Die Athleten fühlen sich übergangen

Berlin · Die Spitzensportreform in Deutschland ist bereits seit drei Monaten beschlossen. Trotzdem reißt die Kritik nicht ab.

Es war und ist das Mantra der Spitzensportreform: "Wir wollen den Athleten in den Mittelpunkt stellen", hieß es immer und immer wieder, sowohl von Seiten des organisierten Sports als auch der Politik. Am Mittwoch wurde vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestags allerdings deutlich: Wichtige Anliegen der Athleten sind in der neuen Leistungssportförderung nicht berücksichtigt. Oder zumindest nicht in der Form, wie es sich die Betroffenen wünschen.

Mehr Eigenständigkeit und Professionalisierung wollen die Vertreter der rund 10 000 deutschen Kaderathleten für ihre eigene Kommission, dazu eine breiter aufgestellte Sportförderung. Das machten Max Hartung, Vorsitzender der Athletenkommission, und seine Stellvertreterin Silke Kassner vor den Sportpolitikern deutlich. "Es ist klar, dass sich nach dem ersten Treffen nicht die Welt verändert. Aber es war ein guter Auftakt", sagte Hartung, Fecht-Weltmeister von 2014.

Ein Auftakt? Dabei ist die Reform seit drei Monaten beschlossen. "Da sollte - nach allem, was ich gehört und gelesen habe - der Athlet im Mittelpunkt stehen. Ich glaube aber, dass diese Bereiche nicht berücksichtigt wurden", sagte Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses. Ein klarer Angriff auf den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und seinen Präsidenten Alfons Hörmann. Andre Hahn, sportpolitischer Sprecher der Linken-Fraktion, erklärte: "Ich habe den Eindruck, dass da vieles an den Athleten vorbeigegangen ist. Sie selbst fühlen sich weder im Mittelpunkt, noch kommt das in den Beschlüssen zum Ausdruck." Und Özcan Mutlu, sportpolitischer Sprecher der Grünen, machte deutlich: "An der Spitzensportreform muss noch sehr viel nachgebessert werden. Tragisch ist, dass die Athleten vorher nicht wirklich angehört wurden."

Auf offene Ohren stießen die Sportler mit ihrem Wunsch nach mehr Professionalität und Eigenständigkeit der Athletenvertretung. So könnte es womöglich bald ein hauptamtliches "Rückgrat" für die Athleten geben - mit Geschäftsführer, Juristen und Pressesprecher. Das Anti-Doping-Gesetz, der Dopingskandal in Russland, die umstrittenen Schiedsgerichtsvereinbarungen - die ehrenamtlichen Vertreter stoßen durch die Vielzahl und die Komplexität der Themen im Weltsport an ihre Grenzen.

Das größte Problem: die Finanzierung des Vorschlags. Doch auch dort signalisierten die Politiker ein Entgegenkommen. Deutlich sei zudem auch geworden, dass sich die Athleten nicht immer ausreichend eingebunden fühlen. "Ich war erstaunt bis entsetzt, dass das Verhältnis der Athletenvertreter zum DOSB und zu bestimmten Spitzenverbänden sich offenbar doch ziemlich schwierig gestaltet", sagte Hahn.

Ein weiterer Vorschlag der Athleten zielt auf eine grundlegende Säule der Sportförderung. Die direkte Unterstützung durch Bundeswehr, Polizei oder Zoll soll ergänzt werden. "Es muss eine Alternative geben", sagte Hartung. Niemand will die Sportförderung durch Bundeswehr, Polizei oder Zoll komplett abschaffen. Aber die Athleten wollen Wahlfreiheit. Warum soll beispielsweise nicht mit der gleichen Finanzierung wie eine Stelle bei der Bundeswehr eine Stelle im öffentlichen Dienst unterstützt werden? Oder warum soll das Geld nicht über ein Stipendium an einen studierenden Spitzensportler fließen?

"Wenn wir mündige Athleten wollen, dann müssen wir auch deren Wünsche ernstnehmen", sagte die Sozialdemokratin Freitag: "Es wird deutlich, dass Sportförderung durch staatliche Stellen bei einem Großteil der Athleten Wertschätzung erfährt, dass es aber auch Athleten gibt, die aus unterschiedlichen Gründen dieses Modell für sich nicht als zielführend empfunden haben. Ich denke, auf die Fragen werden wir Antworten geben müssen." Das Thema soll demnächst erneut im Sportausschuss diskutiert werden. Und dann muss sich auch der DOSB positionieren - und das, obwohl die Reform längst beschlossen ist.

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