Die „Goldene Generation“ setzt sich ein Denkmal

London · In einem packenden Finale gegen den Erzrivalen Australien hat sich Neuseeland zum zweiten Mal in Serie zum Rugby-Weltmeister gekrönt. Nach dem historischen Triumph von London macht die „Goldene Generation“ der All Blacks nun Platz für neue Helden.

Unter all den euphorisierten Neuseeland-Fans im Londoner Rugby-Tempel Twickenham war Charlie Lines vermutlich der glücklichste. Strahlend über das ganze Gesicht posierte der 14-Jährige im Blitzlichtgewitter der internationalen Fotografenschar - in der Hand hielt er eine der Goldmedaillen , die sich die All Blacks durch das 34:17 (16:3) im Traumfinale gegen den Erzrivalen Australien verdient hatten.

Nach dem historischen dritten WM-Titel der Kiwis war Lines zu seinen Idolen auf den Rasen gestürmt, wo ihn ein Stadion-Ordner in bester Rugby-Manier unsanft zu Boden riss. Sonny Bill Williams, einer von Neuseelands Final-Helden, hatte die unwirkliche Szene beobachtet. Der 30-Jährige führte den jungen Anhänger zurück auf die Tribüne und schenkte ihm das kostbare Andenken. "Besser, sie hängt um seinen Hals als um meinen", erklärte Williams später lapidar.

Nach sechs Wochen Rugby-Spektakel in England und Wales gibt es wohl kaum jemanden, der den Neuseeländern den Titel nicht gönnt. Der Topfavorit präsentierte sich von Beginn an in bestechender Form, löste seine Aufgaben in der Gruppenphase souverän und begeisterte in den K.o.-Duellen zunächst mit furioser Offensive gegen Frankreich und dann mit kompakter Defensive gegen das später drittplatzierte Südafrika.

Auch im Finale ließen die All Blacks bis auf eine kurze Schwächephase zu Beginn der zweiten Hälfte kaum einen Zweifel daran aufkommen, dass sie ihren Titel als erste Mannschaft überhaupt erfolgreich verteidigen würden. "Neuseeland ist der hochverdiente Sieger", sagte Australiens Trainer Michael Cheika: "Sie sind seit vielen Jahren das herausragende Team im Rugby-Sport."

Seit 2009 steht Neuseeland ununterbrochen an der Spitze der Weltrangliste. Mit dem Triumph von London hat sich die "Goldene Generation" endgültig ein Denkmal gesetzt. Zwei der prägendsten Figuren dieser Zeit stehen nun aber vor dem Karriere-Ende: Kapitän Richie McCaw (34) und Kicker Dan Carter (33), der im Endspiel noch mal mit 19 Punkten glänzte. "Ich bin so stolz", sagte McCaw strahlend: "Wenn man solche Momente erlebt, warum sollte man jemals aufhören?" Nach dem Abschied der beiden Legenden erwartet das Team ein radikaler Umbruch.

Bevor es aber soweit ist, lassen sich die alten Helden ausgiebig feiern. In der Heimat stieg die Final-Party aufgrund der Zeitverschiebung in den frühen Morgenstunden. Dafür hatte die Regierung sogar eigens die gesetzliche Sperrstunde aufgehoben. Kehrt die Mannschaft Anfang der Woche aus England zurück, geht die Feier in die nächste Runde: Drei große Fest-Paraden durch die Städte Auckland, Christchurch und Wellington sind geplant.

In England zieht man nach dem Großevent im Rugby-Mutterland derweil hochzufrieden Bilanz. Rund 2,4 Millionen Zuschauer in den WM-Arenen bedeuten ebenso eine neue Bestmarke wie die 150 Millionen Pfund (rund 210 Millionen Euro), die der Rugby-Weltverband als Gewinn einstreicht. Das am besten besuchte Spiel war Irland gegen Rumänien, fast 90 000 schauten im Londoner Olympiastadion zu. Beim Bruderduell England gegen Wales saßen 10,4 Millionen vor den Fernsehern. "Die Rugby-WM 2015 wird als das bislang größte und auch beste Turnier in Erinnerung bleiben", verkündete Organisationschef Bernard Lapasset sichtlich stolz.

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