Herr Böhm, als Abteilungsleiter Sport im BMI haben Sie die Reform des Spitzensports wesentlich angestoßen und vorangebracht. Wie sieht Ihre persönliche Zukunft nach der Bundestagswahl aus?
Sportpolitik „Die Spitzensportreform darf nicht scheitern!“
St. Wendel · Der Abteilungsleiter Sport des Bundesinnenministeriums erläutert vor der Tagung in St. Wendel Bedeutung und Hintergründe.
Vor der Konferenz der Sportminister der Länder (SMK) am Donnerstag und Freitag in St. Wendel gibt es für die Teilnehmer gute Nachrichten. Das für den Spitzensport zuständige Bundesinneninnenministerium (BMI) will den Ländern und Kommunen bei den Sportstätten tatkräftig unter die Arme zu greifen. Das kündigt Gerhard Böhm, der Abteilungsleiter Sport im BMI, im Gespräch mit SZ-Mitarbeiter Andreas Müller an. Der 55-Jährige äußert sich ausführlich zur Leistungssport-Reform.
GERHARD BÖHM Ich gehe davon aus, dass ich meine Position wie bisher weiter sehr engagiert ausfülle. Es gibt schließlich viel zu tun.
Derzeit laufen die Sondierungsgespräche für eine neue Regierung. Wäre es nicht verheerend, wenn ein neuer Innenminister im weiteren Prozess der großen Reform des Spitzensports auf Sie und Ihre Erfahrungen künftig verzichten würde?
BÖHM Verheerend wäre, wenn dieser Prozess nicht weiter verfolgt und letztlich zum Erfolg geführt würde. Was meine Person betrifft, ob ich dabei wichtig bin oder nicht, das steht auf einem anderen Blatt. Eine solche Entscheidung trifft ausschließlich der Minister – niemand sonst.
Spüren Sie auf Seiten des Sports den unbedingten, ehrlichen Reformwillen?
BÖHM Es gibt meines Erachtens eine Reihe von Verbänden und Verantwortlichen im Sport, die ehrlichen Willens sind, an diesem Prozess mitzuwirken. Gerade mit den Spitzenverbänden, unseren Zuwendungsnehmern, läuft es in der Regel unproblematisch. Mitunter kommen wir mit ihnen sehr schnell auch zu unkonventionellen und pragmatischen Lösungen. Den guten Kontakt zu den Vertretern der Verbände spüren wir immer wieder, vor allem wenn wir Bundeseinrichtungen oder Olympiastützpunkte vor Ort besuchen. Schon manches Mal hat mich der Minister anschließend gefragt, wie das eigentlich mit den von der Presse berichteten Spannungen zwischen unserer Abteilung Sport und dem Deutschen Olympischen Sportbund zusammengeht.
Welche Erklärungen gibt es dafür?
BÖHM Vor allem erklärt sich das sachlich aus den verschiedenen Interessenlagen, die bei den Verbänden selbstverständlich enger auf ihre Sportart bezogen sind, während es sich bei unseren Kontakten zum DOSB oft um zentrale, sehr komplexe Themen und Problemstellungen handelt. Die Fachverbände sind Zuwendungsnehmer des Bundes und rechtlich damit unser unmittelbarer Partner. Der DOSB ist als Dachverband ausweislich seiner Satzung hingegen Interessenvertreter der Verbände und gibt im Förderverfahren gutachterliche Stellungnahmen zu Anträgen der Verbände ab. Rechtlich ist jede Zuwendungsentscheidung des BMI und des Bundesveraltungsamtes BVA qua Verwaltungsakt über einen Fachverbandsantrag per Widerspruchsverfahren und vor Verwaltungsgerichten justiziabel. Das heißt, BMI und BVA müssen im Ernstfall für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung geradestehen – niemand sonst. Das gilt auch gegenüber dem Bundesrechnungshof und den parlamentarischen Gremien. Letztlich zeigt sich hier nicht nur die politische, sondern auch die rechtliche Verantwortlichkeit des jeweiligen Ministers.
Wird sich daran mit der Spitzensport-Reform etwas ändern?
BÖHM Nein, dieser rechtliche Rahmen ist nicht disponibel. Mit der Reform haben wir uns innerhalb dieses Rahmens auf eine modifizierte Form der Zusammenarbeit geeinigt: Beginnend mit der Einsetzung einer unabhängigen PotAS-Kommission zur Ermittlung der sportfachlichen Tatsachengrundlagen, über die sich anschließenden Strukturgespräche unter Leitung des DOSB bis hin zu Förderkommission unter Vorsitz des BMI. Damit tragen wir den Forderungen des Bundesrechnungshofes nach mehr Neutralität und Transparenz Rechnung. Nicht selten heißt es seitens des Sports aber: Mischt euch da nicht ein! Regelmäßig werden wir mit dem Vorwurf konfrontiert, dass wir vom Sportbetrieb keine Ahnung und dafür auch keine Zuständigkeit hätten. Gewisse Spannungen sind unbequemen Fragen geschuldet, die wir dem Dachverband und den Verantwortlichen für den Spitzensport gestellt haben und weiterhin stellen müssen.
Können Sie uns ein aktuelles Beispiel nennen?
BÖHM Die Olympiastützpunkte. Wir wollten jüngst einfach einmal herausfinden, was die Betreuung eines Athleten an den verschiedenen Olympiastützpunkten im Durchschnitt kostet, wobei wir nicht blauäugig sind und sehr gut wissen, dass dies über Sportarten und Disziplinen hinweg nicht immer vergleichbar und sehr unterschiedlich sein kann. Trotzdem muss eine solche Frage erlaubt sein – und wie sich herausstellte, sind die Unterschiede beträchtlich. Im Durchschnitt beliefen sich die Kosten pro Athlet und Jahr auf rund 5700 Euro. Die Spanne beläuft sich bei den verschiedenen OSPs von 3300 Euro bis zu 17 000 Euro. So etwas können und wollen wir nicht länger akzeptieren.
Normal wäre, dass die DOSB-Chefetage derlei Erhebungen über die Verwendung öffentlicher Mittel selbständig und aus eigenem Antrieb vornimmt. In der Wirtschaft nennt man so etwas Controlling.
BÖHM So eine Kosten-Abfrage wie für die Olympiastützpunkte hat meines Wissens noch nie jemand vorgenommen und verlangt. Auch wenn es dabei zu erstaunlichen Erkenntnissen kommt: Einer muss es machen. Also machen wir es, es handelt sich schließlich um die Verwendung von Steuergeldern.
Mit Hilfe der PotAS-Kommission, sprich: dem Potenzial-Analyse-System, soll den Verantwortlichen im Leistungssportsystem ein ganzer Katalog an Fragen vorgelegt werden. Wann wird dies losgehen?
BÖHM Die Kommission ist seit dem 8. Mai 2017 eingesetzt und arbeitet intensiv an den verschiedenen Themenbereichen. Zwar wird es bei diesem Analyse-System vor allem darum gehen, künftige Erfolgsaussichten in einzelnen Sportarten und Disziplinen zu bestimmen und darauf die Förderung zu konzentrieren. Den Fokus darauf zu verengen, das wird der Aufgabenstellung dieses unabhängigen, neutralen Gremiums aber bei weitem nicht gerecht. Der von Ihnen genannte komplexe Kriterien- und Fragekatalog muss fortlaufend überarbeitet werden. Das ist eine wesentliche Aufgabe der Kommission und als Daueraufgabe angelegt. Allein für die Sommersportarten sind dann mehr als 5000 Einzelbewertungen zu erwarten. Der Fragenkatalog wird sämtliche Themenkreise berühren. Das reicht von aktuellen Wettkampf-Ergebnissen bei Zielwettkämpfen, Fragen zur sogenannten dualen Karriere, Talentkonzeptionen, Richtlinienkompetenz, Trainingsdatendokumentationen, Rahmentrainingspläne – um nur einiges zu nennen. Außerdem geht der Katalog grundsätzlichen Themen nach und fragt zum Beispiel, wie in den Verbänden die gesundheitliche Betreuung der einzelnen Athleten und das Gesundheitsmanagement geregelt sind. Bei den Antworten wird sich niemand verstecken können, das wissen alle Beteiligten sehr genau.
Das klingt für den Sport nach einem bislang völlig unbekannten Pensum an Hausaufgaben.
BÖHM Die Verbände haben nach meinem Eindruck die Bedeutung, aber auch die Chance des Prozesses erkannt und bereiten sich auf diese Analyse gründlich vor. Das ist gut so und ist genauso gewollt. Mit diesen Expertisen werden wir endlich ein auf Tatsachen gestütztes, aussagekräftigeres Werkzeug an die Hand bekommen, mit dem sich dann im Idealfall in drei Clustern deutlich differenzierter und bedarfsgerechter arbeiten lässt, dem Exzellenz-Cluster, dem Potenzial-Cluster und dem Cluster mit wenig oder gar keinem Potenzial. Der übergeordnete Grundsatz bei alldem lautet: Wir wollen weiterhin breit fördern, aber nicht alles gleich, sondern akzentuierter, punktueller, gezielter. Beispielsweise nicht die gesamte Breite der Leichtathletik mit ihren 47 Einzeldisziplinen, sondern vornehmlich die aussichtsreichsten Disziplinen, wobei wir in bestimmtem Maße auch sportlichen Traditionen verpflichtet sind und solche Aspekte nicht ausblenden wollen.
Trotzdem dürfte es am Ende für manchen Athleten schlechte Nachrichten geben?
BÖHM Das wird im Einzelfall sicher hier und da der Fall sein. Aber wir als BMI und auch alle anderen Verantwortlichen im Sport sind auch gegenüber den Athleten in der verdammten Pflicht, ehrlich zu sein.
Was meinen Sie damit?
BÖHM Wir dürfen nicht länger zulassen, dass sie im Glauben an Perspektiven gelassen werden, wo objektiv keine zu sehen sind. Wir dürfen den Sportlern keine falschen Hoffnungen machen, was nur die Vergeudung von Zeit, vor allem von Lebenszeit und Aufwand, für diese Athleten zur Folge hätte. Sie könnten ihre Kräfte und ihr Engagement dann besser im Sinne ihrer weiteren Lebensplanung einsetzen. Auf der anderen Seite sollen künftig all jene Athleten die allerbeste Unterstützung bekommen, die die persönlichen Voraussetzungen haben, zu reüssieren und die sich für den Erfolg bedingungslos engagieren.
Ist die bislang eher fragile Reform des Spitzensports unumkehrbar oder könnte sie noch gekippt werden, vielleicht sogar von einem neuen Bundesinnenminister?
BÖHM Diese Reform darf nicht scheitern! Die Rahmenbedingungen des Spitzensports zu verbessern, das liegt in erster Linie im Interesse der Sportler selbst und damit im Interesse des Sports insgesamt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Entwicklung wieder zum Stillstand gebracht oder sogar zurückgedreht werden wird. Ich drücke es mal so aus: Ein vom Bundeskabinett am 15. Februar diesen Jahres gebilligtes Konzept zur Reform des Spitzensports hat eine gewisse Bindungswirkung.
Zugrunde liegt all dem die Forderung des jetzigen Bundesinnenministers Thomas de Maiziere an die deutsche Sport-Organisation, mit etwa gleichbleibenden Fördermitteln demnächst rund ein Drittel mehr Olympiamedaillen zu gewinnen. Kritiker meinen, dies sei in Zeiten von Doping und Manipulationen das falsche Signal. Dieses Medaillen-Ziel sei mit lauteren Mitteln gar nicht zu erreichen.
BÖHM Einem Minister wird wohl erlaubt sein dürfen, seine grundlegenden Ansprüche an den vom Staat maßgeblich geförderten Spitzensport in Deutschland auch in etwas zugespitzter und provokativer Weise zu erheben. Die Formulierung von einem Drittel mehr Medaillen ist nicht unbedingt wortwörtlich zu nehmen, sie steht symbolisch für die unbedingte Forderung an das deutsche Leistungssport-System, mit öffentlichen Mitteln effizienter umzugehen. Es geht nicht nur um Medaillen, das oberste Gebot heißt Effizienz, eingebettet in unverzichtbare Eckpfeiler wie ein klares Bekenntnis zu Anti-Doping, gegen Manipulation und Korruption, zu Good-Governance und die Verpflichtung zum Wohl und zur Gesundheit der Athletinnen und Athleten. Dieser Anspruch ist ganz sicher erlaubt, wenn man weiß, dass zum Beispiel die Briten mit rund einem Drittel an Athleten bei Olympischen Spielen inzwischen drei Mal erfolgreicher sind als wir. Außerdem braucht das BMI ganz gewiss keine Nachhilfe in Sachen Anti-Doping, da muss uns niemand belehren. Zwei Drittel ihres Gesamt-Etats von zirka zehn Millionen Euro erhält die Nationale Anti-Doping-Agentur vom Bund. Der Kampf gegen Doping ist für uns ein knallhartes Kriterium. Wenn ein Verband das nicht erfüllt, dann bekommt er kein Geld mehr von uns. Das ist ganz einfach.
Erstaunlich ist, dass beim Ringen um mehr Effizienz im Leistungssport das Einsparpotenzial etwa bei Sportstätten kein Thema zu sein scheint, um deren baulichen Zustand sich Ihr Referat 3 kümmert. Brauchen wir tatsächlich vier Bob- und Rodelbahnen oder – etwas zugespitzt – mehr Eishallen, als die Deutsche Eislauf-Union an Kaderathleten in ihren Reihen hat?
BÖHM Es ist richtig, dass wir nicht mehr an jeder Ecke alles machen und finanzieren können. Wir müssen Prioritäten setzen, der Rückbau von Sportstätten wird künftig bestimmt kein Tabu sein. Derzeit konzentrieren wir uns auf einen Weg, wie wir unter anderem die Kommunen beim Thema Sportstätten für den Spitzensport entlasten können. Das ist derzeit eines der dringendsten Probleme in diesem Bereich. Eine Gemeinde wie Inzell zum Beispiel ist komplett überfordert mit den Betriebskosten für die Eisschnelllaufhalle dort. Dies gilt aber nicht nur für kleine Kommunen in Oberbayern. Diese Probleme bestehen bei fast allen Kommunen, egal welcher Größe. Sport ist nun mal keine kommunale Pflichtaufgabe. Und wenn Kommunen erst wegen finanzieller Schwierigkeiten unter besonderer Aufsicht stehen, wird bei freiwilligen Aufgaben, also auch beim Sport, als erstes gekürzt. Das darf im Sinne des Sports nicht passieren. Die Kommunen sollen ja nicht dafür bestraft werden, dass sie über wichtige Sportstätten verfügen. Unsere Idee ist, sie bei den Kosten zu entlasten, zumal es sich dabei sehr oft um Schnittstellen der Sportförderung von Bund und Ländern handelt, um mischfinanzierte Trainer und Stützpunkte, wo Elite, Anschlusskader und Nachwuchs gleichermaßen trainieren. Unser Ziel ist, bei der Konferenz der Sportminister in St. Wendel Eckpunkte für eine Vereinbarung mit den Ländern zu verabschieden. So soll die Mehrbelastung für die Sportstätten des Spitzensports gerechter verteilt werden, dafür wollen wir einen ansehnlichen Betrag bereitstellen – vorbehaltlich der Zustimmung des Bundestages natürlich.
Die Politik und insbesondere das BMI scheint der Sportorganisation in Sachen Leistungssport, Analyse und Konzepten für die Zukunft mittlerweile den Rang abgelaufen zu haben. Es drängt sich die Frage auf, warum Sie nicht konsequent auf ein eigenständiges Sportministerium hinarbeiten?
BÖHM Ein eigenständiges Sportministerium hielte ich persönlich für keine gute Idee. Wenn der Innenminister am Kabinettstisch Platz nimmt, dann sitzt dort ein politisches Schwergewicht. Der Sport ist gut beraten, wenn es bei dieser Konstellation bleibt. Ein eigenes Sportministerium wäre ein kleineres Ministerium unter vielen, auf diese Weise würde der Sport meines Erachtens deutlich verlieren.