Fußball-WM 2018 in Russland Die Abgründe hinter Russlands WM-Fassade

Moskau · Fußball-Weltverband Fifa verschließt die Augen vor Doping, Hooligans und Arbeitssklaven aus Nordkorea. Morgen ist die Auslosung.

 Er ist der russische Vize-Ministerpräsident und der Chef des WM-Organisationskomitees. Und nicht zuletzt gilt Witali Mutko als Schlüsselfigur im russischen Dopingskandal.

Er ist der russische Vize-Ministerpräsident und der Chef des WM-Organisationskomitees. Und nicht zuletzt gilt Witali Mutko als Schlüsselfigur im russischen Dopingskandal.

Foto: dpa/Dmitri Lovetsky

Wenn morgen mit der Endrunden-Auslosung im Kreml der letzte Countdown zur Fußball-WM in Russland startet, tun sich hinter der glitzernden Fassade düstere Abgründe auf. Ob der gewaltige Dopingskandal, die Hooligan-Problematik oder die Ausbeutung von nordkoreanischen Arbeitern: Ein gutes halbes Jahr vor dem Eröffnungsspiel in Moskau wollen alle Beteiligten an der milliardenschweren WM die Missstände am liebsten totschweigen – auch die Fifa.

Der Fußball-Weltverband ist zunächst mal froh, dass die weltweit beachtete Auslosung seines Premiumprodukts vor dem 5. Dezember stattfindet und deshalb von möglichen weiteren Negativschlagzeilen rund um Russland verschont bleibt. Am kommenden Dienstag nämlich bestraft das Internationale Olympische Komitee Russland für sein jahrelang praktiziertes, offensichtlich staatlich gelenktes Dopingsystem – womöglich mit dem Ausschluss von den Winterspielen in Pyeongchang (9. bis 25. Februar 2018).

Dumm für die Fifa: Der Fußball ist Teil des Skandals. Im McLaren-Report, der quasi die Anklageschrift im Russland-Prozess ist, sind 34 russische Fußballer als stark dopingverdächtig erwähnt – darunter der komplette WM-Kader von 2014. Damit nicht genug: Witali Mutko, Chef des WM-Organisationskomitees und Vizepremier, ist nach Darstellung von Sonderermittler Richard McLaren „jenseits vernünftiger Zweifel“ eine Schlüsselfigur im Skandalgeflecht.

Die Fifa verwies auf Anfrage auf verschiedene Dinge: Dass man im engen Kontakt zur Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) stehe und sich auch schon mit McLaren unterhalten habe. Dass Russland von den im McLaren-Report erwähnten Fußballern bereits zwei U20-Spielerinnen sanktioniert habe, allen anderen bislang aber kein Dopingvergehen nachgewiesen werden konnte. Aber natürlich werde in der Sache weiter ermittelt.

Whistleblower Gregorij Rodtschenkow bekräftigte am vergangenen Wochenende über seinen Anwalt Jim Walden, dass er beweisen könne, dass die russischen Fußballer in den Dopingskandal verwickelt sind. Nur: Bei Rodtschenkow, der noch am Mittwoch vom IOC als „glaubwürdiger Zeuge“ eingestuft wurde, beziehungsweise Walden hat sich bislang niemand von der Fifa gemeldet. „Sie sind mit ihrem Kopf im Sand glücklich“, sagt Walden. Tatsächlich bleibt der Fifa keine Wahl: Das Turnier zu verlegen, ist logistisch nicht möglich. Und auch eine Sperre der Heimmannschaft ist realistischerweise nicht praktikabel. Also scheint das Fifa-Motto zu sein: Augen zu und durch.

Von russischer Seite kommen seit Monaten ungeachtet der von McLaren sauber dokumentierten erdrückenden Beweislast hartnäckige Dementis. Mutko sprach kürzlich von einem „geplanten Angriff auf den russischen Sport“. Einen filmreifen Auftritt hatte der Vertraute von Präsident Wladimir Putin im vergangenen Jahr beim Confed-Cup hingelegt. In einem mehr als neunminütigen Monolog an der Seite von Fifa-Präsident Gianni Infantino betonte er, ein staatliches Dopingprogramm habe es nie gegeben. Der internationalen Presse rief er zu: „Wenn ich einen russischen Tanz vor Ihnen aufführe, hören Sie dann auf zu fragen?“

Ein weiteres Problem im Hinblick auf die WM sind die gefürchteten russischen Hooligans, die während der Europameisterschaft 2016 in Frankreich wie die Berserker gewirkt hatten und dafür mitunter sogar von Politikern aus der Heimat gelobt worden waren. „Natürlich wurde dieses Problem erkannt, es steht oben auf der Agenda“, sagte der deutsche Fifa-Sicherheits-Chef Helmut Spahn dem Münchner Merkur: „Man tut alles, um in dem Bereich präventiv zu wirken.“

Die Anfang des Jahres ausgestrahlte BBC-Dokumentation „Russia’s Hooligan Army“ lässt jedoch das Schlimmste befürchten. Darin hatten gewaltbereite russische Fans angekündigt, die WM im eigenen Land in ein „Festival der Gewalt“ zu verwandeln. Mutko warf dem britischen Sender Propaganda vor.

Ein weiteres Problem: Im Mai hatte die Fifa zugeben müssen, dass auf der WM-Baustelle in St. Petersburg nordkoreanische Arbeiter unter albtraumhaften Bedingungen Frondienste hatten leisten müssen. Der Großteil ihrer Löhne wurde direkt an das Regime in Pjöngjang überwiesen. Konsequenzen für Russland hatte dies nicht.

(SID)
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