Der Rekord-Miro fliegt wieder

Fortaleza · Nur 120 Sekunden benötigte Miroslav Klose, um nach seiner Einwechslung gegen Ghana das 2:2 für Deutschland zu erzielen. „Ich hoffe, dass ich noch die eine oder andere Möglichkeit bekomme, zu treffen“, sagte Klose.

Nur mit dem Salto war Miroslav Klose nicht zufrieden und erteilte sich schlechte Haltungsnoten. "Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich ihn zuletzt gemacht habe. Irgendwie hat es mich gepackt, aber man hat gesehen: aus der Übung", sagte er.

Es wäre bestimmt nicht jeder so kritisch mit dem mittlerweile 36 Jahre alten Stürmer auf turnerischen Abwegen umgegangen. Aber so ist Klose: Kein lautstarker Trommler in eigener Sache - und auch im Erfolg ziemlich zurückhaltend. Dabei hätte er allen Grund gehabt, nach dem 2:2 der deutschen Nationalmannschaft gegen Ghana in Fortaleza mit Wucht auf die Pauke zu hauen. Schließlich hatte er nicht nur den Ausgleich erzielt, der ihn zum Ausflug ins akrobatische Fach veranlasste, sondern zugleich auch den WM-Rekord des Brasilianers Ronaldo eingestellt. Für beide stehen nun 15 Treffer zu Buche. Und weil Fußball-Rentner Ronaldo ein sehr rundliches Kerlchen geworden ist, kann niemand erwarten, dass er in diesen Wettlauf noch einmal eingreift.

Klose dagegen darf mit großem Recht von sich behaupten: "Ich bin fit, ich bin schnell. Es kommt mir nun zugute, wie ich am Anfang meiner Karriere mit meinem Körper umgegangen bin. Ich hoffe, dass ich noch die eine oder andere Möglichkeit bekomme, zu treffen." Schon das nächste Tor wäre somit eine historische Tat. Seine Kollegen hätten dagegen sicher nichts einzuwenden. "Wir haben uns alle für ihn gefreut, er kann gerne noch zwei, drei Tore machen", stellte Kapitän Philipp Lahm fest. Solche Treffer würden die DFB-Auswahl dann mit Sicherheit weiter bringen.

Das 2:2 gegen Ghana verhinderte zumindest einen kleinen Einbruch nach dem allseits bejubelten 4:0 gegen Portugal zu Beginn. Klose erzielte es in der typischen Art eines Torjägers. Nach einem von Benedikt Höwedes mit dem Kopf verlängerten Eckball von Toni Kroos war Klose genau an der Stelle, wo er gebraucht wurde und spitzelte den Ball über die Linie. Und er versicherte, dass er sich später mehr über den Ausgleich an sich als über die Tatsache gefreut habe, nun gleichauf mit Ronaldo zu liegen. Die Rekordjagd beschäftigt ihn natürlich dennoch. "Sicher ist das schön", erklärte Klose, "wer mich kennt, der weiß, dass es mich reizt, Erster zu werden. Aber mein Ziel war zunächst: Mit 36 bei meiner vierten WM dabei zu sein. Das habe ich geschafft."

Ansprüche leitet der Torjäger aus seinem erfolgreichen 20-Minuten-Auftritt nicht ab - wenigstens nicht in der Öffentlichkeit. "Ich sehe das total entspannt", sagte er, "selbstverständlich will jeder spielen. Wir sind alle da, jeder brennt. Und man sieht doch, wie viele Jokertore bei dieser WM gefallen sind." So spricht einer, der sich mit der Rolle eines ganz neuen Spielertypus angefreundet hat, den Bundestrainer Joachim Löw erfunden hat. Klose gehört zu den "Spezialkräften, die der Mannschaft frische Impulse und Schwung verleihen". Löw wiederholte diese Stellenbeschreibung ziemlich wortgleich bei der Würdigung der Leistung seines ältesten Spielers: "Miro hat der Mannschaft frische Impulse gegeben."

70 Tore, zwei mehr als der legendäre Gerd Müller , hat Klose nun für die Nationalmannschaft erzielt. Werte, an denen sich seine Nachfolger abarbeiten werden. Und er hat einige Stilwechsel überlebt. Zu Beginn durfte er noch zu kopfballstarken Strafraumstürmern gerechnet werden. Längst aber hält er jeden Vergleich mit den modischen halben oder falschen Neunern aus. Und das Toreschießen können die noch von Miroslav Klose lernen.Als Außenverteidiger war Philipp Lahm bei jedem Turnier seit 2004 eine Bank im Nationaltrikot - in Brasilien schwächelt der Kapitän in seiner neuen Mittelfeldrolle. Beim 4:0 gegen Portugal waren einige ungewohnte Fehler des 30 Jahre alten Münchners noch ungestraft geblieben. Beim 2:2 gegen Ghana aber führte ein böser Fehlpass von Lahm zum 1:2-Rückstand. "Ballverlust, schnell umgeschaltet, Pass in die Tiefe, Gegentor", beschrieb der Kapitän im Telegrammstil die ärgerliche Situation. Auch Joachim Löw staunte über seinen Mister Zuverlässig. "Philipp passieren normalerweise sehr wenige Fehler, heute war es zwei-, dreimal so", sagte der Bundestrainer, nahm seinen Kapitän aber umgehend in Schutz: "Mit dem Platz hatten gerade die technisch guten Spieler das eine oder andere Problem - schon beim Training."

Die Aufarbeitung der 93 Minuten in der heißen Arena Castelão in Fortaleza wird im Trainerstab, in der Scouting-Abteilung und im Mannschaftskreis sicher einige Zeit in Anspruch nehmen. Eines war beim nächtlichen Rückflug nach Porto Seguro und der anschließenden Busfahrt einschließlich Flussüberquerung ins Campo Bahia schon klar: Gegen Jürgen Klinsmann und die USA wird es am kommenden Donnerstag (18 Uhr) noch einmal richtig heiß. Um sicher ins Achtelfinale einzuziehen, braucht Deutschland mindestens noch einen Punkt.

Das erste Remis in einem Turnierspiel unter Löw überhaupt hatte nach dem 4:0-Auftakt gegen Portugal gezeigt, dass schon das kleinste Nachlassen bei dieser WM große Auswirkungen nach sich ziehen kann. "Natürlich müssen wir 100 Prozent an die Sache rangehen. Man sieht, wenn man ein bisschen nachlässig wird, dass man auch gegen Ghana direkt zwei Tore kassiert", bemerkte Mesut Özil .

Trotz der etwas kuriosen Führung durch Mario Götze , dessen Kopfball erst ans eigene Knie und dann ins Tor der Ghanaer ging, verlor Deutschland die Kontrolle über die Partie. Löw sprach von einem "irrsinnigen Tempo", von "Dramatik und Spannung" pur und von einem "offenen Schlagabtausch", vor dem er gewarnt hatte. 59 612 Zuschauer wurden hin- und hergerissen, als ein Doppelschlag von André Ayew und Asamoah Gyan die "Black Stars" in Front brachte. Beim Kopfballtor von Ayew zum 1:1 sah der zur Halbzeit für den verletzten Jerome Boateng eingewechselte Skhodran Mustafi alles andere als gut aus. Boateng soll zum Spiel gegen die USA aber wieder dabei sein, teilte Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff gestern Abend mit. Das größte Wagnis bleibt Khedira. Der Champions-League-Sieger stieß bei dem hohen Tempo und den klimatischen Bedingungen "körperlich ein bisschen an die Grenzen", wie Löw eingestand. Die Pause nach dem Kreuzbandriss im November 2013 ist auf hohem WM-Niveau nicht zu kaschieren. Ob Khedira gegen die USA auflaufen kann, ist sowieso ungewiss - bei ihm wurde gestern eine Innenbandzerrung im linken Knie diagnostiziert. Bierhoff gibt leichte Entwarnung: "Gegen die Amerikaner wird er zumindest wieder zur Verfügung stehen."

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Auf Einen BlickDeutschland - Ghana 2:2 (0:0). Deutschland : Neuer - Boateng (46. Mustafi), Mertesacker, Hummels, Höwedes - Khedira (70. Schweinsteiger), Lahm, Kroos - Özil, Müller, Götze (69. Klose).Ghana: Dauda - Afful, Boye, Mensah, Asamoah - Rabiu (78. Badu), Muntari - Atsu (72. Wakaso), Boateng (52. Jordan Ayew), André Ayew - Gyan. Schiedsrichter: Ricci (Brasilien).Zuschauer: 59 621.Tore: 1:0 Götze (51.), 1:1 André Ayew (54.), 1:2 Gyan (63.), 2:2 Klose (71.).Gelbe Karten: - / Muntari.

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