Interview Boris Obergföll „Diese Generation ist außergewöhnlich“

Rehlingen · Speerwurf-Bundestrainer Boris Obergföll spricht vor dem Pfingstsportfest in Rehlingen über die Weltklasse aus Deutschland.

 Boris Obergföll (früher Henry) kommt immer wieder gerne in die alte Heimat. Zuletzt begleitete er seinen Schützling, den ehemaligen Saar-05-Speerwerfer Johannes Vetter, der wie Obergföll inzwischen in Offenburg lebt. Foto: Ruppenthal

Boris Obergföll (früher Henry) kommt immer wieder gerne in die alte Heimat. Zuletzt begleitete er seinen Schützling, den ehemaligen Saar-05-Speerwerfer Johannes Vetter, der wie Obergföll inzwischen in Offenburg lebt. Foto: Ruppenthal

Foto: Ruppenthal

Ein neuer deutscher Rekord. Zurzeit Platz eins, zwei, drei, sieben und acht der Welt. Und die aktuellen deutschen Top Fünf alle mit Bestleistungen in den Top Zehn der ewigen deutschen Bestenliste. Die deutschen Speerwerfer haben zu Saisonbeginn weltweit für Furore gesorgt. Im Interview mit SZ-Mitarbeiterin Silke Bernhart spricht Bundestrainer Boris Obergföll, der aus Ludweiler stammt, von einer besonderen Speerwurf-Generation.

Herr Obergföll, die starken deutschen Speerwerfer sind noch stärker geworden. Würden Sie von der besten deutschen Speerwurf-Generation aller Zeiten sprechen?

Boris Obergföll Nach der Generation mit Raymond Hecht, Peter Blank und mir ist das bisher wirklich mit Abstand die beste Speerwurf-Generation, die wir je hatten. Das kann ich nur unterstreichen. Es gibt alle zehn bis 15 Jahre vielleicht mal Jahrgänge, da sind auf einmal vier, fünf Athleten dazu in der Lage, 88 Meter zu werfen. Dass aber in Deutschland auf einmal so viele Athleten so weit werfen, das ist schon außergewöhnlich, und das erschreckt dann auch schon die anderen Nationen in der Welt.

Sie waren mit Athleten und Heimtrainern im Februar auf Lanzarote und zuletzt in Potchefstroom in Südafrika im Trainingslager. Haben sich die Weiten dort schon angedeutet?

Obergföll Bei den Leistungen, die ich von den Jungs im Trainingslager gesehen habe, überrascht es mich nicht, dass sie auch im Wettkampf schon so weit werfen.

"Gemeinsam statt gegeneinander" - könnte so das Motto der Deutschen lauten?

Obergföll Mir ist es wichtig, ein Team zu formen. Natürlich sind alle Athleten in meinem Bundeskader zusammen mit ihren Trainern Individualisten, das sollen sie auch bleiben. Aber wir wollen in der Außendarstellung versuchen, als ein Team aufzutreten. Alle verstehen sich gut und sind viel näher zusammengerückt als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Auch das hat sicher mit dazu geführt, dass wir schon im letzten Jahr einen großen Satz nach vorne gemacht haben.

88-Meter-Werfer Julian Weber hat sich verletzt und fällt für die Saison aus. Aber mit Thomas Röhler, Johannes Vetter, Andreas Hofmann und Lars Hamann stehen dennoch vier Deutsche in den Top sieben der Welt. Was zeichnet sie aus?

Obergföll Das ist ja das Interessante an unserem Job, dass man keine Schablone anlegen kann, dass unterschiedliche Wege und Techniken zum Erfolg führen können. Johannes Vetter ist mit Abstand der Stärkste und Geschmeidigste der vier Werfer. Aber auch Lars Hamann hat verdammt gute Kraftwerte und trifft den Speer besonders gut. Andreas Hofmann hingegen ist der Schnellkräftigste, seine Explosivwerte sind gigantisch, und er hat die längsten Hebel. Aber er ist technisch noch nicht so versiert wie Lars und Johannes. Thomas hat über Jahre hinweg eine sehr gute Technik akribisch weiterentwickelt und auf hohem Niveau stabilisiert. Er trifft den Speer von allen Werfern am besten und hat auch mit Abstand das beste Stemmbein. In den letzten Jahren hat er außerdem sein Training noch vermehrt in Richtung Schnellkraft ausgerichtet. Der Laie mag sagen: Die werfen doch alle schön. Aber es sind Nuancen, die entscheidend sind, ob man weit wirft oder nicht.

Dass sie die Speere nun ständig Richtung 88 Meter und weiter schicken, wäre wünschenswert, oder?

Obergföll Alle denken, dass die Athleten jetzt weiter in diesem extrem hohen Leistungsbereich werfen. Aber diese Erwartungen sollten sie bitte schnell wieder herunterschrauben - das wird nicht so sein. Dafür müssten die Bedingungen an jedem Wettkampftag immer perfekt passen. Wenn die vier Jungs über die Saison hinweg gesund bleiben und immer zwischen 83 bis 87 Meter werfen, wäre das eine schöne Geschichte. Von Thomas zu erwarten, dass er jetzt immer 94 Meter wirft, ist einfach Quatsch. Letztlich zählt in diesem Jahr ohnehin nur die Platzierung bei der WM. Die Athleten, das Team und der DLV werden in ihrer Leistung danach beurteilt, wie wir dort abschneiden. Wenn die Top-Werfer im Vorfeld stark geworfen haben, aber in London keine Medaille holen, wird die Kritik eh wieder groß sein. Deshalb: Ball flach halten.

Bei der WM in London dürfen nur drei Athleten starten. Für Sie bahnt sich eine schwierige Entscheidung an, auch weil Sie Bundestrainer und Heimtrainer von Vetter sind.

Obergföll: Mir ist es wichtig, neutral zu bleiben. Klar trainiere ich als Heimtrainer einen 89-Meter-Werfer, aber ich darf nicht einfach hingehen und sagen: Den nehme ich auf jeden Fall mit. Entscheidend sind die Leistungen, wenn es in Richtung Saison-Höhepunkt geht. Wenn dann drei Athleten besser sein sollten, müsste mein Heim-Athlet zuhause bleiben, so hart das auch ist. Etwas anderes wird es unter meiner Führung nicht geben. Julian Weber ist leider durch die Verletzung in diesem Jahr weggebrochen. Aber leichter macht das die Sache deshalb nicht.

Sie kennen in der Konstellation Athlet-Heimtrainer-Bundestrainer alle Rollen aus eigener Erfahrung. Welche Impulse bringen Sie aus Ihrer Aktivenzeit mit in das Amt als Bundestrainer, was ist Ihnen besonders wichtig?

Obergföll Ich war damals von meinen zuständigen Bundestrainern nicht besonders begeistert. Deswegen wollte ich eigentlich auch nicht selbst Bundestrainer werden. Es gab kein Team, keine gegenseitige Unterstützung, alle waren Einzelkämpfer. Das wollte ich ändern. Ich kann niemanden zur Teamarbeit zwingen. Aber ich will zeigen, dass es dem Team, den Trainern und den Athleten in einem großen Wettkampf nur Vorteile bringen kann, wenn man sich gegenseitig hilft. Dass dann im Haupt-Wettkampf des Jahres nur einer gewinnen kann, ist klar. Das wird immer so sein.

Auch in der Zusammenarbeit mit anderen Bundestrainern haben Sie zuletzt große Wertschätzung erfahren: Sie wurden zum Sprecher der Trainer im DLV gewählt. Was bedeutet Ihnen diese Wahl?

Obergföll Das ist eine besondere Auszeichnung für mich, die Wahl ehrt mich sehr. Ich hoffe, ich kann der Aufgabe und der Verantwortung, die damit einhergeht, gerecht werden und helfen, Probleme zu lösen, wenn sie auftreten. Glücklicherweise unterstützt mich Pierre Ayadi in dieser Rolle, worüber ich sehr glücklich bin. Zu zweit kann man Probleme besser erfassen und die beste Lösung für beide Seiten finden.

Worin sehen Sie die Herausforderungen in dieser Position?

Obergföll Die Herausforderung liegt darin, helfen zu können, wenn ein Problem im Trainerteam auftritt. Das Problem an die richtige Stelle zu tragen und dort gemeinsam eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden.

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Weltmeister Yego trifft die deutsche Elite Julius Yego ist einer der internationalen Stars beim Pfingstsportfest am Montag in Rehlingen (Hauptprogramm ab 15 Uhr). Der Kenianer ist amtierender Speerwurf-Weltmeister und wollte eigentlich schon im Vorjahr erstmals im Saarland werfen. Aufgrund einer Erkrankung musste er aber kurzfristig absagen. Yego trifft im Bungertstadion auf die drei deutschen WM-Kandidaten Johannes Vetter (LG Offenburg, Zweiter der Weltrangliste), Andreas Hofmann (MTG Mannheim, Dritter der Weltrangliste) und Lars Hamann (Dresdner SC, Siebter der Weltrangliste). Yego feierte seinen größten Erfolg 2015 mit dem WM-Titel in Peking. Der dortige Siegwurf auf 92,72 Meter macht ihn bis heute zum viertbesten Speerwerfer aller Zeiten mit dem neuen Speer. 2016 folgte mit Silber die erste kenianische Speerwurf-Medaille bei Olympischen Spielen. Anfang Mai gelang ihm in Doha (Katar) mit 81,94 Metern ein für ihn sehr guter Saisoneinstieg.

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