Ein Sturm aus Österreich

Paris. Die übliche TV-Berieselung macht in diesen Tagen des sportlichen Ausnahmezustands mal Pause in Österreich. Keine Krimis, keine Herz-Schmerz-Serien. Kein Mord, Totschlag oder Eifersuchts-Drama: Das beste Programm liefert stattdessen ein spätberufener Wiener bei einer Tennis-Expedition, die unterm Pariser Eiffelturm immer sensationellere Züge annimmt

Paris. Die übliche TV-Berieselung macht in diesen Tagen des sportlichen Ausnahmezustands mal Pause in Österreich. Keine Krimis, keine Herz-Schmerz-Serien. Kein Mord, Totschlag oder Eifersuchts-Drama: Das beste Programm liefert stattdessen ein spätberufener Wiener bei einer Tennis-Expedition, die unterm Pariser Eiffelturm immer sensationellere Züge annimmt. Jetzt, wo jener stürmische Jürgen Melzer pausenlos neue Coups im roten Sand fabriziert, schmeißt der ORF alle zwei Tage seine Sendeplanung komplett durcheinander, funkt stundenlang aus dem Grand-Slam-Tempel nahe des Bois de Boulogne."Es ist wunderschön, dass in Österreich wieder so eine Euphorie herrscht", sagt Melzer, der nach der Fünf-Satz-Schlacht gegen den Weltranglistendritten Novak Djokovic (3:6, 2:6, 6:2, 7:6, 6:4) heute auf den Titelfavoriten Rafael Nadal trifft - im ersten Grand-Slam-Halbfinale seiner Karriere.Melzer ist, mehr noch als Federer-Bezwinger Robin Söderling, der Mann der Stunde bei dieser verrückten Tennis-Show in Frankreichs Kapitale. Während der hünenhafte Schwede schon im Vorjahr in den Fokus der Öffentlichkeit geriet, als Rausschmeißer von Rafael Nadal, geriet Melzer (29) nun erstmals und in aller Dringlichkeit auf das Radar - der Unentwegte, der in seinem Berufsleben bisher schon elf Mal über viele Jahre vergeblich versucht hatte, wenigstens einmal in ein Achtelfinale vorzupreschen. Und nun dies: Runde der letzten Vier im Stade Roland Garros, und er, Melzer, der einzige Österreicher im Spitzentennis, ist noch mit dabei. "Zum Glück ist's kein schöner Traum", sagt Melzer. "Ich habe es mir aber auch verdient. Weil ich nie, nie, nie aufgegeben habe, auch als mich alle abschrieben."Seine Beharrlichkeit hätte er bei seinem jüngsten Gala-Auftritt in Paris nicht eindrucksvoller demonstrieren können. Gegen Djokovic lag Melzer hoffnungslos zurück, zwei Sätze und 0:2 im dritten Durchgang. Doch dann lieferte er eine Aufholjagd, wie man sie in diesem Jahr noch nicht erlebt hat auf diesem Tennis-Niveau. Sechs gewonnene Spiele in Serie reichten zur 1:2-Satzverkürzung, kühle Effizienz und Risikobereitschaft im genau richtigen Moment führten zum 2:2-Satzausgleich per Tiebreak-Lotterie - und als die 258-minütige Partie nur noch von reiner Willenskraft bestimmt wurde, im fünften und entscheidenden Akt, da war Melzer der Mann, der die letzten Ressourcen mobilisierte und siegte. "Es war das Match meines Lebens", sagte Melzer hinterher. So wie Melzer sich in diesem Schlüsselspiel niemals aufgab, so ließ er auch alle Schmäh-Redner und Pessimisten in den Jahren zuvor ins Leere laufen, vertraute auf die eigenen Fähigkeiten: "Ich hab' immer an mich geglaubt und weiter gekämpft. Und gewusst, dass ich ein sehr guter Tennisspieler bin, der noch viel Gutes vor sich hat." Anders als viele deutsche Profis, die momentan durch fehlenden Biss im Job auffallen, durch eine gewisse Selbstzufriedenheit im angenehmen Verdienstumfeld, steht Melzer für enorme Beharrungskraft und Hartnäckigkeit. Und für eine lobenswert ehrgeizige Arbeits-Attitüde, die ihn nun in die Champions League der Branche brachte, weit in die Top 20 der Welt. "Tennis kann nicht immer Spaß machen. Aber man muss immer wieder Wege finden, damit es Spaß macht", sagt Melzer, "man muss hellwach sein, bereit für die Renovierung seines Spiels." Er hat es geschafft.

Auf einen Blick Überraschungs-Finale bei den Damen: Um den 1,1-Millionen-Euro-Sieger-Scheck bei den French Open streiten am Samstag Francesca Schiavone und Samantha Stosur. Die Australierin Stosur, die schon Justine Henin und Serena Williams ausgeschaltet hatte, bezwang auch Jelena Jankovic. Beim 6:1, 6:2 deklassierte der Favoritenschreck die frühere Nummer eins der Tenniswelt. Schiavone erreichte als erste Italienerin das Finale eines Grand-Slam-Turniers. Die 29-jährige Mailänderin profitierte beim Stand von 7:6 von der Aufgabe der Russin Jelena Dementjewa. Die Olympiasiegerin wurde von einer Wadenmuskelverletzung gestoppt. dpa

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