Die Last auf Neymars Schultern

Teresópolis · Neymar, der neue Wunderknabe des Weltfußballs, ist Brasiliens großer Hoffnungsträger bei der WM im eigenen Land. Heute starten die Titelkämpfe mit der Auftaktpartie gegen Kroatien (22 Uhr/ZDF).

Die Schultern, die das alles tragen sollen, sind ziemlich schmal. 200 Millionen Menschen im fußballverrücktesten Land der Welt hoffen auf das Ende des Traumas von 1950, als Brasilien bei der Heim-WM im entscheidenden Spiel der Finalrunde gegen Uruguay mit 1:2 verlor und den Titel verpasste. Den holte sich Uruguay.

"Maracanazo" - das Trauma ist heute noch präsent. Und Neymar da Silva Santos Júnior, oder schlicht Neymar, soll es endgültig vertreiben und Brasilien im eigenen Land zum sechsten WM-Titel schießen. Der 22-Jährige liebt die große Bühne, die Show, die Spielerei, den Ball vor allem. All das könnte ihn bei dieser WM davor retten, unter den Erwartungen zusammenzubrechen. Keinen Druck empfinde er, sagte Neymar in den vergangenen Monaten immer wieder, "nur Freude und Stolz". Nach seiner selbstverständlichen WM-Nominierung zeigte er sich dankbar: "Ich bin total berührt, gespannt, nervös vor dem, was bald kommt."

Der neue Wunderknabe des Weltfußballs ist auch ein Kind seiner Zeit. Als Figur für die Playstation hätte man ihn kaum besser erfinden können: Mehr als zehn Millionen Fans bei Twitter, eine eigene Comic-Serie, größter Werbeträger für die junge Generation in Brasilien und auch für Klatsch-Themen gut: Seine Beziehung mit der brasilianischen Telenovela-Schauspielerin Bruna Marquezine machte Schlagzeilen. Geheim ist die Identität der Mutter seines knapp zwei Jahre alten Sohnes David Lucca.

In allererster Linie aber ist Neymar ein begnadeter Fußballer. "Zu Hause habe ich immer Tische und Stühle hingestellt und sie umspielt", erinnert sich der Stürmer an seine Kindheit. Beim Pelé-Club FC Santos wurde er berühmt, 2011 und 2012 zu "Südamerikas Fußballer des Jahres" gewählt. In 49 Länderspielen gelangen ihm 31 Tore.

Und jetzt soll der erste große, gleich der allergrößte Titel her für Neymar, der ähnlich selbstverliebt wirkt wie Weltfußballer Cristiano Ronaldo, aber viel lässiger. Mit unvergleichlicher Leichtigkeit und Zielstrebigkeit kann er durch die gegnerischen Abwehrreihen wirbeln.

"Neymar ist ein Fußballer, der jeden Tag anders spielt. Er improvisiert gut, er ist sehr schnell, sehr agil. Und er überrascht seine Trainer mit immer neuen Spielzügen", lobte Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari. Er folge, erklärte Neymar, bei seinen Aktionen immer seiner Intuition. Ein Instinktfußballer eben.

Beim FC Barcelona steht Neymar noch im Schatten von Lionel Messi, der für ihn "der Allergrößte ist". Doch im Gegensatz zum Argentinier blüht der Brasilianer in seiner Nationalmannschaft regelmäßig auf. "Neymar", erklärten seine Mitspieler Dani Alves und Fred dieser Tage unisono, "macht für Brasilien den Unterschied aus".

Für Juca Kfouri, Brasiliens anerkanntesten Kommentator, ist Neymar beim Confederatons-Cup im vergangenen Jahr im eigenen Land um zehn Jahre gereift. "Er hat sich nicht fallen lassen, er hat schöne Tore gemacht und war Anführer seines Teams, als es nötig war", sagte Kfouri. Neymar werde bei der WM glänzen, auch wenn aus seiner Sicht Messi der ganz große Star sein werde.

Im Training am Montagabend in Teresópolis blieb Neymar nach einem Zweikampf liegen und hielt sich den Fuß. In Minutenschnelle eilte die Nachricht von einer Verletzung um die Welt - während Neymar längst wieder auf den Beinen war und weiterkickte. Realität und Virtualität scheinen mitunter zu verschwinden bei dem Star mit der Nummer 10. Gegen Kroatien aber ist die Realität gefragt. Ein ganzes Land wartet auf einen Geniestreich zum WM-Auftakt. Dessen dürfte sich Neymar bewusst sein.

saarbruecker-zeitung.de/

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Auf einen BlickKroatiens Nationaltrainer Niko Kovac setzt im WM-Auftaktspiel heute gegen Brasilien (22 Uhr/ZDF) wohl auf den gebürtigen Brasilianer Eduardo. 1999, als er 16 Jahre alt war, wechselte Eduardo zu Dinamo Zagreb. 2002 nahm er die kroatische Staatsbürgerschaft an. Seine Startelf-Chance ist wegen des Fehlens des gesperrten Münchners Mario Mandzukic gestiegen. Mit dem Ex-Schalker Ivan Rakitic und dem Wolfsburger Ivan Perisic könnte Eduardo eine offensive Dreierreihe bilden, davor dürfte entweder der Wolfsburger Ivica Olic oder Nikica Jelavic als einzige Spitze auflaufen. Star der Kroaten ist Champions-League-Sieger Luka Modric von Real Madrid. dpa

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