LSVS-Finanzskandal „Die Politik hat auch versagt“

Saarbrücken · Sportökonom Emrich spricht über den LSVS, dessen finanzielle Schieflage, den Ursprung der Probleme und über die fehlende Kontrolle.

 Professor Eike Emrich kennt wie kaum ein Zweiter die Strukturen des Landessportverbandes für das Saarland.

Professor Eike Emrich kennt wie kaum ein Zweiter die Strukturen des Landessportverbandes für das Saarland.

Foto: Oliver Dietze

Der Sportökonom Eike Emrich ist ein gefragter Experte. In der vorvergangenen Woche erklärte der Professor von der Saar-Uni im Landtag den Landessportverband für das Saarland (LSVS). Die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss zum LSVS-Skandal hatten ihn eingeladen. Emrich sprach als Wissenschaftler – und Zeitzeuge: 1988 hatte ihn der damalige LSVS-Präsident Hermann Neuberger als Leiter des Olympiastützpunktes Saarland angeworben. Von 1993 bis 2000 war Emrich außerdem Hauptgeschäftsführer des LSVS. Die SZ hat mit ihm über die Ursachen der Finanzaffäre, die Strukturen des Saarsports und über die Zukunft des Verbandes gesprochen.

Herr Professor Emrich, Sie haben im Untersuchungsausschuss daran erinnert, dass sich der LSVS schon einmal in einer großen Krise befand. Wann war das?

EIKE EMRICH Diese Krise des LSVS war etwa 1992, als nach dem Tod Hermann Neubergers dessen anfangs von vielen Seiten begrüßten Pläne scheiterten, an Stelle der Saarlandhalle unter anderem einen Cinemaxx­-Komplex zu bauen. Die Saarlandhalle war veraltet, den Ansprüchen der Medienlandschaft nicht mehr gewachsen, TV-Übertragungen wurden schwieriger, Buchungen seltener. Die Saarlandhalle hatte für das Saarland eine enorme Imagefunktion. Die einzige Lösung war, sie dem Land für eine D-Mark zu übereignen – wobei der LSVS elf Millionen D-Mark für die Sanierung als „Mitgift“ für das Land schulterte. Die Folge: Sparmaßnahmen. Der LSVS zog vom Haus des Sports in die Sportschule um, mit einem reduzierten Leistungsumfang und reduzierten Geldern für die Verbände.

Die Sportschule gilt heute als teures Prunkstück. Wie sah denn die Anlage aus, als Sie ins Saarland kamen?

EMRICH Ich kam 1988 von Frankfurt hierher, als Leiter des Olympiastützpunktes (OSP). Die Sportschule war damals eine staatliche Einrichtung, seit 1982 vom LSVS bewirtschaftet – mit allen Personalkosten. Im Gegenzug erhielt er die Heizkosten erstattet. Die Sportschule war völlig marode, es regnete in vereinzelte Dächer, die 400-Meter-Rundbahn war kaum benutzbar, die Leichtathletik-Halle bestand aus einer alten Holzbaracke. Das 25-Meter-Schwimmbecken war häufig undicht und verbrauchte ungeheure Energiemengen. Auch die Mensa war marode, stand kurz vor der Schließung usw.

Der LSVS hat dann kräftig in die Sportschule investiert – wieso?

EMRICH Der LSVS hatte mit der Sanierung immer gezögert, weil die Sportschule staatlich war. Als der auch vom Land gewollte OSP kam, brauchte man Sportstätten für den Spitzensport. Die Defizite wurden offensichtlich, der Druck nahm zu. Schließlich hat der LSVS eine vom Staat völlig vernachlässigte Sportanlage saniert und ausgebaut. Alles kostenfrei für das Land, finanziert aus dem Sportachtel und Bundesmitteln, weiterhin über einen Kredit aus den Rücklagen der Saarland-Sporttoto. Die Bedienung des Kredits wurde möglich durch erhebliche Sparmaßnahmen, das Geld fehlte dann aber dem Konsum der Verbände.

Führt für Sie eine Linie von damals zu den heutigen Problemen?

EMRICH Irgendwann werden zu Recht die Verbände vorstellig, die als LSVS-Mitglieder lange Zeit Verzicht üben mussten. Und wenn Sie ausgewogen agieren wollen, gehen Sie hin und öffnen etwas die Schleuse für den Konsum.

Was möglich sein sollte, ohne in Schwierigkeiten zu geraten.

EMRICH Das lief alles noch in akzeptablen Bahnen, bis ein „vergiftetes Geschenk“ kam: Das war die Multifunktionshalle, die wohl erst geplant war für etwa gute vier Millionen Euro. Damals gab es einen Strukturausgleichsfonds für die bundesdeutschen Regionen. Und dann hatte man auch auf Anregung des Landes die Idee, Mittel aus diesem Fonds für die Halle zu verwenden. Der Bau wurde immer größer, sollte immer mehr Ansprüche erfüllen. Am Ende kostete er schätzungsweise das Dreifache. Da mögen zwischen vier und sechs Millionen aus dem Fonds geflossen sein. Aber die sechs, sieben Millionen, die der LSVS bringen musste, die waren im Finanzkonzept nicht vorgesehen. Da entstand eine Schieflage.

Sehen Sie noch andere Ursachen?

EMRICH Dazu kam eine weitere Entwicklung: Der LSVS hat in Folge der Streichung der dritten Sportstunde, der Diskussionen um die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern oder die Integration immer mehr Aufgaben übernommen – bis hin zur Förderung sporttouristischer Aktivitäten. Am Ende hatte er erhebliche Kosten für nicht mehr vollzogene bzw. gekürzte staatliche Aufgaben. Das bedingte einen Teil des Personalaufwuchses – und das trieb die Kosten hoch.

Sie hinterfragen die roten Zahlen des LSVS. Geht es dem Verband besser, als der Konsolidierungsberater annimmt?

EMRICH Das ist eine ganz schwierige Frage. Der Verband hat im Moment sicher ein Liquiditätsproblem. In der Langsicht ist der LSVS aber finanziell wesentlich solider als er dargestellt wird. Ich empfinde es übrigens als völlig unangemessen, dass sich heute eine Politik im Sinne eines Tribunals vor einen Verband setzt, bei dem sie jahrelang Begleitmusik gespielt hat, als er ihre Aufgaben stellvertretend gelöst hat.

Sportminister Bouillon hat wiederholt erklärt, den Saarsport retten zu wollen, aber nicht dessen Strukturen. Wie beurteilen Sie diese Strukturen?

EMRICH Der LSVS hat ein strukturelles Problem: In der Zeit der französischen Herrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg war der Sport im Saarland strukturiert wie in Frankreich. Nämlich „Top-down“, von oben nach unten, der Sport wurde als verlängerter Arm des Staates betrachtet, hatte die Organisationsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er wurde dann in die Bundesrepublik Deutschland überführt, in der der Sport als Gegenreaktion auf das Dritte Reich „Bottom-up“ und föderal strukturiert ist, von unten nach oben. Der LSVS ist der verlängerte Arm der Menschen, die Sport treiben, die sich in Vereinen und Verbänden organisieren. So ergibt sich eine Situation, in der der Gedanke einer nachgeordneten staatlichen Behörde auf die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit trifft, die verfassungsrechtlich garantiert ist. Daraus entsteht ein steter Spannungsbogen: Was darf überhaupt kontrolliert werden, welche Berichtspflichten gibt es? Wenn man genau hinschaut, bewegt sich der LSVS zwischen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und einem eingetragenen Verein. Man könnte von einer Kümmer-Körperschaft sprechen.

Was folgt daraus?

EMRICH Wir haben einmal das neu­ralgische Problem: Körperschaft – Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Das muss man bearbeiten, indem man die Berichtspflichten des LSVS außerhalb der Pflichten gegenüber seinen Mitgliedern genau definiert, Transparenz herstellt. Und gleichzeitig dem Land deutlich macht, dass es sich hier um keine nachgeordnete Behörde handelt, sondern um die auf freiwilliger Vereinigung und Versammlung beruhende Organisation von sporttreibenden Menschen im Land, die für dieses Land erhebliche meritorische Güter erzeugen. Also dem Gemeinwohl dienliche Güter, von denen es nicht genug gäbe, wenn es den LSVS nicht gäbe – und den man dafür, wie in anderen Ländern auch, subventionieren muss.

Für solche Subventionen dürfte die Akzeptanz durch den Skandal schwinden...

EMRICH Ich empfinde die gesamte öffentliche Debatte als problematisch. Sicher gab es einige Punkte, die äußerst fragwürdig sind. Aber insgesamt ist der LSVS mit drei Siebteln Anteilseigner von Saarland-Sporttoto. Diese GmbH generiert für das Land erhebliche Mittel, der Naturschutz, die Kultur usw. profitieren, teilweise in höherem Maße als der Sport. Und dieser Sport verausgabt nun mehr Mittel, als ihm nach dem Sportachtel zustehen, aber weniger, als ihm als Anteilseigner zustünden – und dies für Zwecke, die das Land lange nicht oder unzureichend erfüllt hat. Genau dafür stellt man ihn nun als eine Organisation dar, die erhebliche Fehl- und Misswirtschaft betreibt.

Kritisiert wird auch eine fragwürdige Personal- und Ausgabenpolitik.

EMRICH Alles, was im weiteren Sinne ein Geschmäckle hat, was den Regeln des Anstandes und der Gesetze widerspricht – darüber müssen wir gar nicht reden. Das ist eindeutig illegitim und/oder illegal – das bewerten die Gerichte. Man hat vielleicht auch nach 2000 in dem Gefühl, etwas geleistet zu haben, zu viele Schlucke aus der Pulle genommen. Der Personalbestand ist ausgeufert, da wurde nicht nach harter wirtschaftlicher Rationalität jeder Cent umgedreht. Aber man muss kritikmäßig die Kirche im Dorf lassen, auch wenn das Controlling Schwächen hatte.

Es gab bisher kein Controlling, sagte die Geschäftsführerin des LSVS im Untersuchungsausschuss.

EMRICH Zu meiner Zeit gab es neben mir einen Controller, der aus der Industrie kam. Und der Präsident war jede Woche mindestens einmal zugegen, um sich explizit mit dem Zahlenwerk zu befassen. Für mich ist daraus ableitbar, dass Sie eine Doppelspitze brauchen, Fachleute für den sportlichen und den ökonomischen Teil. Oder jemanden, der beides kann, um den wirtschaftlich komplexen LSVS zu leiten. Also: Der Verband ist schlicht und einfach im wirtschaftlichen Sinne fett geworden und muss eine Hungerkur machen. Ja! Aber man soll nicht so tun, als hätte er völlig über seine Verhältnisse gelebt und dies völlig am Satzungszweck vorbei.

Sie haben von einer „extremen Transparenzpflicht“ des LSVS gesprochen. Wie könnte er die in Zukunft erfüllen?

EMRICH Ich würde vom LSVS erwarten, dass er künftig jährlich den Bericht eines vereidigten Wirtschaftsprüfers vorlegt, nicht nur zu den Mitgliederversammlungen [alle drei Jahre, Anm.]. Und dass der Verband eine andere Struktur überlegt, indem es neben einem hauptamtlichen Vorstand mit maximal zwei Personen ein ehrenamtliches Präsidium mit Aufsichtsfunktion gibt. Die Sportschule würde ich entweder ans Land zurückübertragen. Oder in eine GmbH überführen, in der entsprechende Transparenzregeln gelten.

Aus dem Landtag wird mehr politische Kontrolle für den Sport gefordert. Wäre das auch für Sie ein Ansatz?

EMRICH Die politische Kontrolle gab es doch auf dem Papier immer. Aber sie hat in der Vergangenheit versagt, weil die Sportschule nie saniert und instand gehalten wurde. Die Politik hat auch versagt, als es in den letzten Jahren aus dem Ruder lief, und sie versagt möglicherweise auch aktuell. Wie soll denn eine Kontrolleinrichtung, die zumindest in Teilen versagt hat, heute das stabilisierende Moment darstellen?

Beobachten Sie im Saarland eine zu große Nähe zwischen Sport und Politik?

EMRICH Ja, partiell. Menschen, die sowohl im Sport als auch in der Politik engagiert sind, können vorteilhaft, aber auch nachteilig wirken. Solange es ausreichend Ressourcen gibt, ist das prima. Aber was passiert im Konfliktfall? Kontrollgremien sollten mehrheitlich von Personen besetzt sein, die von den Entscheidungen, die dort getroffen werden, nicht selbst betroffen sind. Um wirtschaftlich rational entscheiden zu können.

Wie erklären Sie sich die Ämterhäufung rund um den Sport – und den Umstand, dass sie jetzt erst auffällt?

EMRICH Ämterbündelungen kommen im Sport überall vor und sind auch in der Politik normal. Sie sind Ausdruck einer Festigung von Strukturen, in denen man Macht bündelt, um sie zum Erreichen von Zielen einsetzen zu können. Die Frage ist, ob man das z.B. in Compliance-Regeln eindämmt. Ich wäre sehr dafür. Auf der anderen Seite ist es schwierig, kompetenten Leuten, die mehrere Ämter haben, bestimmte Ämter zu versagen. Zudem gibt es eine einfache Steuerungsgröße: Der Tag hat für jeden Menschen nur 24 Stunden. Und das begrenzt eigentlich die Zahl zu übernehmender Ämter.

 Die Saarlandhalle in Saarbrücken ist nicht nur Veranstaltungsort für Konzerte und ähnliches, sondern beherbergt auch eine Filiale der Saarland Spielbanken. Die Halle gehörte früher dem Landessportverband für das Saarland.

Die Saarlandhalle in Saarbrücken ist nicht nur Veranstaltungsort für Konzerte und ähnliches, sondern beherbergt auch eine Filiale der Saarland Spielbanken. Die Halle gehörte früher dem Landessportverband für das Saarland.

Foto: Ruppenthal
 Ein Blick ins Innere der Multifunktionshalle an der Sportschule, die Ende 2011 fertiggestellt wurde. Eike Emrich bezeichnet den Bau der Halle, deren Kosten ausuferten, heute rückblickend als „vergiftetes Geschenk“.

Ein Blick ins Innere der Multifunktionshalle an der Sportschule, die Ende 2011 fertiggestellt wurde. Eike Emrich bezeichnet den Bau der Halle, deren Kosten ausuferten, heute rückblickend als „vergiftetes Geschenk“.

Foto: rup

Das Image des LSVS hat durch die Krise enorm gelitten. Sehen Sie eine Chance für einen Neuanfang?

EMRICH Die Reputation des LSVS hat stark gelitten, er hat aber eine kerngesunde Substanz. Worin besteht die? In keinem Bundesland sind so viele Menschen im Sport organisiert wie im Saarland, in keinem Bundesland gibt es prozentual so viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren – immer noch. Die Selbstheilungskräfte des Sports sollte man nicht unterschätzen.

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