Der Star, der veräppelt wirdBrasilien setzt heute im WM-Viertelfinale auf Unschuldslamm Luís Fabiano

Port Elizabeth. Die Engländer sind abgereist. Die Amerikaner und Australier auch. Insofern ist es für eine Stimmung in Südafrika zur entscheidenden Phase der Fußball-Weltmeisterschaft dienlich, dass eine feier- wie reisefreudige Anhängerschaft mit orangefarbenen Hemden und Shirts noch von Stadt zu Stadt ziehen darf. Singend. Lärmend

Port Elizabeth. Die Engländer sind abgereist. Die Amerikaner und Australier auch. Insofern ist es für eine Stimmung in Südafrika zur entscheidenden Phase der Fußball-Weltmeisterschaft dienlich, dass eine feier- wie reisefreudige Anhängerschaft mit orangefarbenen Hemden und Shirts noch von Stadt zu Stadt ziehen darf. Singend. Lärmend. Voller Vorfreude auf das Viertelfinale heute in Port Elizabeth: Niederlande gegen Brasilien (16 Uhr/ARD). Längst haben sie sich Vuvuzelas zugelegt, die ihre markante Signalfarbe haben. Einige tragen T-Shirts, die sie aus Amsterdam mitgebracht haben. "Wesley dekt Yolanthe" steht auf der Vorderseite der Verkaufsschlager, "Wie dek jy?" auf der Rückseite. "Wesley deckt Yolanthe - wer deckt mich?" Doppeldeutiger holländischer Humor.

Ist es witzig, wenn Sneijder und seine Liebste Yolanthe Cabau van Kasbergen so anzüglich von eigenen Fans auf die Schippe genommen werden? Der Affront gegen einer ihrer Stars kommt nicht von ungefähr. An der Nummer zehn scheiden die Geister. Der 26-Jährige gilt als markante wie provokante Persönlichkeit, nachdem er sich dem 25-jährigen Model widmete, wo er doch seit langem mit Jugendliebe Ramona verheiratet war und einen dreijährigen Sohn hat. Publik wurde seine Affäre durch ein Überwachungsvideo aus einer Amsterdamer Parkgarage, anschließend suchte das Paar freiwillig jede verfügbare Kamera auf.

Wesley und Yolanthe beschäftigen mittlerweile denselben Berater aus dem Showgeschäft. Sie treten auf wie die niederländische Antwort auf die Engländer David und Victoria Beckham. In einer Zeit, in der die Trennlinien zwischen Sport und Privatem verwischen, sind die Folgen solch zweifelhafter Inszenierungen unvermeidlich.

Sneijder, der eine eindrucksvolle Saison bei Inter Mailand gespielt hat, Meisterschaft, Pokal und Champions League gewann, nachdem ihn Real Madrid für den Spottpreis von 15 Millionen Euro abgeschoben hatte, spürt in der Nationalelf Vorbehalte - spätestens seit dem Achtelfinale gegen die Slowakei (2:1): Stürmer Robin van Persie warf bei seiner Auswechslung Trainer Bert van Marwijk Worte an den Kopf, die Lippenleser entschlüsselt haben wollen: "Du musst Sneijder rausnehmen." Jener Mitspieler, der das 1:0 vorbereitet und das 2:0 erzielt hatte, mit dem aber nicht nur van Persie wenig bis gar nichts verbindet - da offenbarte sich, wie schmal die mannschaftsinterne Gratwanderung des beidfüßig starken Filigran-Technikers ist. Auch wenn Sneijder gleich beschied, es herrsche Meinungsfreiheit und man solle sich lieber auf das Brasilien-Spiel konzentrieren, kostete es eine Menge Mühe, die Wogen zu glätten.

Van Marwijk sprach den Vorfall noch in der Kabine an, van Persie entschuldigte sich später: "Das war nicht schlau von mir." Aber ist es auch klug, wie sich Trotzkopf Sneijder verhält? Medien aus der Heimat haben ihm den Beinamen "geduldiger Pitbull" verpasst. Er wirkt unberechenbar, weil leicht reizbar, unnahbar, weil oft schlecht gelaunt. Er fürchtet nichts so sehr wie ungerechtfertigte Kritik und flüchtet oft vor lästigen Stellungnahmen.

Dabei ist der Leistungsnachweis bei der WM aller Ehren wert: vier Einsätze, zwei Tore, 15 Torschüsse, 217 Pässe, von denen fast jeder sechste ein langer Pass ist. Er ist in vier Partien 40 Kilometer gelaufen. Als offensiver Mittelfeldspieler hinter den Spitzen betreibt er, der 17 Jahre bei Ajax Amsterdam spielte, auch hier eine schwer durchschaubare Inszenierung: Mal stößt er bis in die Spitze vor, dann schleppt er Bälle von hinten nach vorn. Er schießt tückische Freistöße, legt van Persie oder Arjen Robben die Bälle in den Lauf. Und wie gut der 1984 in Utrecht geborene Ausnahmefußballer spielen kann, ließ sich gegen die Slowakei sezieren: Die Presse stimmte Jubelarien auf Robben an, aber war der feine 50-Meter-Pass Sneijders auf den Flügelflitzer nicht genauso verzückend?

Bei Robben raunt das Publikum laut, bei Sneijder staunt es leise. Der eine ist immens beliebt, der andere wird allenfalls bewundert. Oder veräppelt. Port Elizabeth. 2009 stand Luís Fabiano in Südafrika schon einmal ganz oben: Mit Brasilien als Sieger beim Confederations Cup und als erfolgreichster Torschütze (fünf Treffer). Die Nummer neun hat er seither nicht hergegeben: In jenem Trikot holte Ronaldo 2002 den WM-Pokal und den "Goldenen Schuh" als bester Torschütze (acht). Luís Fabiano ist vor dem heutigen Viertelfinale bei drei Treffern angelangt. "Ich denke nicht daran, dass ich Torschützenkönig werden kann. Ich möchte einfach ins Finale, die Tore kommen von alleine", sagte der 29 Jahre alte Strafraumwühler vom FC Sevilla vor dem Knüller gegen die Niederlande (16 Uhr/ARD). Notfalls macht er seine Treffer auch mit der Hand - wie beim 3:1 gegen die Elfenbeinküste. Wenn's der Schiedsrichter nicht sieht und der Welverband Fifa nicht nachträglich ahndet. Der Stürmer spielt dann ohne mit der Wimper zu zucken das Unschuldslamm. Hauptsache Tor.

Geschenkt wurde ihm wenig im Leben. Luís Fabiano ist mit einer fabelhaften Schusstechnik und einem enormen Torriecher gesegnet, aber kein Ballzauberer. Im Achtelfinale gegen Chile (3:0) versuchte er mal einen Hackentrick, traf dabei mit dem Ball sein Standbein und wäre fast in Straucheln geraten. Egal. Ronaldo lobt seinen Nachfolger in der Mannschaft des fünfmaligen Weltmeisters: "Er kann unglaubliche Tore machen." Kämpfen kann Luís Fabiano auch. Früher beanspruchte er oft das Faustrecht für sich: "Ich habe es nie gemocht, wenn die Dinge nicht geklärt waren, und hatte immer Ärger." dpa

"Du musst Sneijder rausnehmen."

Robin van Persie (Foto: dpa) soll Trainer Bert van Marwijk angegiftet haben

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