„Ein Armutszeugnis“

Baden-Baden · Europameister Robert Harting als Sportler des Jahres? Kein Olympiasieger von Sotschi wie Eric Frenzel oder Felix Loch? Nicht nur Siegerin Maria Höfl-Riesch äußerte deutliche Kritik an der Wahl des Diskus-Riesen.

Ihre eigene Ehrung rührte sie zu Tränen. Doch mit der Wahl von Robert Harting zu Deutschlands Sportler des Jahres war Maria Höfl-Riesch alles andere als einverstanden. "Ich finde es bedenklich, dass ein Europameister aus dem Sommer anscheinend mehr Wert ist als ein Olympiasieger aus dem Winter", sagte der zurückgetretene Ski-Star nach der Gala in Baden-Baden . "Traurig für den Wintersport" fand Höfl-Riesch die Wahl des Diskus-Riesen und bezeichnete sie als "ein Armutszeugnis".

Harting, der in 2014 "nur" den EM-Titel gewann, hatte sich beim Votum der etwa 1200 Sportjournalisten vor den Olympiasiegern Eric Frenzel und Felix Loch durchgesetzt. Der streitbare Leichtathlet fand auch in einem Jahr ohne WM und Sommer-Olympia für seine Leistungen mehr Anerkennung als der Kombinierer und der Rodler, die hochdekoriert aus Sotschi heimgekehrt waren.

Höfl-Riesch betonte, dass sie Hartings Leistung schätze und respektiere. Doch gerade mit Blick auf Frenzel und Loch fehlte ihr jegliches Verständnis. Selbst Harting, normalerweise das personifizierte Selbstvertrauen, fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. "Ich schäme mich ein bisschen", sagte er und fügte demütig hinzu: "Ich muss mich bei meinen Wintersport-Kollegen entschuldigen, dass ich in einem olympischen Wintersportjahr gewonnen habe." Es war sein dritter Titel in Folge.

Auch Kollegen aus der Leichtathletik kritisierten Hartings Wahl. "Bei aller Liebe zur eigenen Sportart hätte meiner Meinung nach ein Olympiasieger gewinnen sollen", sagte der Zweibrücker Stabhochspringer Raphael Holzdeppe.

Wintersportler bei den Jahreswahlen zu ignorieren, ist ein europaweiter Trend. In den Niederlanden gewann die Wahl, die dort nicht unter Journalisten, sondern unter Sportlern und Funktionären durchgeführt wird, Fußballer Arjen Robben und nicht etwa Eisschnelllauf-Olympiasieger Michael Mulder. In der Schweiz (Wahl von Journalisten und Zuschauern) setzte sich Davis-Cup-Sieger Roger Federer durch, der ohne großen Einzeltitel geblieben war, statt Doppel-Olympiasieger Dario Cologna (Langlauf). Und Federer räumte auch noch den Team-Titel ab. In Österreich führte die (Journalisten-)Wahl von Robbens Münchner Club-Kollegen David Alaba zu Tumulten während der Gala, weil die Ski-Olympiasieger Mario Matt und Matthias Mayer leer ausgingen.

Dass einem der Fußball-Weltmeister in Deutschland der Sprung aufs Einzeltreppchen verwehrt blieb, lag wohl vor allem an der Tatsache, dass es den Titel "Mannschaft des Jahres" gibt und die Helden von Rio "Die Mannschaft" sind.

In Baden-Baden war das Team extrem ausgedünnt. Bundestrainer Joachim Löw dürfte sich beim Empfang des Pokals etwas einsam gefühlt haben. Von der Weltmeister-Elf war nur Christoph Kramer gekommen. Löw bat um Verständnis: "Für die Spieler war das Jahr mit unglaublichen Strapazen verbunden. Sie wollen jetzt jeden freien Tag nutzen."

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Auf einen BlickWahl der "Sportler des Jahres" des Jahres 2014:Sportlerin des Jahres: 1. Maria Höfl-Riesch (Ski alpin) 3147 Punkte, 2. Natalie Geisenberger (Rodeln ) 1830, 3. Carina Vogt (Skispringen ) 1782, 4. Anna Schaffelhuber (Para-Ski) 1256, 5. Antje Möldner-Schmidt (Leichtathletik ) 944, 6. Kristina Vogel (Radsport ) 928, 7. Lisa Brennauer (Radsport ) 597, 8. Sandra Auffarth (Vielseitigkeit) 564, 9. Lena Schöneborn (Moderner Fünfkampf) 557, 10. Christina Schwanitz (Leichtathletik ) 525.Sportler des Jahres: 1. Robert Harting (Leichtathletik ) 2100, 2. Eric Frenzel (Nordische Kombination) 2055, 3. Felix Loch (Rodeln ) 1467, 4. Martin Kaymer (Golf) 1419, 5. Sebastian Kienle (Triathlon) 1251, 6. Severin Freund (Skispringen ) 813, 7. Nico Rosberg (Motorsport) 748, 8. Marcel Kittel (Radsport ) 742, 9. Felix Neureuther (Ski alpin) 725, 10. David Storl (Leichtathletik ) 674.Mannschaft des Jahres: 1. Fußball-Nationalmannschaft 4660, 2. Skisprung-Team 1846, 3. Volleyball-Nationalmannschaft 1115, 4. FC Bayern München (Fußball) 1073, 5. SG Flensburg-Handewitt (Handball) 856, 6. VfL Wolfsburg Frauen (Fußball) 592, 7. Dressur-Team (Reitsport) 436, 8. Fedcup-Team (Tennis) 390, 9. Staffel 4x100 Meter (Leichtathletik ) 333, 10. ERC Ingolstadt (Eishockey) 332. dpa

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