Eishockey Nach einem Jahr ist der Alltag zurückgekehrt

München · Das deutsche Eishockey verspürt nach dem Sensations-Silber bei Olympia einen leichten Boom, hat aber noch viel Arbeit vor sich.

 Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft feierte 2018 in Südkorea mit Silber bei den Olympischen Spielen den größten Erfolg ihrer Geschichte.

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft feierte 2018 in Südkorea mit Silber bei den Olympischen Spielen den größten Erfolg ihrer Geschichte.

Foto: dpa/Peter Kneffel

Beim Gedanken an Pyeongchang 2018 fallen Franz Reindls Emotionen unterschiedlich aus. Zuerst lacht der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) laut. Dann wird der 64-Jährige leise und nachdenklich. „Ich glaube nicht“, sagt Reindl auf die Frage, ob er einen Erfolg wie Olympia-Silber noch einmal erleben wird: „So etwas passiert nur einmal im Leben. Das wird sich nicht noch einmal wiederholen.“

Dazu muss man drei Dinge wissen: Reindl ist erstens Optimist durch und durch. Die Gläser bei ihm sind stets halbvoll und nie halbleer. Zweitens stand er 1976 selbst auf dem Eis, als Deutschland bei Olympia in Innsbruck Bronze gewann – dem bis 2018 größten deutschen Erfolg. Drittens rief er lange vor Olympia das Reformprogramm „Powerplay 2026“ ins Leben. Dies soll bis 2026 Erfolge wie 2018 nachhaltig ermöglichen. „Die Chance auf Medaillen ist das eine. Sie dann aber auch zu gewinnen, das ist das andere“, meint Reindl.

Und im Februar 2018 passte alles. „Da ist einfach Unglaubliches passiert. Da bekomme ich heute noch Gänsehaut“, sagt Reindl – der Moment des Lachens. Das historische Endspiel von Pyeongchang, als dem deutschen Außenseiter-Team um den damaligen Bundestrainer Marco Sturm beim 3:4 nach Verlängerung gegen Russland 55,5 Sekunden zur ganz großen Sensation fehlten, jährt sich am Montag zum ersten Mal.

„So einen Erfolg braucht jede Sportart. Es kann ein Katalysator sein, gewisse Dinge schneller zu erreichen“, sagt DEB-Sportdirektor Stefan Schaidnagel. Der 37-Jährige begriff noch in Südkorea, wie viel Arbeit der Erfolg mit sich bringt. Vor allem Schaidnagel erfüllt „Powerplay 2026“ mit Leben und reformiert Verband und Sport im DEB. In der Tat gab es in dem laut Reindl „großartigen Jahr“ seitdem Anzeichen eines Booms. Die Nachfrage aus der weltbesten Liga, der nordamerikanischen NHL, an deutschen Profis wächst, die Anmeldungen im Nachwuchs steigen, die Medienpräsenz ist größer geworden. Das Silber-Team wurde als erstes Eishockey-Team überhaupt zur Mannschaft des Jahres gekürt.

„Wir hatten ein sportlich überragendes Jahr“, sagt Schaidnagel: „Meine Gedanken gehen aber schon längst wieder in Richtung der nächsten Olympia-Qualifikation.“ Diese soll der neue Bundestrainer Toni Söderholm bei der WM im Mai in der Slowakei perfekt machen. Der 40 Jahre alte Finne übernahm den Posten von Sturm, dem durch Olympia der Sprung in die NHL als Assistenzcoach der Los Angeles Kings gelang.

„Wir haben mit Marco den größten Erfolg im deutschen Eishockey jemals gefeiert. Da muss man so fair sein, ihn nicht damit zu vergleichen“, sagt Olympia-Fahnenträger Christian Ehrhoff über Söderholm. Denn das Nationalteam steckt im Umbruch. Neben Sturm sind etliche langjährige Führungsspieler wie Ehrhoff nicht mehr da. Sturm-Nachfolger Söderholm muss das Nationalteam neu aufbauen – und gleichzeitig Erfolg haben.

Ob Reformator Reindl DEB-Präsident bleibt, ist unklar. Bis Mai will er sich entscheiden, ob er 2020 für den Vorsitz beim Weltverband IIHF kandidiert. Reindl gilt als chancenreicher Kandidat. Um für den Abgang gewappnet zu sein, hat der DEB vorgesorgt. Sportdirektor Schaidnagel ist nun der starke Mann und hat offiziell die „Generalverantwortung für den DEB“. Finanziert wurde die Beförderung mit Fördergeld vom Innenministerium, das es nach Olympia-Silber gab. Drei zusätzliche Jugend-Trainer sind auch finanziert.

Offenbar gibt es einen vermeintlichen „Olympia-Effekt“ auch im Nachwuchs: In den Jahrgängen 2008 bis 2013 gab es laut DEB bis zum vergangenen Sommer 2058 Neuanmeldungen. Bei den unter zehnjährigen Kindern stieg der Zuwachs 2018 um 14,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch im Sommer, wenn der DEB wieder Zahlen erhebt, wird der Trend wohl anhalten. Nur wird sich der Effekt im Leistungsbereich erst in etlichen Jahren bemerkbar machen – wenn überhaupt.

Denn die Möglichkeiten, Eishockey zu spielen, werden jedes Jahr geringer. Schaidnagel spricht selbst von einer „Eishallen-Problematik“. Aktuell gibt es 250 Indoor- und Outdoor-Eisflächen in Deutschland – Tendenz abnehmend. Dass in München ein Komplex für Basketball und Eishockey mit vier neuen Eisflächen gebaut wird, ist laut Reindl „ein Highlight“ – weil es so selten ist. Das Fachblatt „Eishockey News“ veröffentlichte in dieser Woche eine Übersicht des Problems: Sechs Hallen sind in Deutschland in Planung, sieben werden neu oder zumindest umgebaut. Dem gegenüber stehen vier stillgelegte und 19 abgerissene Hallen in den vergangenen Jahren. Immerhin betreibt der Verband seit einiger Zeit vermehrt Lobbyarbeit bei Kommunen und Unternehmen.

Dies steht woanders noch an. Der DEB hat erkannt, dass ein Boom nur durch Präsenz in den öffentlich-rechtlichen Sendern möglich ist – wie bei den Winterspielen. „Das Übertragen von WM-Spielen bei ARD und ZDF wäre der Mosaikstein, um endgültig für den Run zu sorgen“, meint Schaidnagel.

Seit Jahren zeigten ARD und ZDF bei Olympia Eishockeyspiele live. Der DEB hoffte, ARD und ZDF könnten sich für WM-Spiele um Sub-Lizenzen beim Rechteinhaber Sport1 bemühen – vergeblich. Die Begehrlichkeiten bezeichnet ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky als verständlich, „aber wir haben keine Rechte, und das respektieren wir“.

Wie viel Lobbyarbeit noch ansteht, wurde zuletzt am 12. Januar deutlich. An einem Samstag in der Fußball-Winterpause spielten die Kölner Haie in der Deutschen Eishockey Liga gegen die Düsseldorfer EG im Fußballstadion des FC. Knapp 50 000 Zuschauer kamen zum größten DEL-Prestige-Duell – telegener geht es eigentlich nicht. Das ZDF aber berichtete im „Sportstudio“ nicht. Ein Beitrag war nach eigener Aussage geplant, musste wegen „technischer Schwierigkeiten“ aber wieder weichen. „Das ist schon enttäuschend“, meint Ehrhoff noch heute. Sein Fazit: „Es ist halt wieder Alltag eingekehrt.“

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