Der König der Athleten

Peking · Ashton Eaton ist und bleibt der König der Athleten – und er krönte sein zweites WM-Gold mit einem Weltrekord. Der Amerikaner verbesserte seine Top-Marke in Peking um sechs Punkte. Und auch Rico Freimuth sorgte mit Bronze für Furore.

Weltmeister Ashton Eaton hatte glänzende Augen, und auch Freimuth II. wurde nach dem Drama in zehn Akten kurz von seinen Gefühlen übermannt. "Dieser Zehnkampf , dieser Weltrekord, da bekam ich Gänsehaut. Das war ein legendärer Moment - und ich war dabei", sagte Rico Freimuth, Sohn des früheren Weltklasse-Zehnkämpfers Uwe Freimuth, nach dem größten Coup seiner Laufbahn: Bronze bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Peking .

"Meine Karriere hat ihren Höhepunkt erreicht. Ich habe mir einen Lebenstraum erfüllt", meinte der Hallenser, der die Medaille mit einem irren Schlussspurt im 1500-Meter-Lauf gerade noch gerettet hatte. Freimuth wollte das Edelmetall unbedingt. Und als Platz drei schließlich sicher war, da wusste er genau, wer ihm den letzten Kick gegeben hatte. "Danke, Ashton!", sagte der deutsche Hauptdarsteller einer großen Zehnkampf-Show.

"Ashton ist der größte Athlet", erklärte Freimuth nicht nur einmal. Dass sie sich im Wettkampf nichts schenken, schließt gegenseitige Hilfe nicht aus. "Kameradschaft" - dieses Wort fiel ganz oft an jenem Abend in den Katakomben des "Vogelnest"-Stadions. Vor den 1500 Metern spornten sie sich zum Beispiel an. Zuerst musste Eaton seinem Kollegen Mut machen - denn Freimuth hatte Zweifel. "Ich bin in diesem Jahr nicht gut", sagte der Hallenser. Eaton beruhigte ihn - und machte ihm Mut. "Er sagte zu mir: Rico, das ist schon okay. Du bist stark, du kannst doch schnell laufen. Du musst nur an dich glauben!" Das war der Kick, den Freimuth brauchte. "Ich bin eine Riesenzeit gerannt." Als er sich mit letzter Kraft ins Ziel warf, bekam Freimuth mit, was in grellen Farben auf der elektronischen Anzeigetafel blinkte: "9045 Points - new World Record". Da tobte das Stadion schon, und Freimuth keuchte noch. Ein knappes Ding war es für beide: Eaton verbesserte seinen gut zwei Jahre alten Weltrekord um sechs Zähler, und Freimuth hätte auf den letzten fünf Metern nicht einknicken dürfen: Ganze 23 Punkte Vorsprung hatte der 1,96 Meter große Sportsoldat auf den Russen Ilja Schkurenjow. Das sind über 1500 Meter rund 3,5 Sekunden - nach zwei langen Wettkampftagen.

Freimuth Dritter, Götzis-Sieger Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied) Sechster, Michael Schrader (SC Hessen Dreieich) Siebter - die Team-WM hätten die Deutschen wohl gewonnen. Eaton hat das gute Abschneiden nicht überrascht: "Sie haben immer den besten Teamgeist und die stärksten Nerven." Und die meisten Punkte: Am Ende lag Eaton sagenhafte 350 Punkte vor dem zweitplatzierten Kanadier Damian Warner. Superstar Usain Bolt hat mit Jamaikas 4 x 100-Meter-Staffel seine dritte Goldmedaille bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Peking gewonnen. Der Sieger über 100 und 200 Meter führte das Quartett des Karibikstaates in 37,36 Sekunden ins Ziel. Dem 29 Jahre alten Rekordweltmeister, der nun elf Titel auf dem Konto hat, gelang zum fünften Mal der Dreierschlag bei WM oder Olympia. Die deutsche Staffel kam auf Platz fünf. Die zunächst zweitplatzierten USA mit dem zweimaligen Vizeweltmeister Justin Gatlin wurden disqualifiziert. Silber ging in 38,01 Sekunden an China, Bronze mit 38,13 an Kanada. Die Amerikaner haben seit der WM 2007 bei keinem Großereignis mehr die Goldmedaille über 4 x 100 Meter gewonnen. Das deutsche Quartett mit Julian Reus, Sven Knipphals, Alexander Kosenkow und Aleixo-Platini Menga rannte 38,15 Sekunden.

Bei den Frauen hatte zuvor ebenfalls Jamaika triumphiert. 100-Meter-Weltmeister Shally-Ann Fraser-Price jubelte als Schlussläuferin nach 41,07 Sekunden für den Karibikstaat. Das deutsche Quartett mit Rebekka Haase, Alexandra Burghardt, Gina Lückenkemper und Verena Sailer wurde in 42,64 Sekunden Fünfte. Nach ihrem sensationellen Gold-Wurf fiel Katharina Molitor erst ihrer Vorgängerin Christina Obergföll um den Hals, dann schnappte sich die Überraschungs-Weltmeisterin eine Deutschland-Fahne und posierte stolz für die Fotografen. Und immer wieder schüttelte sie ungläubig mit dem Kopf. "Gold ? Daran hätte ich nie gedacht. Das ist unglaublich, unbeschreiblich", sagte Molitor. Speerwurf-Gold hatten ihr vor der WM in Peking nur die allerwenigsten zugetraut. Im letzten Versuch bewies die deutsche Meisterin Nervenstärke und verdrängte mit persönlicher Bestleistung und Jahres-Weltbestweite von 67,69 Meter Lyu Huihui aus China (66,13) noch auf den Silberrang. "Ich wusste, dass ich noch kontern kann", sagte Molitor.

Bronze gewann Sunette Viljoen (65,79/Südafrika). 14 Monate nach der Geburt ihres Sohnes Marlon wurde Titelverteidigerin Christina Obergföll (64,61/Offenburg), die Frau des Saarländers Boris Obergföll (ehemals Henry), Vierte. Und auch sie war zufrieden. "Ich habe das Maximum rausgeholt", sagte Obergföll, die Molitors Coup ebenfalls begeisterte: "Ich bin froh, dass wir das Ding mit nach Hause nehmen, das ist der Hammer."

Mit 31 Jahren krönte Molitor endlich ihre Karriere und trat aus dem Schatten von Obergföll heraus. Die Lehramtsstudentin (Geografie und Sport) war schon oft bei großen Meisterschaften dabei - doch für einen Wurf auf das Treppchen hatte es nie ganz gereicht. Bei der EM 2010 war sie dicht dran, musste sich dann aber doch mit dem undankbaren vierten Platz zufrieden geben. Jetzt steht Molitor plötzlich ganz oben - dabei wollte sie nur "unter die Top Acht kommen". Molitor, die im Winter in der 2. Bundesliga noch Volleyball spielt, sorgte somit für die achte Medaille des deutschen Teams.

U23-Europameisterin Christin Hussong (62,98/LAZ Zweibrücken) wurde Sechste. Olympiasiegerin Barbora Spotáková (Tschechien) erlebte als Neunte mit nur 60,08 Meter ein Debakel. Die ehemalige Europameisterin Linda Stahl (59,88/Leverkusen) kam nicht über Rang zehn hinaus.

Es ist eine unsichtbare Gefahr, die aber selten so greifbar war wie bei den 15. Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Peking . "Das Gespenst des Doping-Verdachts war ein Teilnehmer dieser WM", sagte Clemens Prokop als Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gestern. Auch Helmut Digel, das scheidende deutsche Councilmitglied des Weltverbandes IAAF, zog eine pessimistische Bilanz. "Wir haben eine Entwicklung, bei der man erkennt: Betrug lohnt sich, und die Betrüger kommen viel zu schnell wieder zurück, um ihre Preisgelder erlaufen, erwerfen und erspringen zu können. Das ist unsere Situation."

Für die IAAF sind Rekorde immer noch das Salz in der Suppe und keine Nahrung für Zweifel. Stolz präsentierte der Weltverband deshalb am WM-Ende eine exakte Auflistung mit fast 90 aufgestellten Rekorden. "Manche verblüffende Leistungssteigerung wirft Fragen auf", meinte Prokop. "Insofern sind diese Weltmeisterschaften ein Arbeitsauftrag: Der Kampf gegen Doping muss rigoros geführt werden. Insbesondere in Ländern, in denen es deutliche Hinweise auf ein weit verbreitetes Doping gibt", forderte er. "Hier muss die IAAF klare Kante zeigen." Die Hoffnungen ruhen dabei auf dem neuen Weltpräsidenten Sebastian Coe, der seinen Sport allerdings weitgehend für sauber hält. "Kann er sauberer werden? Ich denke schon. Können wir Dinge anders machen? Ich wage zu sagen schon", erklärte der Brite."

Zum Thema:

Auf einen BlickDer Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat eine positive Bilanz der Weltmeisterschaften in Peking gezogen. "Wir haben hier tolle Tage erlebt", sagte DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska gestern. 30 der 66 DLV-Athleten haben ein Finale in den 47 Disziplinen erreicht. Und dies bei einem immer härter werdenden Konkurrenzkampf. "Die Wettbewerbspirale wird immer enger", sagte Gonschinska und wies auch auf die offenbar unverminderte Doping-Bereitschaft hin: "Wir bewegen uns in dem Spannungsfeld, in dem man Visionen und Träume fördert, aber Manipulations-Freiheit schwer zu bieten ist." dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort