Ein unbefriedigender Sieg "Danke an alle - und ab ins Finale!"

Danzig. Überschwängliche Freude geht anders. Nein, die deutschen Spieler gingen nach dem 2:1-Sieg am Sonntag gegen die Dänen mit ihrer Leistung hart ins Gericht. So ziemlich alle Spieler sahen nach dem Einzug ins Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft noch Steigerungspotenzial. "Wir müssen eine Schippe drauflegen, das ist uns bewusst", meinte etwa Holger Badstuber

 Lars Bender bejubelt sein 2:1 gegen die Dänen. Der Leverkusener spielte zum ersten Mal auf der Position des rechten Verteidigers und feierte eine gelungene Premiere. Foto: Licovski/dpa

Lars Bender bejubelt sein 2:1 gegen die Dänen. Der Leverkusener spielte zum ersten Mal auf der Position des rechten Verteidigers und feierte eine gelungene Premiere. Foto: Licovski/dpa

Danzig. Überschwängliche Freude geht anders. Nein, die deutschen Spieler gingen nach dem 2:1-Sieg am Sonntag gegen die Dänen mit ihrer Leistung hart ins Gericht. So ziemlich alle Spieler sahen nach dem Einzug ins Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft noch Steigerungspotenzial. "Wir müssen eine Schippe drauflegen, das ist uns bewusst", meinte etwa Holger Badstuber. Und: "Wir hätten das Tempo höher halten und mehr Chancen kreieren müssen." Das muss am Freitag (20.45 Uhr/ARD) gegen Griechenland unbedingt besser werden. Auch Siegtorschütze Lars Bender schlug in die selbe Kerbe. "Es war schwierig für uns, die Räume zu finden." Die Selbstkritik mag berechtigt sein, aber so übel waren die Auftritte des DFB-Teams bei dieser EM nicht.In den ersten 20 Minuten am Sonntag deutete sich sogar ein Debakel für die Dänen an. Die DFB-Elf spielte schnell, stand "kompakt", wie Bundestrainer Joachim Löw zu sagen pflegt, und machte so ziemlich alles richtig. Daher ging sie durch Lukas Podolski (19. Minute) auch verdient in Führung. Doch nach dem 1:1 durch Michael Krohn-Dehli (24.) stockte der Spielfluss. "Wir hatten ein bisschen wenig Zugriff", sagte Löw. An dieser Stelle müsse das Trainerteam den Hebel ansetzen. Immerhin: Die Mannschaft hat sich in schwieriger Lage bewährt und nicht die Nerven verloren. Vor drei Jahren hätte sie so ein Spiel verloren, vermutete Löw. Aber 2012 sei sie "reif genug", um Gefahrensituationen zu überstehen.

Das war auch nötig, denn zwischen der 70. und 80. Minute öffnete sich ein Zeitfenster, durch das die DFB-Elf einen Blick ins Tal der Tränen werfen durfte. Kurz vorher hatte im Parallelspiel der Gruppe B Portugal zur 2:1-Führung gegen die Niederlande getroffen - ein weiterer Treffer der Dänen, und das Aus der Deutschen wäre besiegelt gewesen. "Es war knifflig", sagte Löw, "aber ich hatte immer das Gefühl, dass wir noch ein Tor machen." Andre Schürrle erklärte, warum: "Wir haben Leute, die den Laden zusammenhalten und ruhig bleiben." Bastian Schweinsteiger zum Beispiel oder Sami Khedira. In der 80. Minute war es dann soweit. Lars Bender vollendete einen schönen Konter. Der Leverkusener Profi ersetzte den gelbgesperrten Jerome Boateng auf der rechten Abwehrseite. Ein ungewöhnlicher Tausch, aber Löw hatte noch nie Scheu vor Umbauten im Team. Bei dieser EM steht zwar das Gerüst der ersten Elf, aber wenn umgebaut werden muss, dann baut Löw eben um. Im Zweifelsfall wird ein Mittelfeldspieler zum rechten Außenverteidiger.

Lars Bender hat in der vergangenen Saison bei seinem Verein Bayer Leverkusen kein einziges Mal auf dieser Position gespielt, nicht mal im Training. Und dann musste er sich am Sonntagabend im entscheidenden EM-Gruppenspiel bewähren. "Ich war relativ locker", sagte Bender nach dem 2:1-Sieg. Er klang wie ein Routinier, wie einer, der immer schon mal rechter Verteidiger spielen wollte, aber nie gewagt hatte zu fragen. Aber das stimmt natürlich nicht, denn Bender sieht sich bei seinem Verein im Mittelfeld. "Da kommt rechter Außenverteidiger gar nicht in Frage", sagte er gestern.

Der Leverkusener schoss nicht nur das Siegtor nach einem 80-Meter-Sprint über den Platz, er machte vergessen, dass es sich für ihn um eine Positions-Premiere handelte. Nur gegen die dänische Wuchtbrumme Nicklas Bendtner sah er in Kopfballduellen manchmal schlecht aus. Löw lobte den Auftritt des Leverkuseners ("Hat er gut gemacht"), und Bender, dessen Handy wegen der vielen Anrufe "explodiert" sei, sagte: "Ich werde mich lange an diesen Tag erinnern." Er hofft jetzt auf einen Einsatz im Viertelfinale gegen Griechenland. Sein Konkurrent, Jerome Boateng, wäre am Freitag nach seiner Gelbsperre wieder einsatzbereit. Löw will sich noch nicht festlegen. Einen Vorteil gegenüber Boateng sieht Lars Bender freilich: "Ich habe ein Tor mehr." Lemberg/Danzig. "Wahnsinn!" Lukas Podolski benötigte nur ein Wort, um seine Glücksgefühle nach seinem Jubiläumsspiel zu beschreiben. Der "Kölsche Jong" machte beim 2:1 gegen Dänemark nicht nur sein 100. Länderspiel, er ließ darüber hinaus mit seinem 44. Treffer in der ewigen Torjägerliste des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) Ehrenspielführer Uwe Seeler hinter sich. "Man of the Match - Poldi Podolski" - lautete die feierliche Ansage des Uefa Mediendirektors in Lemberg nach dem Spiel denn auch.

"100 Spiele - einfach der Wahnsinn", sagte der Jubilar in einer launigen Rede auf der Rückreise des Teams von Lemberg ins EM-Quartier nach Danzig. Am Flughafen von Lemberg hatte Seeler dann die Gelegenheit, Podolski zu gratulieren. "Ich freue mich sehr für ihn", sagte der 75-Jährige.

100 Länderspiele: Kein Spieler in Europa hat das vor ihm in so jungem Alter geschafft, weltweit waren es nur deren sechs. Das hat eine gewisse Dimension. Wie auch die Leistung, den einstigen Weltklassetorjäger Seeler hinter sich zu lassen. Zu einem weiteren, Karl-Heinz Rummenigge, ist es nur noch ein Treffer. Davor sind nur noch Gerd Müller (68 Tore), Miroslav Klose (63) sowie Rudi Völler und Jürgen Klinsmann (je 47). Viele trauen Podolski auch die 150 Länderspiele von Rekordspieler Lothar Matthäus zu.

Zur Not trifft er auch mit rechts

Dabei ist Podolskis sportliche Vita keineswegs ausschließlich Bundestrainer Joachim Löw geschuldet, der seit langem auf "Prinz Poldi" setzt und auch in schwierigen Zeiten an ihm festhielt. hat sportliches Talent, Dynamik, Kraft und einen unglaublichen linken Schuss. Aber die Führung gegen Dänemark erzielte er mit rechts, was fast so selten vorkommt wie Kopfballtore, wie Podolski zugab.

Bei der WM 2006 in Deutschland wurde er vom Weltverband Fifa zum besten Nachwuchsspieler des Turniers gewählt - nicht umsonst. Von der Psyche her ist der Mann außerdem nicht aus der Bahn zu werfen, Kritik - intern und extern - an seinen nicht gerade berauschenden Vorstellungen in punkto Offensive gegen Portugal und die Niederlande verarbeitet er problemlos. Im reifen Fußballeralter mutiert er zum verkappten Verteidiger und nimmt es hin - solange er nur Stammspieler bleibt. Alles was passiert, garniert der gebürtige Pole zur Krönung mit seiner positiven Ausstrahlung und seinem Mutterwitz.

"Wir alle sind froh, dass wir einen wie dich in unserer Mannschaft haben. Ganz herzlichen Glückwunsch, Lukas!", sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach in seiner Rede im Flugzeug auf dem Rückweg nach Danzig. Die Ehrennadel für die "100" war nur ein kleines sichtbares Zeichen für die Wertschätzung, es folgt noch eine dicke Medaille. Danach ließ es sich Karnevalsaktivist Podolski nicht nehmen, ein paar Worte an die Mannschaft zu richten - in seiner urtypischen Art. "Ja, so ist es richtig, zückt alle die Handys und Kameras", flachste Podolski, um dann feierlich zu werden: "Als ich 2004 hier angefangen habe, hätte ich nie gedacht, dass es zu diesem Moment kommen und ich mal hier stehen würde."

Es kann gut sein, dass Podolski bei seinem neuen Klub FC Arsenal und in der Premier League ähnliche Popularitätswerte erreicht wie bei seinem Ex-Klub 1. FC Köln. Aber bis zum Wechsel auf die Insel ist noch Zeit und etwas Wichtiges zu erledigen. Seine Jubiläums-Rede schloss Podolski mit wegweisenden Worten für die Europameisterschaft: "Danke an alle - und ab ins Finale!" dapd

Meinung

Die kontrollierte Offensive

Von SZ-RedakteurMichael Kipp

Schön ist anders. Das 2:1 gegen die Dänen war zäh, es war nicht einfach, es war kein Fest, es war kein Tiki-Taka, es war keine große Fußballkunst. Die Mannschaft zeigte wieder nicht ihr atemberaubendes Offensivspiel von der Weltmeisterschaft in Südafrika. Damit war das Spiel gegen die Dänen ein Spiegelbild der beiden ersten Spiele der Deutschen in der Vorrunde, in denen es Bundestrainer Joachim Löw mehr um Aggressivität, um hohe Laufbereitschaft, ums defensive Absichern ging - und nicht um die neue deutsche Fußball-Kunst.

Otto Rehhagel nannte dies früher mal kontrollierte Offensive. Löw würde das Spiel seiner Jungs sicher nicht so nennen wollen. Er bezeichnete es gestern als "neue Reife", als erfolgsorientiertes Spiel. Anscheinend wurde nicht nur ihm klar: Mit Schönspielerei hat Deutschland noch keinen Titel gewonnen - mit einer starken Defensive mehrere. Und diese Titel fanden wir wiederum alle sehr schön.

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