Der stille Präzisionsarbeiter

Malaga. Wenn die erste Elf von Borussia Dortmund heute Abend (20.45 Uhr, live im ZDF) im lauen Mittelmeerwind das La Roselda Stadion in Malaga betritt, wird wohl nur ein einziger BVB-Spieler in der Startelf stehen, der noch nie einen Titel gewonnen hat

Malaga. Wenn die erste Elf von Borussia Dortmund heute Abend (20.45 Uhr, live im ZDF) im lauen Mittelmeerwind das La Roselda Stadion in Malaga betritt, wird wohl nur ein einziger BVB-Spieler in der Startelf stehen, der noch nie einen Titel gewonnen hat. Einzig Marco Reus durfte bisher keine bedeutende Trophäe in den Fußballhimmel heben, und dass sich das in dieser Saison ändern werde, möchte in Dortmund derzeit niemand prognostizieren. "Es bringt überhaupt nichts, schon jetzt über das Finale zu sprechen", sagt Reus, dessen Team 2013 weder den Pokal gewinnen noch den Meistertitel verteidigen wird. Geträumt wird trotzdem im Revier, denn Borussia Dortmund ist in der Champions League in die Rolle des klassischen Überraschungsteams hineingeraten. Der BVB glüht vor Leidenschaft und fliegt mit einer hervorragenden Mannschaft an die Costa del Sol.Wahrscheinlich gibt es in der Königsklasse keinen Konkurrenten mit mehr Spielern, die gerade dabei sind, die Phalanx der Weltklasse zu erreichen. Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass einer wie Reus trotz brillanter Leistungen derzeit ein vergleichsweise ruhiges Leben führen kann beim BVB. In Dortmund wurde in den vergangenen Wochen viel von Ilkay Gündogan, der unverzichtbaren Schaltzentrale, geschwärmt. Es gab fast täglich Schlagzeilen zu den Rekorden des Robert Lewandowski, die Viererkette und die Verletzung des scheinbar vom FC Barcelona umworbenen Mats Hummels war ein Thema. Und natürlich der wunderbare Mario Götze und seine Tauglichkeit als Zentrumsstürmer.

Reus hingegen verrichtete seine Präzisionsarbeit im Stillen. Im Länderspiel gegen Kasachstan vorige Woche erzielte er zwei Tore, im Zentrum der Aufmerksamkeit standen aber Manuel Neuer um das missmutige Nürnberger Publikum. Aber das ist Reus gar nicht unrecht. Der 23-Jährige legt keinen Wert darauf, im Mittelpunkt zu stehen, ganz im Gegenteil. Wenn er Interviews gibt, murmelt er seine Antworten geradezu, seine Integration ins Team sei unter anderem so schnell gelungen, weil er "nicht jeden Medientermin" absolvieren musste, erzählt er.

Reus ist ein sehr schüchterner Mensch. In seinem ersten Bundesligaspiel für Mönchengladbach war seine Nervosität nicht zu übersehen, und die Berufung ins Nationalteam war ihm ebenfalls ziemlich unheimlich, heißt es. Viermal sagte er wegen unterschiedlicher Blessuren ab, bis es endlich zum Debüt kam. Angeblich ist er 2009 von LR Ahlen nach Mönchengladbach gewechselt, weil Max Eberl, der Manager der Borussia, der Familie Reus glaubhaft versichern konnte, dass die Mannschaft das sensible Talent mit Wärme empfangen werde.

Dass Reus sich derart rasant entwickeln werde, war da natürlich noch nicht absehbar. Die Offensivfähigkeiten des gebürtigen Dortmunders schimmerten zunächst nur sporadisch hervor. In Ahlen hatte Reus in 43 Spielen gerade einmal fünf Treffer erzielt. Aber er hatte immer geackert, gekämpft und gegrätscht, das hat Eberl beeindruckt. Die außergewöhnliche Qualität vor des Gegners Tor hat sich erst unter Lucien Favre ausgebildet. Und diese Fähigkeit war ein zentraler Faktor in der bisherigen Champions-League-Saison.

Inzwischen hat Reus auch das Dortmunder Defensivspiel gelernt, was in der jüngeren Vergangenheit kaum einem Spieler schneller gelang. Elf Tore hat er in der Bundesliga bereits erzielt, elf weitere vorbereitet, und in der Champions League traf er dreimal. "Kunst, aber unprätentiös", umschrieb der Spiegel den Stil des Nationalspielers. Viele Pässe, die er spielt, sind nicht spektakulär, dafür aber schnell und von einer glanzvollen Klarheit. Und Auswärtsspiele in der Champions League gefallen im besonders gut. Seine drei Treffer hat er alle auf des Gegners Platz erzielt.

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