Des Trainers Suche nach dem puren Glück

Fußball besteht zu 80 Prozent aus Enttäuschung und zu 20 Prozent aus purem Glück", sagt Martin Jol. Einem Glücksgefühl der besonderen Art, das süchtig mache. Einem Phänomen. Auch deshalb, weil der Mensch in anderen Bereichen des Lebens mit einer solchen Quote kaum zufrieden wäre

Fußball besteht zu 80 Prozent aus Enttäuschung und zu 20 Prozent aus purem Glück", sagt Martin Jol. Einem Glücksgefühl der besonderen Art, das süchtig mache. Einem Phänomen. Auch deshalb, weil der Mensch in anderen Bereichen des Lebens mit einer solchen Quote kaum zufrieden wäre. "Wenn ein Mann mit einer Frau verheiratet ist und das Maß der Enttäuschung 80 Prozent beträgt, wird er sich bestimmt scheiden lassen", erklärte Jol der "Zeit". Ein Trainer lasse sich vom Fußball aber nicht scheiden. Komme, was wolle.

Der Fußball bleibt, was wechselt sind die Arbeitgeber. Allerdings ist in den jüngst beobachteten Trennungen eine Trendwende zu erkennen. Neu ist, dass nicht ausschließlich die Vereine die Scheidung von ihren Trainern wollen. Nein, heuer kündigen auch Trainer laufende Verträge. Das ist die erste Kernaussage der neuen Saison der Fußball-Bundesliga, die am Freitag startet.

Das beste Beispiel dafür ist eben dieser Martin Jol. Bis vor kurzem war er noch Trainer des Hamburger SV, hatte einen guten Vertrag, einen zufriedenen Arbeitgeber - dennoch ist Jol nun bei Ajax Amsterdam. Auch Christoph Daum kündigte seinen Vertrag beim 1. FC Köln auf Grund einer Ausstiegsklausel und wechselte zu Fenerbahce Istanbul. Ihn beerbte Zvonimir Soldo. Bei Borussia Mönchengladbach hatte Hans Meyer nach dem geschafften Klassenverbleib um Vertragsauflösung gebeten. Michael Frontzek kam, der zuvor bei Arminia Bielefeld traditionell vom Verein die Papiere bekam. Einen Spieltag vor dem Saisonende hatten sich Eintracht Frankfurt und Friedhelm Funkel auf eine Vertrags-Auflösung geeinigt. Michael Skibbe hat nun den Job auf dem Eintracht-Stuhl. Meister-Trainer Felix Magath hatte zuvor beim VfL Wolfsburg von einer Ausstiegsklausel Gebrauch gemacht und war zum Ligarivalen Schalke 04 gewechselt. Armin Veh heißt sein Erbe.

Und da beim HSV nach Jols Abgang eine Stelle frei war, bewarb sich Bruno Labbadia darauf erfolgreich. Obwohl er einen laufenden Vertrag bei Bayer Leverkusen hatte. Dort ist nun Jupp Heynckes Trainer, der vorher gar keinen Vertrag bei Bayern hatte, die Münchner aber dennoch trainierte. "Ich habe noch nie einen Vertrag gebrochen", sagt Heynckes, der überhaupt kein Verständnis dafür hat, "dass Vereine Ausstiegsklauseln in Verträgen bei Trainern einbauen". Auch der frühere Meistertrainer Ottmar Hitzfeld zeigte sich verwundert über die Entwicklung. "Ich bin gespannt, was Felix Magath einem Spieler antworten wird, der sagt: Ich habe einen Vertrag, will aber trotzdem weg", sagt Hitzfeld.

Dass die durchschnittliche Verweildauer eines Trainers in der Bundesliga bei 14 Monaten liegt, ist nicht nur Jörn Andersen von Mainz 05 klar. Er musste gestern nach 13 Monaten noch vor dem ersten Spieltag der Saison gehen und wurde durch Thomas Tuchel (Foto: dpa) ersetzt (siehe Seite D1). Auch DFB-Sportdirektor Matthias Sammer ist dies nicht entgangen. Früher sei der Trainer das "schwächste Glied in der Kette" gewesen, sagt er. Jetzt wehrten sich die Fußball-Lehrer und "nehmen eine Revoluzzerhaltung" ein, die zwar "ein Stück weit legitim" sei, aber eher kontraproduktiv. Sammer appelliert an die Klubs, langfristig mit den Trainern zu planen, wie etwa Pokalsieger Werder Bremen mit Trainer Thomas Schaaf (seit 1999 Cheftrainer). Jener Sammer also, der Dieter Eilts - trotz Vertrages - als U21-Trainer rauswarf. Jener Sammer, der Rainer Adrion - trotz laufenden Vertrages beim VfB Stuttgart II - zum U21-Trainer machen wollte.

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Dieses Jahr gibt es neun neue Trainer zu beobachten - und alle wollen sie eines: Diese 20 Prozent aus purem Glück gemeinsam mit ihrem Verein finden. Dass Glück überall anders ausschaut, ist klar. Dass Bayern München mit Louis van Gaal nur glücklich ist, wenn er den Titel holt, ist selbstredend. Dass Labbadia mit dem HSV und Heynckes mit Bayer das internationale Geschäft brauchen, um glücklich zu werden, ist klar. Frontzeck macht Gladbach glücklich, wenn das Wort Abstieg keine Rolle spielt. Magaths Meisterschwur auf Schalke macht jetzt schon alle glücklich.

Dass das Erreichen der Ziele aber auch Glücksache ist, zeigt eine Studie der Sportwissenschafterin Alexandra Tippenhauer. Sie analysierte insgesamt 232 Trainerwechsel in 35 Bundesliga-Saisons. Ergebnis: Ein Trainerwechsel bringt im Durchschnitt nichts. Was sich auszahle, sei Kontinuität. Und nicht die hektische Suche nach dem schnellen Glück. "Ich habe noch nie einen Vertrag gebrochen."

Jupp Heynckes

Hintergrund

Die Zahl der Logen nimmt zu, die Stehplätze werden weniger: Das Millionengeschäft Fußball - und insbesondere sein Flaggschiff Bundesliga - boomt wie keine andere Sportart in Deutschland. Immer mehr Vereine im deutschen Profifußball - nicht nur die Erstligisten - haben neue Stadion gebaut oder die Planungen dafür angestoßen. Mehr Businessplätze und Logen erhöhen das Umsatzpotenzial und generieren neue Kundschaft und frisches Geld in nicht unerheblicher Höhe.

Am augenfälligsten aber ist eine andere Entwicklung: Die früher üblichen Leichtathletik-Laufbahnen werden systematisch aus den Stadien verbannt. Bis auf vier Clubs verfügen alle Bundesligisten inzwischen über reine Fußballstadien. Und wenn in Stuttgart die 60,8 Millionen Euro teuren Umbauten an der Mercedes-Benz-Arena abgeschlossen sind, wird auch der VfB eine moderne Arena bekommen. Ende 2011 soll das der Fall sein. Neben Werder Bremen und Aufsteiger 1. FC Nürnberg verfügt ansonsten nur noch Hertha BSC über eine Laufbahn. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort