Die Grube ist ihr neuer Laufsteg

Leipzig · Knackt er den deutschen Hallen-Rekord über 60 Meter am Samstag in Leipzig? Der Wattenscheider Julian Reus schließt nicht aus, dass es „passieren“ kann. Wichtiger ist ihm aber Olympia in Rio de Janeiro.

Es gibt Bilder von Alexandra Wester im knappen Bikini, Fotos im schicken Cocktail-Kleid und in feinen Roben auf dem Catwalk. Und dann gibt es diese Bilder von Wester - mit weit aufgerissenem Mund, den Kopf in den Nacken gelegt, die Arme in die Luft gerissen. Pure Freude. "Es war extrem befreiend", sagt Wester über den Moment, als aus dem Model endgültig eine Weltklasse-Weitspringerin geworden war. Wester ist der neue Shootingstar der deutschen Leichtathletik, die Weitsprung-Grube ihr neuer Laufsteg.

Vor knapp zwei Wochen steigerte die 21-Jährige beim Hallen-ISTAF in Berlin ihre Bestleistung auf sensationelle 6,95 Meter. Keine Frau auf dieser Welt ist in diesem Jahr bisher weiter gesprungen. Die Kölnerin katapultierte sich auf Rang drei der ewigen deutschen Bestenliste hinter den ehemaligen DDR-Springerinnen Heike Drechsler (7,37 Meter/1988) und Helga Radtke (7,09/1985). Ihr Auftritt in Berlin verschaffte Wester, die es als Kind auch einmal mit Ballett versucht hatte, auch eine Einladung ins "Aktuelle Sportstudio".

Nun träumt Wester vom nächsten ganz großen Sprung. "Die sieben Meter sind möglich, zumal ich ja erst 21 Jahre alt bin und hoffentlich noch viele Jahre vor mir habe", sagt Wester vor den deutschen Hallen-Meisterschaften an diesem Wochenende in Leipzig (Samstag, 15.45 Uhr und Sonntag, 14.45 Uhr/Eurosport).

Dabei schien ihre Karriere 2011 schon beendet zu sein. Damals erlitt die ehemalige Siebenkämpferin Wester - Mutter aus Ghana, Vater Deutscher, in Gambia geboren - nach einem Trainingssturz einen Totalschaden im linken Knie. Kreuzbänder und Menisken waren gerissen. "Es ist ein kleines Wunder, dass sie wieder so auf die Beine gekommen ist", sagt Bundestrainer Ulrich Knapp. Wester, die sich vor einem Wettkampf gerne ein deftiges Frühstück mit Mett gönnt, sagt: "Für das, was man liebt, lohnt es sich immer zu kämpfen."

Nach einem einjährigen USA-Aufenthalt zum Studium in Miami kämpft Wester nun an der Seite von Trainer Charles Friedek. Unter der Anleitung des ehemaligen Dreisprung-Weltmeisters steigerte sie ihre Bestleistung um fast 50 Zentimeter. "Wir sind ein tolles Team und arbeiten super zusammen. Mit seiner Hilfe habe ich meine Technik stark verbessern können", sagt Wester, die in der Vorbereitung zudem verletzungsfrei blieb.

Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Top-Athleten will Wester ihre Top-Form auch bei der kommenden Hallen-WM in Portland (17. bis 20. März) zeigen. Sie will in Portland vor allem Erfahrungen sammeln. "Die Weltmeisterschaften werden mich noch einmal einen großen Schritt voranbringen", sagt sie mit Blick auf das große Ziel der Olympischen Spiele in Rio: "Die zwei Wochen Aufbautraining für den Sommer, die ich dadurch verpasse, sind nichts im Vergleich zu der Erfahrung, in einem hochkarätigen Feld zu springen."

Und für ihren Traum von den sieben Metern und dem Start in Rio tritt Wester jetzt auch beim Modeln kürzer. Sie habe "es etwas heruntergefahren, auch wenn ich ab und zu noch ein paar Jobs annehme", sagt sie: "Aber in diesem Winter gilt der Fokus zu 100 Prozent der Leichtathletik." Zwei Mal hat Julian Reus den deutschen Hallenrekord über 60 Meter in diesem Winter mit 6,53 Sekunden eingestellt. Wenn bei den nationalen Leichtathletik-Meisterschaften in Leipzig an diesem Samstag alles perfekt läuft, könnte er seine Rekord-Sammlung ausbauen und um 18.05 Uhr ein weiteres Kapitel deutscher Sprint-Geschichte schreiben. "Wenn die Form stimmt, kann es passieren", meinte der 27-Jährige, "doch ich mache mir keinen Stress."

Ohnehin dienen die schnellen Läufe unter dem Dach nur einem großen Ziel: den Olympischen Spielen im August in Rio de Janeiro. "Wichtig ist, Stabilität für den Sommer zu schaffen. Da stehen zwei Höhepunkte an", sagte Reus. Dazu gehören auch die Europameisterschaften vom 6. bis 10. Juli in Amsterdam. Bei der EM 2014 in Zürich hatte er den 100-Meter-Endlauf verpasst, aber mit der Sprint-Staffel wie schon 2012 in Helsinki die Silbermedaille gewonnen. Obwohl er über 100 Meter mit 10,05 Sekunden den deutschen Rekord hält und 9,99 Sekunden als "machbar" ansieht, wird er bei den Sommerspielen in Rio als Solist nicht viel ausrichten können.

Das Gefühl, zum Hinterherlaufen verdammt zu sein, frustriert den Läufer der TV Wattenscheid nicht mehr. "Ich lebe seit Jahren damit", sagte er. Immerhin erreichte er bei der WM 2015 in Peking als erster Deutscher seit 1983 das Halbfinale über 100 Meter. Ein Ziel für Olympia? "Es wird stark davon abhängen, ob ich im Sommer 10,20 oder 10,10 Sekunden laufen kann", erklärte Reus vage. Konkreter wird er, wenn es um die Ambitionen der 4x100-Meter-Staffel geht. "Mit der Staffel wollen wir bei Olympia nach den vierten Plätzen bei der WM 2015 und der WM 2013 um eine Medaille kämpfen", kündigte Reus an. "Die einzige Chance, international Erfolg zu haben, ist die Staffel."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort