Die deutsche Angst vor Olympia

München · Beim Bürger-Votum in München gegen eine Bewerbung um Olympia 2022 scheint eine Abneigung gegen Großveranstaltungen deutlich zu werden – und gegen das IOC. Die Auswirkungen auf den deutschen Sport sind nicht abzusehen.

Thomas Bach wird sich erst am Donnerstag äußern. Zum erschütternd deutlichen Nein der Bürger gegen eine Bewerbung von München für die Olympischen Winterspiele 2022 wollte der neue Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zunächst nichts sagen. Dabei ging es bei der Abstimmung am Sonntag auch um Bach - oder zumindest jene Organisation, der er vorsteht. Darin waren sich die siegreichen Gegner der gescheiterten Bewerbung mit den deprimierten Befürwortern ausnahmsweise einig.

Ein Grund, wenn nicht sogar der Hauptgrund für die deutliche Ablehnung sei "eine allgemeine Skepsis gegen Sport-Großereignisse", sagte der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude. Hinzu kämen die Bedingungen, die im Fall von Olympia das IOC dem Ausrichter stelle. Was die Gegner vom Aktionsbündnis "NOlympia" als "Knebelverträge" bezeichneten, ginge an die "Grenze kommunaler Selbstverwaltung".

"NOlympia" hatte die besseren Schlagworte: Kosten, Schulden, Zerstörung der Natur - und die "Knebelverträge" des IOC, das als diktatorischer, intransparenter Verein dargestellt wurde. Die Gegner hatten auch Sotschi, umstrittener Gastgeber der Spiele 2014 und ein Spiegelbild all dessen, was Olympische Spiele eben nicht sein sollten. "Die Angst, es könnte auch bei der eigenen Bewerbung so sein, ist nicht unbegründet", sagte Ude - auch wenn er großen Wert darauf legte, dass München nicht Sotschi sei.

"Olympia", schlussfolgerte nun der Münchner Oberbürgermeister, "wird von den Menschen nicht unbedingt als Segen gesehen". Daher müsse sich das IOC fragen, was es denn tun wolle, "um diese Akzeptanz wiederherzustellen". Zumindest einer aus dem IOC sieht Handlungsbedarf: Dieser Bürgerentscheid zeige das Misstrauen, das dem IOC entgegen gebracht werde, sagte der Schweizer Gian Franco Kasper, IOC-Mitglied und Präsident des Internationalen Ski-Verbandes.

Manfred von Richthofen, Ehrenpräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), sieht nun vor allem den neuen IOC-Präsidenten in der Pflicht. "Bach muss jetzt die Kurve kriegen", sagte er: "Er hat einen riesigen Sack von Problemen vor der Tür liegen in Bezug auf Sauberkeit, Doping, Bestechlichkeit, Transparenz." Das IOC genieße keinen guten Ruf, Olympia habe einen "unangenehmen Beigeschmack" bekommen.

"Entscheidend ist, dass man das Votum nicht als Zeichen gegen den Sport sieht", betonte Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im bayerischen Landtag und Vorkämpfer für das Bündnis "NOlympia". Das 0:4 in München (52,10 Prozent Nein-Stimmen), in Garmisch-Partenkirchen (51,56) und den Landkreisen Berchtesgadener Land (54,10) und Traunstein (59,67) wertete er als "klares Zeichen" gegen die Herren der Ringe und deren Bedingungen. Nicht der Sport habe verloren, "das IOC hat verloren", sagte Hartmann.

Das sah Alfons Hörmann, designierter Präsident des DOSB, anders. Wer davon ausgehe, dass die Gelder, die dem deutschen Sport wegen Olympia bereit gestanden hätten, an anderer Stelle investiert würden, der sei blauäugig. "Wer diesem blöden Traum nachgeht, der wird sich täuschen", sagte Hörmann. Ähnlich nüchtern sieht er die Zukunft von Deutschland als Gastgeber Olympischer Spiele. Eine Bewerbung um Winterspiele "kann und wird wohl für lange Zeit kein Thema sein", sagte er. Und was eine Bewerbung um Sommerspiele angeht, für die vielleicht Berlin und Hamburg infrage kämen, ist Hörmann sehr vorsichtig: Der deutsche Sport müsse sich ja "die Frage stellen, ob es uns mit Bewerbungen im Sommer nicht ähnlich geht". Sprich: dass die Bürger Nein sagen.

Doch immer nur Nein sagen bei "größeren Projekten", das könne sich auch rächen, warnte Ude: "Wir werden auch mal die Ärmel aufkrempeln und große Aufgaben anpacken müssen, ohne immer zu sagen: Nein." Sonst gerate Deutschland ins Hintertreffen. "Olympische Spiele im eigenen Land", behauptete Franz Beckenbauer gestern, "sind das größte Geschenk. Die Münchner haben es verschlafen, oder die ganze bayerische Region. Irgendwann wird es ihnen leid tun."

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HintergrundNach Münchens Aus durch das gescheiterte Bürgerbegehren gilt Norwegen mit Oslo als Favorit auf die Winterspiele 2022. Chancenreicher Herausforderer wird offenbar der skandinavische Rivale Schweden, nachdem gestern die Abgabe einer Bewerbung von Stockholm und Östersund bis zum Meldeschluss am Donnerstag signalisiert wurde. Ihre Kandidatur angekündigt hatten zuvor auch Almaty (Kasachstan), Krakau (Polen) mit den alpinen Rennen in der Slowakei, Lwiw (Ukraine) und Peking (China). Vergeben werden die Olympischen Winterspiele 2022 bei der IOC-Sitzung am 31. Juli 2015 in Kuala Lumpur (Malaysia). sid

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