Leichtathletik Die olympische Pracht war Lug und Trug

London · Die Leichtathletik kehrt fünf Jahre nach den Sommerspielen nach London zurück. Dort hatte sie noch ein großartiges Fest erlebt.

 Nach seiner Goldmedaille 2012 in London setzte Diskuswerfer Robert Harting, noch voller Adrenalin, zu einem beeindruckenden Hürdenlauf an.

Nach seiner Goldmedaille 2012 in London setzte Diskuswerfer Robert Harting, noch voller Adrenalin, zu einem beeindruckenden Hürdenlauf an.

Foto: dpa/Robert Ghement

Es waren unvergessene Momente. Robert Hartings Hürdensprint, Usain Bolts Riesen-Party, der nationale Glücksrausch um Mo Farah und Jessica Ennis-Hill: Olympia 2012 war das letzte vermeintlich unbeschwerte Fest der Leichtathletik. Wenn die olympische Kernsportart ab Freitag zur WM nach London zurückkehrt, scheint die Talsohle einer unerhörten Doping-Skandalphase gerade erst durchschritten. Das Kainsmal der Manipulation trug die Leichtathletik indes schon vor fünf Jahren auf der Stirn: Die Spiele von London waren bei aller Pracht vor allem Lug und Trug.

„Die Atmospäre war gigantisch, das habe ich noch nicht erlebt. Dass sie um jeden Athleten so einen Trubel gemacht haben, war einzigartig“, erinnert sich Stabhochspringer Raphael Holzdeppe vom LAZ Zweibrücken, bei den Spielen 2012 mit Bronze einer von acht Medaillengewinnern einer grandiosen deutschen Mannschaft.

Das (damals) 80 000 Zuschauer fassende Stadion im Stadtteil Stratford war während der Leichtathletik-Wettbewerbe fast durchgehend ausverkauft – im Gegensatz zu den folgenden Weltmeisterschaften 2013 (Moskau) und 2015 (Peking), vor allem aber zu den müden Nachfolge-Spielen in Rio, als die Arena am Abend halbleer und am Morgen gähnend leer war.

In London hingegen hatte das Publikum für konsequente Gänsehaut-Stimmung gesorgt. „Das war der Wahnsinn, diese Momente werde ich für immer behalten“, sagt die britische Siebenkampf-Königin Ennis-Hill. Sie wurde auf ihrem Weg zu Gold schon ab dem morgendlichen Wettkampf-Beginn von einem Hexenkessel begleitet. Ennis-Hill, Harting mit seinem legendären Lauf über die Hürden nach seinem Diskus-Gold, aber auch der zweite britische Superstar Mo Farah – sie brachten das Riesen-Rund zum Kochen. „Es wurde lauter und lauter. Besser wird‘s nicht mehr in meinem Leben“, sagte damals Farah, der zu Gold über 5000 und 10 000 Meter stürmte. Noch lauter war es nur bei Bolts Goldläufen über 100 und 200 Meter. „Das war pure Energie“, findet Jamaikas Superstar noch heute.

Die große Party endete allerdings bald in einem Riesenkater: Kugelstoßerin Nadeschda Ostaptschuk stellte sich am Tag nach den Spielen als bis unter die Haare mit Anabolika befüllt heraus. Die Weißrussin war ihre Goldmedaille los – und das nicht als einzige. Denn die Londoner Spiele waren nur vermeintlich unbeschwert, sie waren unter der glänzenden Oberfläche unfassbar verschmutzt. Die 1500 Meter der Frauen entpuppten sich als eines der verseuchtesten Rennen der Geschichte. Vier Finalistinnen wurden des Dopings überführt, darunter die Türkinnen Asli Cakir Alptekin und Gamze Bulut, die überraschend Gold und Silber geholt hatten.

Im Frauen-Finale über 4x100 Meter liefen alleine sieben Athletinnen, denen Doping nachgewiesen wurde. Von 53 russischen Finalisten der London-Spiele wurden 29 früher oder später als Betrüger enttarnt – noch im Herbst 2016 verlor Tatjana Lyssenko ihr Hammerwurf-Gold.

Ein Jahr nach London war die WM in Moskau eine post-sowjetische Machtdemonstration, die Russen holten sechs Titel und insgesamt 15 Medaillen. Der Erfolg fußte, schlicht gesagt, auf gigantischem Beschiss. Der McLaren-Report enthüllte systematisches Doping in Russland, das seit 2015 suspendiert ist.

 Er brachte die Zuschauer in London zum Kochen, zur Ekstase: Super-Läufer Mohamed Farah.

Er brachte die Zuschauer in London zum Kochen, zur Ekstase: Super-Läufer Mohamed Farah.

Foto: dpa/Kerim Okten
 Er war der König von London, der Star der Olympischen Sommerspiele 2012. Usain Bolt (Mitte) gewann nicht nur mit Jamaikas 4x100-Meter-Staffel, sondern auch die Sprintwettbewerbe über 100 und 200 Meter.

Er war der König von London, der Star der Olympischen Sommerspiele 2012. Usain Bolt (Mitte) gewann nicht nur mit Jamaikas 4x100-Meter-Staffel, sondern auch die Sprintwettbewerbe über 100 und 200 Meter.

Foto: dpa/John G.Mabanglo
 Dank Jessica Ennis-Hill war das Stadion in London schon vormittags ein Hexenkessel.

Dank Jessica Ennis-Hill war das Stadion in London schon vormittags ein Hexenkessel.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Wenn ab Freitag an der Themse wieder gelaufen, gesprungen und geworfen wird, ist die Krise keineswegs überwunden. Über die Zukunft der Russen könnte in London entschieden werden. Und die Zeit von Usain Bolt neigt sich dem Ende. Ein neuer Star wird gesucht, in Sicht ist er (noch) nicht. Die Leichtathletik steht an der Themse vor einem Wendepunkt. Wieder einmal.

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