"Ein Finale wie aus dem Irrenhaus"

Buenos Aires. Noch nie und nirgendwo war Fußball so absurd und unsinnig wie dieser Tage in Argentinien. An diesem Sonntag spielt der kleine Buenos-Aires-Vorort-Verein Tigre um den ersten Erstliga-Titel in der knapp 110-jährigen Clubgeschichte - gleichzeitig aber auch gegen den Abstieg in die 2. Liga

 Spieler des argentinischen Vereins Tigre jubeln in dieser Szene über den Sieg gegen Banfield. An diesem Sonntag spielt der Club am letzten Spieltag um den Titel und gleichzeitig gegen den Sturz in die 2. Liga. Foto: Failla/dpa

Spieler des argentinischen Vereins Tigre jubeln in dieser Szene über den Sieg gegen Banfield. An diesem Sonntag spielt der Club am letzten Spieltag um den Titel und gleichzeitig gegen den Sturz in die 2. Liga. Foto: Failla/dpa

Buenos Aires. Noch nie und nirgendwo war Fußball so absurd und unsinnig wie dieser Tage in Argentinien. An diesem Sonntag spielt der kleine Buenos-Aires-Vorort-Verein Tigre um den ersten Erstliga-Titel in der knapp 110-jährigen Clubgeschichte - gleichzeitig aber auch gegen den Abstieg in die 2. Liga. "Wir denken gar nicht an den Titel, wir spielen am Sonntag ums nackte Überleben", sagt der junge Trainer des Clubs, der frühere Nationalspieler Rodolfo Arruabarrena.

Verhängnisvoller Punkteschnitt

Das ist nur möglich, weil in der Primera División die Abstiegstabelle aus dem Punktedurchschnitt der letzten drei Jahre errechnet wird. Der Meister wird aber nach einer Tabelle alle sechs Monate ermittelt. Schließlich gibt es in Argentinien im Jahr zwei Meister, einen Hin- und einen Rückrunden-Champion. "Das ist ein Finale wie aus dem Irrenhaus", schreibt die größte Zeitung des Landes "Clarín". Der Liga-Fußball im Lande des Diego Maradona und Lionel Messi werde technisch immer schlechter und immer chaotischer, dafür aber immer spannender, alles sei möglich, heißt es kritisch. Und das angesehene Blatt "La Nación" schimpft: "Nur bei uns in Argentinien ist so etwas möglich, das müsste ins Guinness-Buch der Rekorde."

Vor der 19. Runde des sogenannten Abschlussturniers ist Tigre mit 35 Punkten zusammen mit einem anderen Fußball-Zwerg, Arsenal de Sarandí, Tabellenführer. Mit 33 Zählern hat auch Traditionsclub Boca Juniors noch Titelchancen. Wenn Tigre an diesem Sonntag im heimischen Estadio José Dellagiovanna nördlich von Buenos Aires Independiente schlägt, sind im schlechtesten Falle zwei Entscheidungsspiele gegen Arsenal, das Belgrano empfängt, garantiert.

Der direkte Sturz Tigres in die 2. Liga ist zwar nicht mehr möglich, die Kicker in den blau-roten-Trikots können aber die Relegationsspiele gegen den Abstieg aus eigener Kraft nicht mehr verhindern - sie haben in den vergangenen drei Jahren einfach zu wenig Punkte gesammelt. Nun müssen sie gewinnen und hoffen, dass San Martín de San Juan verliert und Rafaela höchstens einen Punkt holt. Dann müsste man nicht in die Relegation.

"Unglaublich erschöpfend"

Vor Saisonbeginn hatte Tigre so wenige Punkte, dass der Abstieg besiegelt schien. Dann machte das Team aber in bislang insgesamt 37 Spielen der beiden "Halbturniere" viel Boden gut. Tigres Stürmer Carlos Luna klagt: "Seit einem Jahr spielen wir wegen des Punktedurchschnitts mit dem Taschenrechner in der Hand, das ist unglaublich erschöpfend."

Deshalb könnte nach dem letzten Spieltag die Saison für Tigres Helden noch lange nicht vorbei sein. Neben den beiden Entscheidungsspielen oder sogar einem Miniturnier mit Arsenal und Boca um den Titel läuft Tigre Gefahr, auch Entscheidungsspiele gegen den Abstieg bestreiten zu müssen.

Der ungewöhnliche, im Reglement schlicht und einfach nicht vorgesehene Fall deckt schonungslos das Chaos beim Nationalverband AFA auf. Der Verband wird seit über drei Jahrzehnten vom Fifa-Senior-Vizepräsidenten Julio Grondona (80), daheim argwöhnisch "Pate" genannt, geführt. Mehrere Sprecher und Funktionäre des Nationalverbandes hatten versichert, Tigre werde im Falle eines Abstiegs der Titel aberkannt werden müssen. Kurz vor dem Saison-Finale wurde nun die fehlende Passage ins Reglement geschrieben: Ein Absteiger kann Meister sein, aber nicht an der jeweils nächsten Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League, teilnehmen. "Uns doch egal, wir wollen uns in erster Linie retten", sagt Spielmacher Diego Morales. dpa

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