Der Unbeugsame

London. Tony Godsick hat kürzlich von ein "paar erstaunlichen Begegnungen" mit Freunden und Geschäftspartnern berichtet - direkt vor dem ATP-Finale der acht besten Tennis-Profis in London. Godsick, ein 40 Jahre alter Amerikaner, ist der mächtigste Mann am Hofe des Maestros Roger Federer, der globale Geschäftsbesorger, der seinem Herrn die wichtigen Sponsorenverträge beschafft

London. Tony Godsick hat kürzlich von ein "paar erstaunlichen Begegnungen" mit Freunden und Geschäftspartnern berichtet - direkt vor dem ATP-Finale der acht besten Tennis-Profis in London. Godsick, ein 40 Jahre alter Amerikaner, ist der mächtigste Mann am Hofe des Maestros Roger Federer, der globale Geschäftsbesorger, der seinem Herrn die wichtigen Sponsorenverträge beschafft. Kaum einer weiß so präzise einzuschätzen, wo der Grand-Slam-Rekordsieger sportlich steht - und so war Godsick "einigermaßen verblüfft", dass sich manche aus seinem Bekanntenkreis reichlich für den Saisonhöhepunkt mit Karten eingedeckt hatten, "um noch einmal Roger bei der Weltmeisterschaft zu sehen". Ganz so, als sei es die unwiderruflich letzte Chance.

Kein Gedanke ans Aufhören

Von dieser Sorge hat Federer nicht nur seine glühenden Verehrer befreit. Er hat auch jene überzeugt, die sein Wirken in den vergangenen Monaten mit zunehmend kritischer Distanz begleitet hatten. Der Masters-Sieger des Jahres 2011, dieser stolze Schweizer mit nunmehr 70 Turnier-Erfolgen und 100 Endspiel-Teilnahmen, erfreut sich mit seinen 30 Jahren eines ungebrochenen Ehrgeizes. Er ist fitter, drahtiger, besser austrainiert als zu Beginn seiner Karriere. Und er hat immer noch den Zugriff auf die großen Titel. "Ich mache mir gar keine Gedanken übers Aufhören, ich denke weit über die nächste Saison hinaus", sagte Federer nach seinem sechsten WM-Titel, errungen durch einen schwer erkämpften Drei-Satz-Erfolg (6:3, 6:7, 6:3) gegen den 26 Jahre alten Franzosen Jo-Wilfried Tsonga. Federer ist noch ein Mann fürs Morgen und keiner, der im Dämmerlicht einsam und verloren schon dem Ruhestand entgegen reitet.

Federers Sieg beim Besten-Treffen in der Tennis-Kathedrale zu London war kein glorreicher Moment wie etwa ein Triumph im heiligen Gral Wimbledon oder im verrückten US-Open-Revier. Aber er war auch keinesfalls eine Bagatelle für den alten, höchst rüstigen Meister, dessen Widerstandskraft und Unbeugsamkeit jenseits der Dreißig schlichtweg phänomenal ist. So zäh und konsequent und unbeeindruckt wie er ist kaum ein anderer im Tennis und in einer der großen Individual-Sportarten. Ein Mann, der souverän in sich ruht und die Aufgeregtheiten der Branche an sich abprallen lässt.

Als er bei den US Open zwei Matchbälle gegen Novak Djokovic, den späteren Sieger, im Halbfinale ausließ und dann noch verlor, sagte er, es bereite ihm keine Mühe, das wegzustecken und neue Aufgaben anzupeilen. Das wurde Federer als trotzige Verleugnung der Realitäten ausgelegt, als Versuch, dem tristen Hier und Jetzt zu entfliehen. "Dabei ist es ganz einfach: Ich habe gelernt, mit Niederlagen umzugehen. Und mich nicht mehr unnötig lange damit zu beschäftigen", sagt Federer, "ich blicke nach vorne, versuche Fehler auszubügeln".

Große Titel im Visier

So hat er sich in den letzten Jahren zwar nicht pausenlos neu erfunden, doch immer wieder hat er in ebenso filigraner wie knochenharter Feinarbeit an seinem Spiel modelliert - um auf Augenhöhe mit den unbarmherzig nachrückenden Herausforderern zu bleiben. "Die Illusion, ständig vorne bleiben und die wichtigsten Titel holen zu können, hatten andere - ich nicht", sagt Federer.

Man darf Federer abnehmen, dass es ihn nach so vielen Jahren Frontarbeit nicht mehr sonderlich interessiert, ob er nun die Nummer drei oder vier in der Hackordnung ist. Die Nummer eins zurückzuerobern, klar, das wäre ein lohnenswertes Ziel. Aber der Schweizer hat eher die großen Trophäen im Visier. Grand-Slam-Siege, dazu die Goldmission bei den Olympischen Spielen 2012 und der Gewinn des Davis-Cups mit der Schweiz. "Es sind wirklich noch ein paar nette Ziele da. Ziele, für die es zu kämpfen lohnt", sagte Federer.

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