Der Maestro ist wieder da

London. Wer dachte an diesem rauschenden Abend noch an das schnöde Zahlenwerk der Weltrangliste? An einem Abend, an dem die offizielle Nummer vier der Hackordnung mit souveräner Selbstverständlichkeit wie die Nummer eins spielte. An einem Abend, an dem Roger Federer nichts weiter war als die geniale Zentralfigur des Tennis-Universums

London. Wer dachte an diesem rauschenden Abend noch an das schnöde Zahlenwerk der Weltrangliste? An einem Abend, an dem die offizielle Nummer vier der Hackordnung mit souveräner Selbstverständlichkeit wie die Nummer eins spielte. An einem Abend, an dem Roger Federer nichts weiter war als die geniale Zentralfigur des Tennis-Universums. Bedurfte es noch eines Beweises, dass der Mann für die unvergesslichen Centre Court-Momente auch jenseits seines 30. Lebensjahres noch eine gewichtige Rolle in seinem Sport spielen wird und will, dann lieferte ihn der Eidgenosse mit einem magischen Stück Kurzarbeit in der Londoner 02-Arena ab - bei einer ebenso eleganten wie meisterhaft präzisen 6:3, 6:0-Abfuhr seines ewigen Rivalen Rafael Nadal."Es war ein wunderbares Gefühl, so zu spielen", sagte Federer hinterher, ein Mann, der am Ende dieser Saison der stärkste unter den vier Starspielern des Wanderzirkus zu sein schien. Stärker als der leicht erschöpfte Novak Djokovic, stärker als sein vertrauter Gegenpart Nadal - und sowieso stärker als der inzwischen verletzt aus dem Turnier ausgeschiedene Lokalmatador Andy Murray. "Roger, kein Zweifel, ist drauf und dran, das Ruder wieder an sich zu reißen", sagte der australische Ex-Star Pat Cash, "für diesen Titel hier ist er sicher der haushohe Favorit".

Die Außergewöhnlichkeit des Duells Federer kontra Nadal, das lange Jahre die Tenniswelt in ihren Bann gezogen hatte, war in London auf bemerkenswerte Weise zurückgekehrt. Es gab zwar kein sportlich umkämpftes, nervenaufreibendes Match. Aber es gab in Federer einen strahlend in die erste Reihe zurückgekehrten, magisch aufspielenden Triumphator. Und es gab in Nadal einen graziösen, großartigen Verlierer, der sich nicht in Ausflüchten und Entschuldigungen verlor, als er später seine herbe Abfuhr analysierte: "Wenn Roger einmal in dieser Form aufspielt, dazu noch auf diesem schnellen Belag, dann ist er einfach zu gut", gab der Mallorquiner freimütig zu Protokoll, "ich konnte schlicht nichts machen gegen ihn".

Schon nach 59 Minuten war der Showdown zu Ende, der ausnahmslos ein Spektakel von Federers Gnaden war - zu erleben war ein perfekter Auftritt mit aggressiver, zupackender, selbstbewusster Attitüde. "Da stimmte alles", sagte Federer später. Zwar startete er mit einem Doppelfehler in die Partie, aber danach ließ er jene Unvergleichlichkeit im großen Spiel regelmäßig aufscheinen, die ihn für Jahre zum absolutesten Tennis-König in der Geschichte gemacht hatte.

Die letzten starken Worte dieser Saison haben bisher nur Federer gehört, mit dem Sieg auf heimischer Bühne in Basel, dann beim Erfolgslauf in der Halle von Paris-Bercy und nun auch bei den WM-Festivitäten in London-Greenwich. Ein womöglich nicht nur für das laufende Turnier, sondern auch für die nähere Zukunft definierender Moment könnte ein Aufeinandertreffen Federers mit dem "Spieler der Saison" werden, mit dem Nummer-Eins-Mann Djokovic. Gelänge dem Schweizer Familienvater ein Sieg, ob im Halbfinale oder Endspiel, hätte das auch schon starke Symbolkraft für die kommende Serie, fürs vollgepackte Tennisjahr 2012. Und dies umso mehr, wenn es auf die wirklich schnellen Böden geht, auf denen das reflexhafte, intuitive Spiel erforderlich ist. "Auf diesem Belag hier kann er seine ganze Klasse ausspielen, da ist er schwer erreichbar", befand Nadal. Federer selbst formulierte es bescheidener und sagte: "Ich weiß, dass mich von den anderen Topleuten kaum etwas trennt. Wir sind alle nicht weit voneinander entfernt."

Philipp Petzschner und Jürgen Melzer haben bei der WM in der Doppel-Konkurrenz auch ihr zweites Vorrundenspiel verloren. Die Kombination aus Bayreuth und Wien unterlag gestern den Indern Mahesh Bhupathi/Leander Paes 5:7, 3:6 und haben damit kaum noch Chancen auf den ersten Einzug ins Halbfinale.

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