Boris Becker wird 50 Ein Tennis-Idol als „einsamer Wolf“

Leimen · Sportheld, Steuersünder, Familienvater, Besenkammer, Insolvenz: Der „17-jährige Leimener“ Boris Becker wird heute 50 Jahre alt.

 So lernten ihn die Deutschen kennen und lieben: Bei seinem ersten Wimbledon-Sieg am 7. Juli 1985 gegen Kevin Curren zeigte der 17-jährige Boris Becker spektakuläres Tennis – und erfand nebenbei den Becker-Hecht und die Becker-Faust.

So lernten ihn die Deutschen kennen und lieben: Bei seinem ersten Wimbledon-Sieg am 7. Juli 1985 gegen Kevin Curren zeigte der 17-jährige Boris Becker spektakuläres Tennis – und erfand nebenbei den Becker-Hecht und die Becker-Faust.

Foto: dpa/Rüdiger Schrader

Es ist ein Frühlingsabend in seidenweicher Luft, im mondänen Luftfahrtklub von Dubai. Boris Becker sitzt am Tisch, er ist noch der Trainer des damaligen Tennis-Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic. Becker hat ein Glas Rotwein vor sich, ab und zu steckt er sich einen Zigarillo an. Es soll eigentlich um Djokovic gehen, um diesen Trainerjob. Aber an diesem entspannten Abend am Arabischen Golf geht es schnell um mehr. Es geht um sein ganzes Leben, um die Höhen und Tiefen, die er durchmessen hat. Es geht um die Brüche, die Verwandlungen, es geht auch um einen Becker, der immer auf der Flucht gewesen ist. Auf der Flucht, festgelegt zu werden.

Becker war nie ein einziger Becker. Sondern ganz viele Beckers. Er war sehr früh und sehr entschlossen auch derjenige, der sich gegen die allzu innige öffentliche Umarmung auflehnte. Und der sich später über Kreuz legte mit Deutschland, mit allen, die meinten, ihm jeden Tag Ratschläge geben zu müssen. Beckers Gesicht rötet sich an diesem Abend, als er auf dieses Thema zu sprechen kommt. „Ich bin niemandem etwas schuldig. Ich lebe mein Leben, wie es mir gefällt“, sagt er. Und natürlich fällt dann auch dieser Satz, den er in den letzten Jahren immer wieder gesagt hat: „In Deutschland glauben viele immer noch, dass ich der 17-jährige Bursche bin, der Wimbledon gewonnen hat.“

Aber heute ist er der Mann, der seinen 50. Geburtstag feiert. Er hat vier Kinder von drei Müttern, er ist der Chef einer bunten Patchwork-Familie, er lebt längst in London, ganz bewusst weg von diesem schwierigen Deutschland, das er fasziniert hat als mitreißender Tennisspieler. Und das ihn immer auch argwöhnisch beäugt hat in den vielen Jahren nach der Profikarriere, in denen er nicht selten wie ein Hasardeur wirkte. „Ich bin dankbar, dass ich in London eine Heimat gefunden habe. Mit Menschen, die mich leben lassen“, sagt Becker, „direkt neben einem Ort, der mir so viel bedeutet.“ Becker meint damit Wimbledon, das mythisch umrankte Tennisareal, dessen Centre Court er aus dem obersten Geschoss seines Hauses sehen kann.

Wenn man so will, hat Becker Wimbledon stets fest im Blick. Was bedeutet ihm Wimbledon heute noch? „Es ist der Ort meiner zweiten Geburt“, sagt Becker, „da fing ein anderes Leben an.“ Fast alles, was in seinem Leben passierte, hat mit Wimbledon zu tun. Mit diesem 7. Juli 1985, an dem er den Matchball gegen den Südafrikaner Kevin Curren verwandelte und zum bis heute jüngsten Turniersieger wurde. Von einer Sekunde zur anderen sei er „in ein anderes Universum geschleudert worden“, sagt Becker, „ich wollte immer ein großer Sieger sein. Aber was es bedeutet, Wimbledonsieger zu sein, wusste ich nicht.“

Es begann ein Leben ohne Beispiel, ein Leben, das vor allem auch davon geprägt war, dass Becker gegen den Strom schwamm. Gegen die deutsche Wunschvorstellung, wie er sein sollte. Noch immer klingt diese Wut durch, wenn Becker nun sagt: „Ich war nie Euer Boris. Und ich bin nicht Euer Boris.“ Und was er jetzt kühl anmahnt, nämlich der Herr Becker zu sein, das verlangte er Reportern auch schon früh ab, die ihn im Kumpelton duzten.

In in allen Wirren seines Lebens ist er sich treu geblieben – als jemand, der sich nicht greifen lässt und nicht greifen lassen will. „Bei mir weiß man nie, was kommt“, sagt Becker trocken, „ich weiß es oft selbst nicht.“ So war das auch in jenen Jahren, in denen er über die Kontinente jettete. Und es war eben jene Unfassbarkeit, die seine Magie ausmachte: Das Schwanken zwischen den Extremen, manchmal in einem einzigen Spiel. Becker konnte Spiele drehen, die verloren schienen. Und Spiele verlieren, die er schon gewonnen hatte. Er fesselte die Nation vorm Fernseher, er war ein Phänomen, in seiner Zeit der mitreißendste Spieler, einer der bewegendsten Einzelsportler überhaupt. Er war größer als sein Sport selbst.

Alles, was er tat, wurde zur Staatsaffäre. Wurde von Literaten wie Martin Walser („Tennis ist eine Religion. Und Becker ist ihr Gott“) genau so wie von einem wie Bundespräsident Richard von Weizsäcker kommentiert. Hinter Beckers Dramen verschwanden sogar Auftritte der Fußball-Nationalmannschaft. Auch die Attitüde des Rebellen war nationales Gesprächsthema, etwa, als er sich auf die Seite von Hausbesetzern in der Hamburger Hafenstraße schlug. Wie blickt er auf diese Zeit zurück? „Ich hatte mit 20 schon mehr erlebt, als andere mit 100 Jahren“, sagt Becker.

Er genoss seine Bekanntheit, seine Popularität. Und er verfluchte sie im nächsten Moment. Und daran hat sich auch nicht viel geändert in all den Jahren bis zu seinem Fünfzigsten jetzt – an Becker und dem Thema Becker war nie ein Mangel. Auch nicht, weil sich ein zweiter einschneidender Moment in seinem Leben – wiederum im Umfeld von Wimbledon – abspielte, bei seinem allerletzten Tennisturnier, am Abend nach seinem finalen Match gegen den Australier Pat Rafter. Becker war in jenem Juli 1999 schon Familienvater, er hatte mit seiner Frau Barbara einen Sohn, Noah, und das Ehepaar war in guter Erwartung des zweiten Kindes. Und dann dies: Nachdem Becker mit deutschen Journalisten beim gemeinsamen Plausch über das letzte Wimbledon und das neue Leben schon ordentlich gezecht hat – am Ende stehen Dutzende Becks-Flaschen auf dem Tisch des Deutschen Hauses in Wimbledon -, lässt er sich in die Londoner City chauffieren. Später an diesem Abend zeugt er mit der zufälligen oder nicht so zufälligen Bekanntschaft Angela Ermakowa eine Tochter. Drei Monate später flattert einer Rechtsanwaltskanzlei Beckers ein Faxschreiben auf den Tisch, in dem die Schwangerschaft von Frau Ermakowa bekanntgegeben wird. Und als Vater Boris Becker identifiziert wird.

Vieles von dem, was auch in den letzten Monaten über Becker geschrieben und bekannt wurde, ist auf diesen letzten Tag seiner aktiven Karriere zurückzuführen. Denn Beckers Leben danach war plötzlich ein ganz anderes geworden, als er sich ausgemalt hatte. Beckers Ehe ging in die Brüche, ein öffentlicher Scheidungsprozess zog sich quälend hin. Becker musste schließlich zahlen, zahlen, zahlen. Für den Unterhalt nicht nur an seine Ex-Frau Barbara, sondern auch an die Ermakowa-Familie. Im Chaos der familiären Verwicklungen blieb auch der Geschäftsmann Becker oft ohne Fortune. Ganz offensichtlich gab er schlicht mehr Geld aus, als er zur Verfügung hatte. Was einen wie Beckers großartigen ersten Manager Ion Tiriac nur den Kopf schütteln lässt, ihn, den rumänischen Milliardär mit der Finstermiene: „Zu unserer gemeinsamen Zeit war er der reichste Sportler der Erde. Er hätte mühelos bis ans Lebensende mit diesem Geld leben können.“ Selbst trotz aller dieser unvorhergesehenen privaten Verpflichtungen.

Tiriac ist auch so einer, ohne den das Leben Beckers nicht zu erklären ist. Der gerissene Dealer hielt in den ersten Jahren von Beckers Karriere den Laden zusammen, nie hatte Becker einen besseren und ausgeschlafeneren Berater. Aber Becker verstieß ihn Anfang der 90er Jahre, so wie er später auch immer wieder Freunde oder Trainer verstieß. „Ich bin immer ein Einzelgänger gewesen. Ein einsamer Wolf“, sagt er, „ich habe auch nicht viele, die ich Freunde nennen würde.“ Erklärt das auch die Schwierigkeiten, die der Privatier und Geschäftsmann Becker hatte? Er hat immer geglaubt, er könne die Dinge auch allein regeln, irgendwie, irgendwann, mit irgendwem. Aber nie hatte er so hellsichtige Köpfe an seiner Seite wie Tiriac oder später auch noch einmal den Münchner Rechtsanwalt Axel Meyer-Wölden. Sein gelegentliches Scheitern im Big Business verklärt Becker liebevoll: „Ich habe vieles probiert, vieles hat auch nicht geklappt. Aber das geht doch jedem so.“ Nur spielte auch nicht jeder mit so hohen Einsätzen wie er, wie Becker.

Langweilig ist es einem nie geworden mit diesem Becker. Niemals seit den Julitagen des Jahres 1985 bis heute, bis zu seinem 50. Geburtstag. Er hat auch jetzt noch die Seite 1-Garantie, Kameras umschwirren ihn auf Schritt und Tritt. Und gerade in den letzten Monaten und Jahren war Becker so präsent wie in den großen Centre Court-Tagen. Noch einmal Nummer eins, Wimbledonsieger und Weltmeister mit seinem Schützling Novak Djokovic, dann der Einstieg als TV-Experte beim Sender Eurosport, Lobeshymnen für den präzisen, launigen Kommentator. Und im nächsten Moment die Hiobsbotschaften über den Pleitier Becker, die Millionenschulden, den vorgeblichen Horrorberg von 40 oder 60 Millionen Euro Miesen. Und dann, im wieder nächsten Moment, die Rückkehr ins deutsche Tennis, als Chef der Herrenabteilung. Großer Bahnhof in Frankfurt bei der Amtseinführung, Liveübertragung auf mehreren Kanälen.

In einem Interview hat Becker gerade gesagt, dass er „überhaupt nichts dagegen hätte, wenn ich einen Gang runterschalten könnte“. Das aber hat er auch schon nach seinem Schlussstrich als Profispieler gesagt, ohne dass es jemals passiert wäre. Becker wird sich nicht ändern, sein Leben wird weiter auf hohen Touren laufen, ganz anders als das seiner berühmten Landsfrau Steffi Graf, die in Las Vegas als Frau von Andre Agassi zurückgezogen lebt und ganz in ihrer mütterlichen Rolle von zwei Kindern aufging. „Sie findet darin ihre Erfüllung“, sagt Becker, „ich bin ein ganz anderer Mensch.“ Aber er ist auch einer, der in der neuen Familie, mit Ehefrau Lilly, Zuflucht vor den Wirrnissen seines Lebens gefunden hat.

 2003 und 2007, hier mit seinem saarländischen Namensvetter Benjamin Becker, war Boris Becker zu Schauturnieren in der Saarlandhalle.

2003 und 2007, hier mit seinem saarländischen Namensvetter Benjamin Becker, war Boris Becker zu Schauturnieren in der Saarlandhalle.

Foto: rup
 Boris Becker mit seiner zweiten Frau Lilly.

Boris Becker mit seiner zweiten Frau Lilly.

Foto: dpa/Henning Kaiser
 Stich bezwingt Becker in Wimbledon 1991 Michael Stich (l) umarmt Boris Becker in einer sportlich-kameradschaftlichen Geste nach seinem klaren Sieg im Endspiel der 105. All England Championships in Wimbledon am 07.07.1991. Der Elmshorner bezwang den Leimener vor zehn Jahren in drei Sätzen klar mit 6:4, 7:6 und 6:4. dpa (Zu dpa 0239 vom 21.06.2001) Das Meisterstück 1991 gewann Michael Stich das Finale von Wimbledon gegen Becker. Es war eine glasklare Angelegenheit. Mit 6:4, 7:6, 6:4 fegte er Becker vom Rasen. FOTO: DPA

Stich bezwingt Becker in Wimbledon 1991 Michael Stich (l) umarmt Boris Becker in einer sportlich-kameradschaftlichen Geste nach seinem klaren Sieg im Endspiel der 105. All England Championships in Wimbledon am 07.07.1991. Der Elmshorner bezwang den Leimener vor zehn Jahren in drei Sätzen klar mit 6:4, 7:6 und 6:4. dpa (Zu dpa 0239 vom 21.06.2001) Das Meisterstück 1991 gewann Michael Stich das Finale von Wimbledon gegen Becker. Es war eine glasklare Angelegenheit. Mit 6:4, 7:6, 6:4 fegte er Becker vom Rasen. FOTO: DPA

Foto: dpa/-

Eine der letzten Fragen an diesem Abend in Dubai lautet, was Glück für ihn bedeute. Beckers Antwort kommt schnell, ohne langes Nachdenken: „Glück, das hat nichts mehr mit Tennis zu tun. Ich habe vier gesunde Kinder. Ich habe eine Familie, auf die ich sehr stolz bin. Das alles zählt mehr als alles andere, ist wichtiger als der Sieg auf dem Centre Court und das ganze Geld. Dieses Glück kann man nicht kaufen.“

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