Der Rangnick-Schock

Gelsenkirchen. Giovanni Trapattoni ist ein Mann von schier unerschöpflicher Energie. Zurzeit ist der 72-Jährige Trainer der Nationalmannschaft von Irland und nebenbei noch für die Auswahl der Vatikanstadt zuständig. Gestern wurde auf Schalke ein Satz des umtriebigen Italieners hervorgekramt, um den Rücktritt eines erschöpften Kollegen zu erklären

Gelsenkirchen. Giovanni Trapattoni ist ein Mann von schier unerschöpflicher Energie. Zurzeit ist der 72-Jährige Trainer der Nationalmannschaft von Irland und nebenbei noch für die Auswahl der Vatikanstadt zuständig. Gestern wurde auf Schalke ein Satz des umtriebigen Italieners hervorgekramt, um den Rücktritt eines erschöpften Kollegen zu erklären. Trainer Ralf Rangnick leide unter einem "vegetativen Erschöpfungssymptom", erklärte Mannschaftsarzt Thorsten Rarreck auf einer eilig veranstalteten Pressekonferenz. Es handle sich um eine "Auslaugung des Körpers, die Energiereserven sind aufgebraucht, oder wie ein berühmter Bayern-Trainer einmal sagte: Flasche leer!" Das war ein wenig salopp und medizinisch vielleicht nicht ganz korrekt, aber dieses Bild war trotzdem irgendwie erleichternd. Es war der einzige Anflug von Humor an diesem tristen Morgen.Manager Horst Heldt (Foto: dapd) saß mit geröteten Augen vor den Journalisten, "das hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen", sagte er immer wieder. Ohne Vorwarnung war er am Mittwochabend mit Rangnicks Rücktrittsgesuch konfrontiert worden. Nur ein Schalker hat die Entwicklung kommen sehen: Mannschaftsarzt Rarreck, der der Schweigepflicht unterworfen ist. Ihm hatte Rangnick sich anvertraut. Seit Juli seien erste Anzeichen erkennbar gewesen, berichtete der Mediziner, "wir haben alles probiert, sanfte Methoden, Regulationsmedizin". Vor zehn Tagen seien die körperlichen Probleme schlimmer geworden. "Wir mussten die Reißleine ziehen", sagte Rarreck.

Die Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat Rangnick dann bei seiner Familie in Backnang verbracht, er beriet sich mit seiner Frau und einigen engen Freunden. Danach war die Entscheidung gefallen. Am Donnerstagmorgen hat Rangnick sich noch von der Mannschaft verabschiedet, zum Gespräch mit den Journalisten war er nicht mehr erschienen. Er ließ mitteilen, dass er "nach langer und reiflicher Überlegung" zu der Einsicht gekommen sei, dass er "eine Pause" brauche. "Mein derzeitiger Energielevel reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein und insbesondere die Mannschaft und den Verein in ihrer sportlichen Entwicklung voranzubringen", wurde Rangnick zitiert.

Im Volksmund heißt die Krankheit "Burn-Out", und es scheint, als habe er schon länger gespürt, dass seine Kräfte zu Ende gehen. Als er im Januar in Hoffenheim zurücktrat, kündigte er an, ein halbes Jahr Pause zu brauchen. Diesen Entschluss revidierte er wieder, weil Schalke sich im März von Felix Magath getrennt hatte und Rangnick die Nachfolge anbot. "Er wurde damals aber nicht gedrängt", versicherte Oliver Mintzlaff, der Berater des Trainers.

Jetzt wird der Trainer sich in der schwäbischen Heimat in ärztliche Behandlung begeben. Rangnick ist "zwar körperlich am Ende, aber das ist eine vorübergehende Sache, er wird als Mensch zu alter Stärke zurückfinden", versicherte Rarreck. Mit einer Depression habe die Krankheit nichts zu tun, Rangnicks Leiden sei "eine reversible Geschichte, nach einer Zeit kann der Betroffene wieder auf ganz normalem Niveau arbeiten". Wie lange der Genesungsprozess dauert, ist aber ungewiss, deshalb haben die Schalker auch nicht darüber nachgedacht, einen Interimstrainer zu benennen, der den Platz für Rangnick freihält.

Eichkorn übernimmt

Die Suche nach einem Nachfolger hat ohnehin noch nicht begonnen, vorerst wird Assistent Seppo Eichkorn das Team betreuen, das am Samstag gegen den SC Freiburg spielt. Auch die Details der Vertragsauflösung mit dem erschöpften Rangnick wurden noch nicht erläutert, die Schalker befinden sich in einem Schockzustand. Denn sie hatten den Plan, mit Rangnick und viel Geduld endlich eine Mannschaft aufzubauen, die die zwei großen Gelsenkirchener Gegensätze in Einklang bringen sollte: einen Kader aufzubauen, der der finanzielle Situation des Klubs angemessen ist und trotzdem erfolgreich Fußball spielt.

Dieses Kunststück muss Heldt nun mit einem anderen Trainer bewerkstelligen. Vielleicht mit dem Urschalker Mike Büskens. Der steht im Moment mit Greuther Fürth an der Spitze der 2. Liga und scheint zu besitzen, was Rangnick fehlt: ein prall gefüllter Energiespeicher.

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