Die Bronzemedaille als „i-Tüpfelchen“

Saarländische Olympia-HeldenIn einer Serie trifft sich die SZ-Sportredaktion mit deutschen Medaillengewinnern bei Olympischen Spielen, die zugleich eine besondere Beziehung zum Saarland haben. Teil 4 der Serie: Claudia Kohde-Kilsch (52).

 Ihre zweite Karriere startet Claudia Kohde-Kilsch in der Politik und arbeitet bei den Linken mit Oskar Lafontaine zusammen. Foto: Bub

Ihre zweite Karriere startet Claudia Kohde-Kilsch in der Politik und arbeitet bei den Linken mit Oskar Lafontaine zusammen. Foto: Bub

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Mit abgesägtem Tennisschläger - Kinderschläger gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht - steht sie 1968 an der Ballwand des Ruderclubs Saarbrücken. Mit ihrer Mutter Ursula, die für den RCS in der Regionalliga spielt, ist sie auf der Anlage und macht erste Erfahrungen mit dem gelben Filzball. Gerade vier Jahre ist Claudia Kohde-Kilsch da alt - und ein gutes Stück kleiner als heute. Damals ahnt noch niemand, dass dieses junge Mädchen nicht nur körperlich, sondern auch im Tennissport weltweit eine ganz Große werden würde.

1,86 Meter misst Kohde-Kilsch heute und hat eine lange, erfolgreiche Karriere hinter sich. 1985 siegt sie an der Seite der Tschechin Helena Souková in der Doppelkonkurrenz der US Open. 1987 gewinnt sie den Fed-Cup mit der deutschen Mannschaft und im Doppel mit Souková auch Wimbledon . Ein Jahr später folgt dann eine positive Nachricht für sie und alle Tennisprofis: Tennis wird ins olympische Programm aufgenommen. "Ich war schon immer ein Olympia-Fan. Als Tennis in Seoul endlich olympisch wurde, war die Teilnahme schon die Erfüllung eines Riesen-Traums", sagt die gebürtige Saarbrückerin. Doch damit nicht genug: An der Seite von Steffi Graf gewinnt sie im Doppel auch noch die Bronzemedaille, für Kohde-Kilsch das "i-Tüpfelchen".
Profi schon mit 15 Jahren

Begonnen hat ihre Verbindung zu Olympia 1972. Im Alter von acht Jahren verfolgt sie gespannt die Spiele von München und sieht unter anderem den sensationellen Olympiasieg von Ulrike Meyfarth im Hochsprung. "Da habe ich schon davon begonnen, davon zu träumen, später selbst einmal bei Olympia dabei zu sein. Auch wenn es zu dieser Zeit als Tennisspielerin eigentlich unmöglich war", erklärt Kohde-Kilsch, die heute gut mit Meyfarth befreundet ist. Die Olympischen Spiele seien für Sportler einfach das Größte, und sie bekäme "noch immer eine riesen Gänsehaut bei den großen sportlichen Momenten, die die Spiele schreiben", sagt Kohde-Kilsch.

Zu verdanken hat sie all diese Erfolge und Erlebnisse nach eigener Aussage vor allem der Unterstützung der eigenen Familie - aber auch einem Schulleiter. "Ich war auf dem Ludwigs-Gymnasium und habe nach meiner Mittleren Reife überlegt, mich aufs Tennisspielen zu konzentrieren. Der Rektor stellte mir eine Rückgliederung in die Schule nach zwei Jahren Testphase in Aussicht. Das hat meine Eltern beruhigt", erzählt die 52-Jährige mit einem Lächeln. Auf das Angebot muss sie allerdings nicht zurückkommen. Ihre Karriere geht schnell und steil bergauf.

Schon mit neun Jahren wird ihr erstmals großes Talent bescheinigt. Sie darf drei bis vier Mal im Jahr nach Hannover zum Deutschen Tennis-Bund, um mit den Bundestrainern zu arbeiten. Das zahlt sich aus: Sie wagt den Schritt ins Profigeschäft, nach der Mittleren Reife, und geht mit gerade mal 15 Jahren auf die Tour. "Mein Stiefvater und meine Mutter waren ein starker Rückhalt für mich und sind, wenn möglich, abwechselnd mit mir mitgereist. Besonders mein Stiefvater hat mich sehr gefördert", sagt Kohde-Kilsch. So steigt sie früh in der Weltrangliste, ist im Jahr 1981 schon unter den Top 20, schlägt mit Martina Navrátilová sogar die Nummer eins der Welt - und das mit 17 Jahren.

Kohde-Kilsch ist der neue Star im deutschen Tennis , klar die deutsche Nummer eins. Sie klettert bis auf Platz vier der Welt (1985). Ihr Erfolgsgeheimnis: "Ich habe mir immer kleine realistische Ziele gesetzt. Durch die Erfolge verliert man nie den Mut und kommt Schritt für Schritt voran." Außerdem habe sie immer auf sich selbst geschaut und wollte immer das Beste aus sich selbst herausholen. Das hilft ihr dann auch, als ihr die sechs Jahre jüngere Steffi Graf national den Rang abläuft. "Bei mir gab es da keinen Neid und keine Missgunst. Steffi war eher ein Ansporn für mich. Wir haben zusammen ja auch einige Erfolge gefeiert", sagt Kohde-Kilsch und ergänzt: "Steffi ist so außergewöhnlich mit ihren Erfolgen, da ist es auch keine Schande, hinter ihr zu stehen."

Insgesamt fünf Jahre kann sich Kohde-Kilsch, heute Mutter eines Sohnes, in den Top zehn halten, feiert überragende Erfolge und erlebt 1988 bei ihrem Karriere-Höhepunkt in Südkorea so einiges. Ganz besonders war für sie das Aufeinandertreffen mit den Sportlern der DDR. "Ich hörte das erste mal Sächsisch und habe unglaublich viele nette Menschen kennen gelernt. Radfahrer Olaf Ludwig hat bei einem Interview gesagt, sein größter Moment der Spiele wäre gewesen, mir beim Training zuzuschauen. Das hat mich ganz schön gerührt", sagt die 52-Jährige.

Ein weiteres Highlight sei ein Lauftraining mit 400-Meter-Läufer Harald Schmid gewesen: "Steffi und ich sind drei Runden mit ihm gelaufen. Er hat sich nur warm gemacht, aber das war schon so schnell, dass wir sprinten mussten", sagt Kohde-Kilsch und muss lachen: "Ich hatte selten so einen Muskelkater."

Während der Spiele wohnt sie mit Graf und Bundestrainer Klaus Hofsäss im einzigen Appartment der deutschen Athleten, das einen Fernseher und einen großen Kühlschrank hat. "Die Fußball-Nationalmannschaft war eigentlich ständig bei uns, ich nehme an wegen des Fernsehers", erzählt Kohde-Kilsch. Insgesamt sei es einfach eine sehr schöne Zeit mit vielen schönen Erinnerungen: "Es lief alles wie im Film ab. Es war alles so ereignisreich, dass man irgendwie vergessen hat, dass man zum Tennisspielen da ist."

Auch ihr generelles Sportinteresse kann sie in Südkorea nach Lust und Laune stillen, mit ihrem Athleten-Ausweis darf sie zu allen anderen Veranstaltungen. "Ich war beim Fechten, Wasserball, Fußball und bei der Leichtathletik. Die Stimmung aufzusaugen, war toll", sagt Kohde-Kilsch begeistert. Doch der absolute Höhepunkt sollte mit ihrer eigenen Siegerehrung folgen: "Es ist wie ein Traum, alles geht so schnell. Man versucht, den Moment immer wieder zu greifen, es gelingt aber nicht oft. Diese Medaille macht mich einfach mega stolz!"

Wirklich lange genießen kann sie diesen Triumph aber nicht. Die Tour als Tennisprofi geht weiter, nicht einmal an der Abschlussfeier können die beiden Tennis-Asse teilnehmen. Nach den größten Erfolgen kann Kohde-Kilsch ihr Niveau weiter halten, große Siege bleiben aber aus. Schließlich kommen Schulterprobleme dazu, die Mitte der neunziger Jahre dazu führern, dass Claudia Kohde-Kilsch sich allmählich von der großen Tennis-Bühne verabschiedet. Sie lebt weiter in Saarbrücken und spielt für Blau-Weiß Saarlouis noch ein paar Jahre in der Bundesliga.
Vater veruntreut ihr Vermögen

Als sie sich ganz auf das Leben nach der Karriere konzentrieren möchte, kommt für sie eine schreckliche Wahrheit ans Licht. Ihr Stiefvater, gleichzeitig auch Mentor und Manager, hat fast ihr gesamtes Preisgeld veruntreut. Es kommt zum Streit, Kohde-Kilsch zieht vor Gericht. 2004 stirbt Jürgen Kilsch, ihr Geld ist damit futsch. "Er ist jetzt seit zwölf Jahren verstorben, und ich habe die Sache verarbeitet. Ohne ihn wäre ich sicher nicht so weit gekommen, aber auf die Ereignisse am Ende meiner Karriere hätte ich gerne verzichtet. Am Ende war es eine regelrechte Hassliebe", erklärt sie ruhig.

Kohde-Kilsch baut sich ein neues Leben auf, absolviert ein Fernstudium an der Berliner Journalistenschule und wechselt in die Politik. "Journalismus hat mich schon immer interessiert. Als ich Oskar Lafontaine dann im Wahlkampf 2012 unterstützt habe, wurde ich schließlich Pressesprecherin der Linken-Fraktion im Landtag des Saarlandes . In der Politik musste ich mir aber ein dickeres Fell zulegen. Dort geht es nicht immer so fair zu wie im Sport", sagt Kohde-Kilsch, die auch Fraktionsvorsitzende im Saarbrücker Stadtrat ist: "Mittlerweile kann ich damit umgehen. Politik ist zwar manchmal ermüdend, aber es macht Spaß."

Auf dem Tennisplatz steht sie selbst nur noch selten, doch den Spaß an ihrem Sport hat sie nie verloren. "Ich schaffe es zeitlich im Jahr nur ungefähr drei bis vier Mal zu spielen, aber ich schaue auch gerne zu. Wenn möglich bin ich in Wimbledon oder bei den French Open auf der Tribüne dabei", erzählt die 52-Jährige. 2015 trifft sie in London erstmals ihre langjährige Doppelpartnerin Souková wieder. "Über Facebook stehe ich zu einigen Kolleginnen noch in Kontakt. Wenn ich sie dann auch mal so treffe, ist das umso schöner", erzählt Kohde-Kilsch mit einem Lächeln.

Man merkt ihr an, sie ist mit sich und ihrer Vergangenheit im Reinen. Ein ganz wichtiger Faktor ist für sie dabei ihre Heimat, das Saarland. "Für mich stand es nie zur Debatte, von hier wegzuziehen. Ich fühle mich hier sehr wohl. Die Menschen sind freundlich und offen. Außerdem liegt Saarbrücken im Herzen von Europa - die Wege in andere Länder sind kurz", schwärmt Claudia Kohde-Kilsch . Sie wird also auch in Zukunft in Saarbrücken, ihrer Heimatstadt, wohnen. Dort, wo alles angefangen hat - an einer Ballwand der Ruderclubs Saarbrücken. Mit einem abgesägtem Schläger in der Hand.

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