Fußball-WM in Russland Der Verteidigungsminister hat sein Trauma überwunden

Istra/Moskau · Raphaël Varane gibt der französischen Defensive Halt und Stabilität. Im Halbfinale gegen die offensivstarken Belgier ist er besonders gefordert.

Dieses verdammte Kopfballduell mit Mats Hummels. Seit dem 4. Juli 2014 hat Raphaël Varane diese eine Szene verfolgt, diese Sekunden vor dem 0:1 im WM-Viertelfinale gegen Deutschland: Im Maracanã läuft die zwölfte Spielminute. Toni Kroos schlägt eine Freistoßflanke aus dem Halbfeld, Hummels schüttelt den damals erst 21-jährigen Varane ab wie eine lästige Fliege und köpft den Ball von der Unterseite der Latte ins Tor.

„2014 ist Vergangenheit“, sagte dieser Varane nun, als er fast auf den Tag genau vier Jahre später die Dämonen der Vergangenheit mit einer Art Déjà-vu endlich vertrieben hatte. Denn beim 2:0 (1:0) gegen Uruguay war es ausgerechnet er, der nach einem Freistoß mit einem lehrbuchreifen Kopfballtreffer den Grundstein zum Einzug der Franzosen ins WM-Halbfinale legte.

„Ich bin sehr froh über dieses Tor“, sagte der Innenverteidiger von Real Madrid nach der wohltuenden Wiedergutmachung. Zumal er bei der Heim-EM vor zwei Jahren ja keine Gelegenheit dazu gehabt hatte. Eine Oberschenkelverletzung verhinderte damals seine Teilnahme. Noch so ein schmerzhaftes Kapitel in der Karriere des Raphaël Varane.

Doch im Hier und Jetzt gehört Varane zu den Stützpfeilern von Frankreichs jungen Wilden in Russland. Als „Verteidigungsminister“ (Le Monde) auf dem Platz, aber auch als Führungskraft und Vize-Kapitän daneben. Ähnlich wie einst sein Idol Zinédine Zidane gehört Varane dabei eher nicht zu den Lautsprechern. „Es braucht verschiedene Persönlichkeiten. Paul Pogba ist Feuer, ich bin mehr wie Wasser“, betont er. Mit allen Wassern gewaschen ist der Mann mit dem Spitznamen „Meister Proper“ jedenfalls auch. Seit seinem Wechsel zu Real Madrid 2011 hat Varane mit den Königlichen 15 Titel gewonnen, darunter vier Mal die Champions League. Aber eine WM ist dann trotzdem noch mal eine größere Hausnummer. „Die ist seltener, nur alle vier Jahre. Und es geht um den Stolz einer Nation“, betonte Varane, „die Emotion ist eine andere.“

Heute im Halbfinale in St. Petersburg wartet ebenfalls eine emotional spezielle Aufgabe auf ihn. Geboren und aufgewachsen in Lille, unweit der belgischen Grenze, gab es bereits früh Berührungspunkte mit den Nachbarn: „Ich habe ein herzliches Verhältnis zu den Belgiern. Als Kind habe ich dort viele Fußball-Turniere gespielt.“ Für solch freundschaftliche Gefühle ist im Kampf um einen Platz im WM-Finale naturgemäß kein Platz. Wie schon gegen Vize-Weltmeister Argentinien und Uruguay kommt auf Varane viel Arbeit zu – Belgiens Offensive um Romelu Lukaku hat bereits 14 Turniertore auf dem Konto. Mehr als jedes andere Team bei dieser Endrunde.

„Lukaku ist ein Problem für jede Defensive“, gab Varane zu, „man darf ihm keinen Platz lassen. Und dann sind da noch die sehr guten Spieler um ihn herum.“ Doch das Träumen vom zweiten WM-Titel nach 1998 ist erlaubt: „Es liegt an uns, das Richtige zu tun, aber wir glauben daran.“ Schließlich könne die Équipe Tricolore auch den Roten Teufeln „offensiv wehtun“, so Varane. Notfalls mit wuchtigen Kopfbällen des Defensivpersonals.

Nach der Final-Niederlage bei der EM 2016 gegen Portugal will Frankreich in Russland die Chance auf den Titel unbedingt nutzen. „Wir werden alles tun, um diese Chance zu ergreifen und ins Finale zu kommen“, versprach Trainer Didier Deschamps gestern in der Abschluss-Pressekonferenz. Für ihn ist sein Team aus der jungen Generation noch weit vom Maximum entfernt. „Die Mannschaft wird in zwei oder vier Jahren noch besser sein, wenn man auf ihr Durchschnittsalter schaut. Das Potenzial für Fortschritt ist sehr groß.“

Frankreichs Kapitän Hugo Lloris sagte über den Gegner: „Belgien ist in jedem Bereich stark. Sie haben alles, was es für ein großes Team braucht. Es ist eine fantastische Generation.“ Sein Team brauche daher ein großartiges Spiel.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort