Die Bandbreite der Grausamkeiten

Saarlouis. Richard Jungmann, der Vereins-Chef der HG Saarlouis, durchlebt dieser Tage die Handball-Hölle. Ein Gegentor am vergangenen Freitagabend quasi in letzter Sekunde verschafft ihm qualvolle Stunden, bis sich am kommenden Samstag bei der HSG Nordhorn-Lingen entscheidet, ob seine HG absteigt oder nicht. SZ-Mitarbeiter Sebastian Zenner hat mit Jungmann darüber gesprochen.

 Die pure Verzweiflung: Richard Jungmann schlägt nach dem Ausgleich zum 27:27 am vergangenen Freitag gegen Springe die Hände vors Gesicht. Der Ligaverbleib ist vertagt. Foto: Eibner

Die pure Verzweiflung: Richard Jungmann schlägt nach dem Ausgleich zum 27:27 am vergangenen Freitag gegen Springe die Hände vors Gesicht. Der Ligaverbleib ist vertagt. Foto: Eibner

Foto: Eibner

Herr Jungmann, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an die Nervenschlacht beim 27:27 gegen Springe von Freitag denken?

Richard Jungmann: Ich bin ja schon lange in der 2. oder 3. Liga dabei, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. So ein Wellenbad der Gefühle geht wirklich an die körperliche Substanz. Wir müssen die gesamte Bandbreite der Grausamkeiten, die man sich nur theoretisch ausdenken konnte, durchleben.

Wie geht es Ihnen mit dem Umstand, schon zum dritten Mal in Folge nur wegen Lizenzierungsproblemen anderer Vereine in der Liga bleiben zu können?

Jungmann: Es gibt sicher angenehmere Gefühlslagen. Aber in der Not wären wir auch damit zufrieden. Wir müssen es jetzt so akzeptieren, wie es gekommen ist und das Minimalziel erreichen. Darauf werden alle unsere Energien ausgerichtet.

Zwei Punkte und 13 Tore Vorsprung hat die HG auf Konkurrent VfL Eintracht Hagen. Theoretisch könnte es sogar bei einer Niederlage reichen. Warum hat es die HG nach zehn sieglosen Spielen in Folge verdient, in der 2. Bundesliga zu bleiben?

Jungmann: Wir haben eine Mannschaft der Zukunft gebildet und dafür in Kauf genommen, dass die Gegenwart risikobehaftet ist. Allein schon deshalb, weil die Mannschaft eine sehr junge ist. Zu Beginn der Runde hat sie vieles noch gut gelöst, aber mit der Rückrunde traten Verletzungen ein - und da merkte man schon, dass hier und da noch eine Portion Routine fehlt.

Sie meinen das Fehlen von Spielmacher Ibai Meoki (Oberschenkel) und Toptorjäger Jerome Müller (Ellenbogen)?

Jungmann: Ihre Verletzungen kamen zur Unzeit und konnten nicht kompensiert werden. Danach kamen Formschwankungen dazu. Wir haben es nicht geschafft, unseren Rhythmus wiederzufinden. Mit Blick auf die letzten Spiele muss man aber auch sagen, dass uns in manchen Phasen das Glück gefehlt hat. Wir hoffen, dass es sich nicht endgültig von der HG Saarlouis verabschiedet hat.

Dem Volksmunde nach ist das Glück vor allem mit dem Tüchtigen. Oft wirkte es aber gerade gegen direkte Konkurrenten so, als konnte nicht jeder Spieler bis zum Abpfiff alles geben. Teilen Sie diesen Eindruck?

Jungmann: Wir wurden in manchen Spielen sicher unter Wert geschlagen. Zu diesem Zeitpunkt war die Brisanz, die uns danach eingeholt hat, noch nicht zu erkennen. Die jungen Spieler waren einfach über weite Strecken nicht in der Lage, die genannten Verluste aufzufangen. Das müssen sie sich noch erarbeiten. So etwas Ähnliches würde uns in der kommenden Saison sicher nicht wieder passieren.

Das hatten Sie schon nach den letzten beiden Spielzeiten gehofft. Damals betonten Sie, dass die finanzielle Stabilität schwerer wiege als ein qualitativ breiter Kader. War das rückblickend ein Fehler? Etwa den erfahrenen Nikos Riganas im Winter ersatzlos ziehen zu lassen?

Jungmann: Ich will jetzt noch kein Resümee ziehen. Nikos Riganas hat nach seiner schweren Knieverletzung im Mai 2015 körperlich und vor allem mental nicht mehr den Anschluss an die Mannschaft gefunden und sah sich außer Stande, uns weiterhelfen zu können. Wir können ihn schlecht dazu zwingen, trotzdem weiterzumachen. Diese Entscheidung fiel erst nach dem Ende der Transferperiode und war vorher so auch nicht abzusehen. Auf der anderen Seite: Zu diesem Zeitpunkt sind auch nicht unbedingt die Spieler auf dem Markt, die uns in unserer Situation hätten helfen können.

Ein fitter Michael Schulz hätte sicher helfen können. Allerdings kam er wegen anhaltender Rücken- und Schulterprobleme bisher nur elf Mal zum Einsatz.

Jungmann: Er braucht unglaublich lange, bis er wieder auf Touren kommt. Wir müssen mit jedem Spieler Geduld haben - wenn es auch schwer fällt. Wenn er eingesetzt werden kann, ist aber auch der Belastungsdruck, der dann auf ihm lastet, relativ hoch. Dem müssen wir Rechnung tragen.

Was wollen Sie tun, damit sich Szenarien wie 2014, 2015 und 2016 nicht mehr wiederholen?

Jungmann: Grundsätzlich planen wir mit einer zusätzlichen Verpflichtung. Prinzipiell ist es im Moment allerdings so, dass sich die Spieler aktuell nicht gerade darum reißen, für uns zu spielen. Sobald wir den Klassenverbleib gesichert haben, werden wir in Ruhe aussuchen, wer zu uns passen könnte.

Welcher Spieler besitzt aktuell einen Vertrag für die 3. Liga?

Jungmann: Mit der 3. Liga haben wir uns bisher kaum beschäftigt. Ehrlich gesagt möchte ich auch heute nicht mit diesen Planspielen belasten.

Wie wichtig ist es für den Handball-Standort Saarland, dass die HG Saarlouis Zweitligist bleibt?

Jungmann: Wir sind uns der Verantwortung um den saarländischen Spitzensport bewusst. Wenn wir absteigen sollten, wäre der Südwesten Deutschlands Handball-Diaspora. Das wäre nur sehr schwer rückgängig zu machen. Das Dramatische ist, dass man erst im Nachhinein merkt, was verloren gegangen wäre. Am Freitag hatten wir 1400 Zuschauer in der Halle. Das heißt, dass wir eines der publikumsreichsten Sportereignisse im Saarland sind. Das wird bundesweit durchaus registriert.

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