

Eike Emrich: Die Frage, wie sich solch ein Jugendlicher entwickeln wird, hängt von vielen Faktoren ab und lässt sich schlecht vorhersagen. Generell aber kann man sagen: Wer auf diesem Weg Fußballprofi werden will, geht ein hohes investives Risiko ein.

Inwiefern?

Emrich: Nun, er konzentriert sich exklusiv auf seine sportliche Karriere, die zeitlich aus biologischen Gründen etwa bis längstens zum 35. Lebensjahr befristet ist. Wenn er danach nicht im Umfeld des Fußballs als Trainer arbeiten kann, muss er in einen Beruf. Dort aber haben Gleichaltrige, die er meist nicht mehr einholen kann, mittlerweile Karrieren gemacht. Übrigens verdienen nur die wenigsten Fußballprofis so viel, dass sie nach ihrer Karriere nicht mehr in einem Beruf arbeiten müssen. Außerdem ist keineswegs sicher, dass ein frühes Talent auch später ein Topfußballer wird. Und es bleibt natürlich immer das Risiko einer schweren Verletzung.

Was raten Sie deshalb?

Emrich: Es ist durchaus ein Qualitätsmerkmal eines Bundesliga-Klubs, wenn er für die Jugendlichen Schule, Ausbildung und Beruf auch während der Fußballerzeit ernst nimmt und sich darum kümmert, dass die Schule abgeschlossen und, wenn auch vielleicht zeitlich gestreckt, ein Beruf gelernt oder ein Studium absolviert wird.

Was ist aus Ihrer Sicht denn typisch für Jugendliche, die den Sprung ins Profigeschäft geschafft haben?

Emrich: Typisch für die Erfolgreichen ist, dass für sie zumindest anfänglich nicht das Erzielen hoher Einkommen im Vordergrund steht, sondern die Leidenschaft für den Fußball. Wer eine Fußballkarriere nur des Geldes wegen anstrebt, wird wahrscheinlich scheitern.

Die meisten Jugendlichen ziehen erst einmal wegen der Leidenschaft aus. Im Grunde aber lockt irgendwann doch das Geld.

Emrich: Die Verlockungen größerer Einkommen in ferner Zukunft führen bei vertragsgebundenen Jugendlichen eines Vereins untereinander zwangsweise zu erhöhter Konkurrenz um Profiverträge. Das ist klar. Ob sich diese Konkurrenz aber schädlich oder fördernd auswirkt, hängt davon ab, wie sehr sich Kooperation und Konkurrenz der jungen Spieler mischen, und diese Mischung kann der Klub durchaus beeinflussen.

Was, wenn der Jugendliche es nicht schafft und gescheitert zurückkehrt?

Emrich: Das wird von jedem unterschiedlich verarbeitet und hängt auch vom Umgang miteinander im Klub ab. Bei Ajax Amsterdam zum Beispiel wurde dafür gesorgt, dass die Talente nicht übermütig werden. Sie waschen ihre Wäsche selbst, putzen ihre Schuhe, räumen ihr Zimmer auf, bekommen also keine "Starallüren" und müssen Verantwortung übernehmen. Dann fällt ihnen auch die Rückkehr in das Leben außerhalb des Fußballs leichter.

Trotzdem kann er scheitern.

Emrich: Wenn er pädagogisch gut betreut worden ist und genügend Freiräume außerhalb des Fußballs hatte, wird er es einfacher haben. Es sollte in Klubs keine in die Unselbständigkeit führende "Fürsorgediktatur" geben. Wichtig ist die richtige Mischung aus Freiräumen und Betreuung. Wessen gesamte Lebenswelt nur auf Fußball reduziert wird, für den wird es schwer, ohne Fußball auszukommen.

Der Zeitplan in einem Fußball-Internat mit festen Essenszeiten, Unterricht, Training ist straff. Bleiben da nicht wichtige Komponenten gerade für einen jungen Menschen auf der Strecke?

Emrich: Es ist wahrscheinlich tatsächlich so, dass sich der gesamte Tagesablauf am Fußball und seinen Anforderungen ausrichtet. Aber Jugendliche schaffen sich auch immer Nischen. Sie werden sicher mal Alkohol ausprobieren, Schlafenszeiten missachten, mit Mädchen ausgehen, gegen den Trainer aufbegehren. Das alles gehört zum Erwachsenwerden hinzu. Aber im Vergleich zu Gleichaltrigen sind ihre Möglichkeiten, außersportliche Erfahrungen zu sammeln, sicherlich geringer.

Müssen sie nicht auch den Umgang mit Geld lernen?

Emrich: Dass sie den Umgang mit Geld lernen, ist ungeheuer wichtig. Die monatlichen Summen streuen erheblich, aber 5000 Euro Gehalt pro Monat kommen zuweilen vor. Es ist Aufgabe des Vereins, des Beraters und des Elternhauses, dem Jugendlichen die Kontrolle darüber beizubringen. Ein Jugendlicher liegt urplötzlich auf der Stufe eines gut verdienenden Angestellten und kann sich für normale Gleichaltrige nicht mögliche Dinge leisten. Nichts ist schlimmer als Wünsche, die sofort befriedigt werden können. Langfristig setzen sich im Profigeschäft eher diejenigen durch, die sich selbst und ihre Wünsche zügeln können und die am Anfang schwierige Bedingungen hatten.

Fußball kann schon erdrückend sein: Das liebe Geld, die hohen Erwartungen - und der Jugendliche steht quasi immer unter Beobachtung.

Emrich: Dem Jugendlichen, der früh als Talent etikettiert wird, bürdet man schon eine Art unsichtbaren Rucksack auf - voller Erwartungen: des abgebenden Vereins, des aufnehmenden Vereins, des Umfelds, der Familie.

Was halten Sie von Per Mertesacker, der mal zu seinem Erfolgsrezept gesagt hat: "Immer versuchen, sich zu verbessern. Sich nicht unter Druck setzen lassen und sich vor allem nicht selbst unter Druck setzen"?

Emrich: Wissen Sie, erfolgreiche Karrieren werden im Nachhinein häufig als geradlinig und gewissermaßen zwangsläufig geschildert: "Mit drei habe ich schon gekonnt gegen den Ball getreten, so wurde früh erkannt, dass ich zum Fußballer geboren bin, mein fußballerischer Aufstieg war mir gewissermaßen in die Wiege gelegt." Solche Konstruktionen kann man von erfolgreichen Profis im Nachhinein häufig hören. Karrieren aber sind selten vollständig planbar.

Also halten Sie es eher mit Torsten Frings: "Ein bisschen Talent, viel Training - und viel Glück"?

Emrich: Genau das. Man muss Talent haben, sich anstrengen, was leisten, Glück haben, bedarf zuweilen der Hilfe anderer und muss zur rechten Zeit am rechten Ort sein. Fußballerische Karrieren sind nicht vollständig planbar, sondern eine Mischung von Berechenbarkeit und Glücksspiel mit Systemtipp.

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