Ein Aufstieg auf roten Elefäntchen"Viele Vereine wollen der großen Nachfrage gerecht werden"

Saarbrücken. Ich stehe vor dem Kletterzentrum Saarbrücken in der Mainzerstraße und frage mich zunächst, ob ich hier überhaupt richtig bin. Denn die Eingangshalle wirkt eher wie das Foyer der Finanzbehörde Baden-Baden. Ich folge den Pfeilen und nähere mich im zweiten Stock einer unscheinbaren Glastür

Saarbrücken. Ich stehe vor dem Kletterzentrum Saarbrücken in der Mainzerstraße und frage mich zunächst, ob ich hier überhaupt richtig bin. Denn die Eingangshalle wirkt eher wie das Foyer der Finanzbehörde Baden-Baden. Ich folge den Pfeilen und nähere mich im zweiten Stock einer unscheinbaren Glastür. Hinter der sollten mich Christina und Peter Rückel, die Betreiber der Kletterhalle, erwarten. Tun sie auch, womit sich meine Frage geklärt hätte.

Die Kletterhalle sieht beeindruckend aus. Über 1000 Quadratmeter erstrecken sich die Kletterwände mit Überhängen, künstlichen Felsspalten und Gesteins-Formationen. Auch die Höhe der Halle von zwölf Metern wirkt imposant und beängstigend zugleich. Zwölf Meter! Na ja, Anfänger werden sicherlich nicht über eine durchschnittliche Spuckhöhe von vielleicht zwei bis drei Metern geschickt. Hatte ich mir zumindest vorgestellt.

"Mal sehen, ob du es bis unters Dach schaffst", sagt Peter Rückel. Redet er mit mir? Seine Frau Christina kommt derweil mit profillosen, rutschfesten Schuhen, die mir allerdings viel zu klein sind. "Nee, die passen schon. Die müssen wirklich ganz eng sitzen, damit du ein besseres Gefühl hast", klärt sie mich auf. Gefühl ist ein gutes Stichwort, weil ich langsam - nämlich mangels Blutzirkulation, die sich vom großen Onkel in Richtung Ferse ausdehnt - nichts mehr spüre. Nach langen Verhandlungen gewährt man mir eine Nummer größer, aber noch immer fühle ich mich wie die dicke Schwester von Aschenputtel, als der Prinz den High-Heels-Test mit ihr gemacht hat. Egal, da muss ich jetzt durch.

Peter gibt mir den Sicherheitsgurt, den ich anlegen soll. Mit der folgenden Aktion bringe ich meine absolute Unkenntnis über diesen Sport mehr als deutlich zum Ausdruck. Zwar schlüpfe ich noch einigermaßen sicher in die Beingurte hinein, beim kläglichen Versuch, mir den Hüftgurt wie einen Rucksack über die Schultern zu spannen, werde ich allerdings entlarvt. "Das hat bis heute auch noch niemand so gemacht", muss Peter lachen und eilt mir zur Hilfe. Sicher mit dem Gurt verschnürt, gehen wir zur Wand. Zig Routen kann man hier klettern, alle mit dem jeweiligen Schwierigkeitsgrad - aufsteigend von eins bis zehn - und einem Namen versehen.

"Ich würde vorschlagen, wir gehen für den Anfang mal zur Kinderwand", lautet Peters Einschätzung meiner Kletterkünste. Darf man sich bei anderen Routen nur an den Griffen einer Farbe nach oben hangeln, ist hier alles erlaubt. Wie Spiderman schleiche ich dem Ziel in knapp fünf Metern Höhe entgegen. Fasse nach roten Elefäntchen und stelle mich auf gelbe Schildkröten und ähnliche Formen, die die Griffe an der Kinderwand darstellen.

Unten steht Peter und sichert mich. Beim Legen des Achter-Knotens am Gurt hat er mir erzählt, dass es seit der Eröffnung vor einem Jahr noch keinen Unfall gegeben hat. Das beruhigt mich zwar, aber es wollte auch bis heute noch niemand seinen Hüftgurt über die Schultern schnallen . . . Oben angekommen, seile ich mich federleicht ab und bin für schwierigere Aufgaben bereit.

"Klettern ist eine Kombination aus Mut, Kraft, Körperspannung und Technik", gibt mir Peter mit auf den Weg, bevor ich mich an eine Route namens "Purple Rain" mache. Nicht nur der Name kommt mir sehr bekannt vor, auch die 5+, die den Schwierigkeitsgrad bezeichnet, erinnert mich stark an meine Schulzeit. Peter traut mir einiges zu. Kein Wunder, so wie ich eben die Kinderwand hoch bin.

Vor lauter Adrenalin würde ich mich jetzt sogar barfuß in die Eiger-Nordwand hängen. Bei "Purple Rain" darf ich allerdings nur die roten Griffe verwenden. Auf halber Strecke entdecke ich einen Fehler und rufe nach unten: "Hier habt ihr vergessen, ein paar Griffe anzuschrauben." "Haben wir nicht", lautet die Antwort. "Einfach den Körperschwerpunkt möglichst dicht an die Wand bringen, mit beiden Füßen auf einen Griff stellen und dann nach oben springen." Mit letzter Kraft schaffe ich das sogar irgendwie, ohne mir was auszukugeln, richte meinen Blick zum ersehnten Griff und springe ab. Dank der Unterstützung von Peter, der das Seil straff zieht, meistere ich die Übung und berühre irgendwann die Hallendecke. Eine Mischung aus Jubel, Freude, Erschöpfung und Entkräftung überkommt mich, als ich wieder festen Boden unter mir spüre.

Auf der nächsten Route namens "Black Mamba" muss ich kurz vorm Ziel passen. In dieser Zitrone ist kein Saft mehr. Ich spüre zwar weder Arme, noch Beine, aber das war es allemal wert. Klettern macht richtig Spaß, und auch blutige Anfänger wie ich haben sehr schnell Erfolgserlebnisse.

Apropos Erlebnis. Sicher war es für Reinhold Messner ein erhabenes Gefühl, als er zum ersten Mal auf dem Mount Everest stand und mit dem Yeti abklatschte. Aber es war ganz bestimmt nichts im Vergleich zu dem Moment, als sich meine Füße wieder aus den Kletterschuhen pellten und ich leise "Freiheit" säuselte. Bei Christina und Peter Rückel verabschiede ich mich, nicht ohne vorher einen Anfängerkurs zu buchen. Mit "Black Mamba" habe ich noch eine Rechnung zu begleichen.

Herr Müller, im deutschsprachigen Raum gib es derzeit mehr als 400 000 aktive Kletterer. Wie viele Anhänger hat dieser Sport im Saarland?

Heinz Müller: Zur Kletterszene gehören etwa 500 Personen, die den Sport im Verein ausüben. Wie hoch die Zahl derer ist, die nicht in Vereinen organisiert sind, lässt sich schwer schätzen.

Man konnte in den vergangenen Jahren beobachten, dass sich Klettern wachsender Beliebtheit erfreut und zu den Boom-Sportarten zählt. Wo wird im Saarland geklettert?

Müller: Im Saarland hat man bereits vor gut 80 Jahren mit dem Felsklettern begonnen. 1992 wurde in Ensdorf die erste Kletterwand im Saarland errichtet, die auch für Nicht-Mitglieder des Saarländischen Bergsteiger- und Skiläuferbundes zugänglich war. Vor einem Jahr eröffnete die Halle im Saarbrücker Johannishof, und seit kurzer Zeit befindet sich auch im ehemaligen Hallenbad in St. Wendel eine Kletterhalle. Parallel dazu haben viele Vereine ihre eigenen Kletterwände, um der großen Nachfrage gerecht zu werden.

Ist Klettern eher eine Individualsportart?

Müller: Von der Urform her nicht. Ein Kletterer braucht immer jemanden, der ihn sichert, woraus für diesen Sport auch eine enorme soziale Bedeutung wächst. Durch diese Verantwortlichkeit nimmt Klettern gegenüber vielen Sportarten eine Sonderstellung ein, weil untereinander großes Vertrauen bestehen muss. Klettern gewinnt daher auch zunehmend für pädagogische Institutionen an Bedeutung. Beim Bouldern, also dem Klettern ohne Sicherung, haben diese Aspekte natürlich weniger Bedeutung.

Werden auch Wettbewerbe ausgetragen?

Müller: Seit 30 Jahren finden solche Wettkämpfe an normierten Wänden statt, was auch im Saarland zu dem Wunsch geführt hat, eine künstliche Kletterwand zu installieren. Seit 2005 befindet sich in der Saarbrücker Hermann-Neuberger-Sportschule eine Kletterwand, die den Sportlern des Verbands-Kaders zur Verfügung steht. Es finden seit den Neunzigern Saarlandmeisterschaften statt. Im kommenden Januar wird in Ensdorf der Kids-Cup ausgetragen. Unser Ziel ist es, den Nachwuchs in den kommenden Jahren an die nationale Spitze heranzuführen.

"Klettern ist

eine Kombination

aus Mut, Kraft, Körperspannung

und Technik."

Peter Rückel, Betreiber des Kletterzentrums in Saarbrücken

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