Der Handball-Pionier aus Hessen

London. Die Menschen in Großbritannien sind verrückt nach Sport aller Art. Sie mögen Fußball, sie lieben Rugby. Und sie verehren Cricket, dieses seltsame Spiel, das manchmal fünf Tage dauert und das niemand so richtig durchschaut, der nicht im Commonwealth zu Hause ist. Aber Handball? Damit konnten die Briten lange wenig anfangen. Diese Sportart war auf der Insel nahezu gänzlich unbekannt

London. Die Menschen in Großbritannien sind verrückt nach Sport aller Art. Sie mögen Fußball, sie lieben Rugby. Und sie verehren Cricket, dieses seltsame Spiel, das manchmal fünf Tage dauert und das niemand so richtig durchschaut, der nicht im Commonwealth zu Hause ist. Aber Handball? Damit konnten die Briten lange wenig anfangen. Diese Sportart war auf der Insel nahezu gänzlich unbekannt. Bis Mitte der achtziger Jahre gab es nicht einmal eine Nationalmannschaft. Aber der 6. Juli 2005, als London den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2012 bekam, änderte alles. Denn als Gastgeber waren die Briten automatisch auch für das Handball-Turnier qualifiziert - und begannen, sich mal eine Mannschaft zusammenzusuchen. Nicht einfach auf einer Insel, auf der es damals gerade mal zwei Hand voll Sporthallen gab, in der Handball-Felder eingezeichnet waren.Der Verband stellte drei Millionen Pfund - 4,3 Millionen Euro - zur Verfügung. Anzeigen wurden geschaltet, Handball-Europa nach Spielern durchforstet, die zumindest britische Vorfahren haben und die sich bereit erklären würden, sich einbürgern zu lassen. Und die Briten wurden fündig - unter anderem in der Nähe von Offenbach, beim TSG Bürgel. Dort in der A-Jugend-Oberliga spielte ein nicht untalentierter 16-Jähriger namens Chris Mohr. Vater Deutscher, Mutter Schottin. Mohr bewarb sich 2006 per E-Mail für das "Sporting Giants" (sportliche Riesen) getaufte Projekt - und wurde eingeladen.

Sechs Jahre, Dutzende Trainingslager und Auswahlverfahren später steht Mohr in der Mixed Zone der "Copper Box"-Halle, wo die Handball-Spiele im Olympiapark ausgetragen werden. 23 Jahre alt, 1,93 Meter groß, verschwitzt - aber überglücklich. Er hat mit Großbritannien gerade sein erstes Gruppenspiel gegen Frankreich hinter sich gebracht. 15:44 haben Mohr und Co. gegen die Weltstars um Daniel Narcisse auf die Mütze bekommen. "Fast 30 Tore, das ist nicht wenig", sagt Mohr, "aber vor sechs Jahren wären es wahrscheinlich 70, 80 gewesen. Als wir angefangen haben, war das nicht mal Kreisliga-Niveau. Wir haben uns unheimlich entwickelt".

Es ist ein mühsamer Weg, den Großbritanniens serbischer Trainer Dragan Djukic mit seiner Mannschaft geht. Aber sie gehen ihn voller Stolz, und gegen die Franzosen stand die "Copper Box" bei jedem Ballgewinn der Briten Kopf. Als Steven Larsson - in Scarborough geboren, in Schweden aufgewachsen und dort zum Handballer geworden - die Briten nach 1:45 Minuten mit 1:0 in Führung brachte, hob sich beinahe das Hallendach. 58 Spielminuten später gab es trotz des 15:44 stehende Ovationen der 5000 Zuschauer - die "Sporting Giants" hatten einen Meilenstein hinter sich gebracht.

Es soll nicht der letzte gewesen sein, wenn es nach Mohr geht. "Handball hat alles, was die Briten lieben - physisch, schnell. Wir wollen Pioniere sein und Handball bei Olympia auf der Insel bekannt machen", sagt Mohr: "Wenn Handball in 20 Jahren hier eine große Sportart ist, dann kann ich sagen, dass ich den Sport mit nach Großbritannien gebracht habe."

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