Die schillernde Vorzeigefigur

Melbourne. Als Novak Djokovic gestern in den Carlton Gardens zum üblichen Champions-Foto auftauchte, sah der Unbezwingbare von Melbourne wie ein Sommerfrischler aus - entspannt, heiter und vergnügt, gelassen und gelöst. In der Leichtigkeit des Sieger-Seins waren keine Spuren der Schlacht zu entdecken, die am Sonntag für eine Umdeutung der Tennis-Geschichtsbücher gesorgt hatte

 Novak Djokovic posiert mit dem Australian-Open-Pokal in den Carlton Gardens von Melbourne. Foto: Walton/dpa

Novak Djokovic posiert mit dem Australian-Open-Pokal in den Carlton Gardens von Melbourne. Foto: Walton/dpa

Melbourne. Als Novak Djokovic gestern in den Carlton Gardens zum üblichen Champions-Foto auftauchte, sah der Unbezwingbare von Melbourne wie ein Sommerfrischler aus - entspannt, heiter und vergnügt, gelassen und gelöst. In der Leichtigkeit des Sieger-Seins waren keine Spuren der Schlacht zu entdecken, die am Sonntag für eine Umdeutung der Tennis-Geschichtsbücher gesorgt hatte. "Das Adrenalin rauscht immer noch durch den Körper", sagte der Australian-Open-Held, "nach so einem Match brauchst du keinen Schlaf. Da brauchst du nur eine Party."

Becker ist begeistert

Nur ein paar Stunden zuvor war der 24-jährige Frontmann der Branche in einer unendlichen Finalgeschichte in bisher unbekannte Tennis-Galaxien vorgestoßen - die siegreiche Anstrengung des serbischen Superstars im längsten Grand-Slam-Endspiel aller Zeiten gegen Spaniens Matador Rafael Nadal, fünf Stunden und 53 Minuten, rückte in der Hitparade der Allzeit-Klassiker gleich in die exklusive Spitzenregion vor, die "New York Times" verglich den Schlagabtausch mit dem Evergreen der Herren McEnroe und Borg vor fast 32 Jahren auf den Grüns von Wimbledon.

Es war ein Spiel in der Waschküche von Melbourne, das vor allem eins belegte: Der magische "Djoker", der einst bei Niki Pilic in München ausgebildete Spitzenathlet, gehört inzwischen in die Elite-Liga von Rafael Nadal und Roger Federer, er ist der dritte herausragende Spieler dieser Tennis-Epoche - auf Augenhöhe mit dem Spanier und dem Schweizer, die lange Zeit die Pokalformalitäten in geschlossener Gesellschaft unter sich ausgemacht hatten. "Schlichtweg sensationell" sei Djokovics Triumph gewesen, befand Deutschlands frühere Tennisgröße Boris Becker: "Das Finale war ein einziger Werbefilm fürs Tennis."

Tatsächlich übertraf dieser Zweikampf über fast sechs Stunden alles, was man bisher im modernen Tennisbetrieb an Leidenschaft, Intensität und Willenskraft von zwei Gladiatoren erlebt hatte. "Sechs Stunden Krieg. Geschwindigkeit und Kraft in einer neuen Dimension", twitterte neidlos Amerikas Topspieler Andy Roddick zu den beiden Kollegen nach Melbourne hinüber. Auch der Argentinier Juan Martin del Potro, der einzige Spieler, der in den letzten neun Jahren neben Djokovic, Federer und Nadal überhaupt einen Grand Slam-Titel gewonnen hatte (US Open 2009), verneigte sich vor "zwei echten Champions" und gratulierte "aus vollem Herzen".

"Spitze ist festbetoniert"

Der Rest der Welt erlebte allerdings auch mit zwiespältigen Gefühlen, was heute notwendig ist, um einen Grand-Slam-Pokal in die Höhe stemmen zu können. Vier Stunden und 50 Minuten kämpfte sich Djokovic gegen den Schotten Andy Murray ins Finale vor, um dann fast weitere sechs Stunden in einem Fünf-Akter des Wahnsinns zum Sieg zu brauchen. Fast elf Stunden Tennis allein im Halbfinale und Finale - das ist ungefähr so viel Arbeitszeit, wie eine Steffi Graf oder auch eine Serena Williams schon einmal in einer gesamten Turniermission zum Sieg aufwenden mussten.

"Wer soll einen Djokovic, einen Nadal oder auch Federer und Murray jemals in dieser Form schlagen?", meinte Darren Cahill, Ex-Trainer von Andre Agassi: "Die Spitze ist unglaublich festbetoniert. Mit Spielern, die eine neue goldene Ära geschaffen haben."

Und der Mann der Stunde im Hier und Jetzt ist Djokovic - ein Spieler, der vom weinerlichen Jammerlappen zur schillernden Vorzeigefigur aufgestiegen ist. "Es sind diese Augenblicke, für die du lebst als Profispieler", sagte er. Sieben Mal in Serie hat der 24-Jährige nun Nadal geschlagen, wenngleich noch nie so niederschmetternd wie in diesem Finale. "Eindrucksvoller kannst du nicht bestätigen, wer die Nummer eins ist. Wer das Sagen hat, wenn's um Ganze geht", sagte Ex-Profi Jim Courier, in Melbourne als TV-Experte im Einsatz.

Nicht wenige prophezeien Nadal sogar den Verlust seines letzten Tennis-Paradieses, das in Paris liegt, auf den roten Plätzen von Roland Garros. "Wer so ein Spiel gewinnt wie dieses Finale, kann auch die French Open gewinnen", sagte Rod Laver, der große alte Mann des Tennis, "diesem Novak Djokovic ist einfach alles zuzutrauen." Gewänne der Serbe tatsächlich auch dort, hielte er alle vier Grand-Slam-Titel in seinem Besitz - so wie einst Laver.

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