Ein Leben im Schatten des Roger Federer

New York

New York. Als Stanislas Wawrinka in der Nacht zu Mittwoch gerade in den Flur zur Players Lounge einbog, haute ihn plötzlich ein amerikanischer Reporter etwas plump von der Seite an: "Stan, sind Sie jetzt eigentlich daheim auch mal auf den Titelseiten der Zeitungen?", wollte das kugelrunde Kerlchen von dem gezeichneten Ausdauerkämpfer wissen, der bei den US Open gerade das erfolgreichste Tennis seines Lebens spielt und erstmals in seiner Profikarriere ein Grand-Slam-Viertelfinale erreicht hat. Wawrinkas Miene verfinsterte sich leicht. Er kennt diese Fragen ja zur Genüge. Die Fragen, wie es sich denn so als Weltklassespieler anfühlt, den im Schatten des Großmeisters Roger Federer keiner so richtig wahrnimmt und beachtet. "Ein paar Schlagzeilen" werde er wohl kriegen, meinte Wawrinka knapp, fügte dann mit einem sarkastischen Grinsen hinzu: "Ich gebe mir eben alle Mühe."Doch der unscheinbare Tour-Nomade - sein Vater Wolfram ist Deutscher und seine Mutter Isabelle Schweizerin - ist aus sportlicher Sicht bisher die Hauptattraktion dieses Grand-Slam-Spektakels im Big Apple. Erst servierte der in Lausanne geborene Wawrinka Englands Hoffnungsträger Andy Murray ebenso cool wie leidenschaftlich in vier Sätzen ab. Dann, am neunten Turniertag, schickte der 25-Jährige auch den letzten verbliebenen US-Amerikaner auf die Heimreise, den 2,02-Meter-Riesen Sam Querrey. Vier Stunden und 28 Minuten dauerte der Tennismarathon (7:6, 6:7, 7:5, 4:6, 6:4) im Arthur Ashe-Stadion von Flushing Meadows. "Das bisher dramatischste und beste Match des Turniers", wie Oberkritiker John McEnroe befand. Dabei sind die US Open, überhaupt Amerika, nicht gerade das bevorzugte Arbeitsterrain des "anderen und unbekannten Schweizers" (Los Angeles Times), der auch über einen deutschen Pass verfügt: "Ich bin nicht so gerne in dem Land", sagt Wawrinka. Wie viele Profis hat auch er seine liebe Müh' und Not, sich in dem traditionellen Chaos von Flushing Meadows zu behaupten und seine Sinne zusammenzuhalten. In der Runde der letzten Acht, in die erstmals in der Tennisgeschichte zwei Schweizer einzogen, trifft er nun auf den Russen Michael Juschni. Gibt es überhaupt eine undankbarere Position im Welttennis als die von Wawrinka? Eines Mannes, der auf Schritt und Tritt an Roger Federer gemessen wird, der in praktisch jedem Interview auf seinen berühmten Landsmann und Doppelpartner angesprochen wird? "Es ist nicht leicht, Anerkennung und Aufmerksamkeit zu finden", sagt Wawrinka. Manchmal bittet er vor Interviews auch, "keine Fragen zu Roger zu stellen", schließlich sei dazu "schon alles gesagt". Was ihn mit Federer verbindet, ist keine tiefe persönliche Freundschaft, sondern eine nachhaltige Sympathie zwischen zwei Tenniskollegen. Allerdings sind Wawrinka und Federer weit davon entfernt, so etwas wie die Schweizer Entsprechung zu Boris Becker und Michael Stich zu sein. Federer half dem Jüngeren beim Einstieg in den Profizirkus, gab wichtige Tipps und Kniffe weiter, und 2008 holten sie zusammen dann auch die olympische Goldmedaille in Peking. "Mein größter Moment im Tennis. Zusammen mit Roger", sagt Wawrinka mit einem feinen Lächeln. Nun aber wird es Zeit, eigenverantwortlich Geschichte zu schreiben. Auszuschließen ist bei diesem Turnier rein gar nichts für Wawrinka, den Kämpfer. Selbst ein Schweizer Finale am Sonntag nicht.

Auf einen BlickRafael Nadal und Kim Clijsters sind bei den US Open im Gleichschritt eine Runde weitergekommen. Der Spanier besiegte in der Nacht zu Mittwoch im Achtelfinale Landsmann Feliciano Lopez (6:3, 6:4, 6:4). Die Belgierin hingegen musste beim 6:4, 5:7, 6:3 gegen Samantha Stosur aus Australien Schwerstarbeit vollbringen. Ausgeschieden sind Anna-Lena Grönefeld und Mark Knowles im Mixed-Halbfinale. Die Wahl-Saarländerin und ihr Partner von den Bahamas unterlagen der tschechisch/pakistanischen Kombination Kveta Peschke und Aisam-Ul-Haq Qureshi mit 6:7 (5:7), 6:7 (4:7). dpa

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