Radsport Der Giro startet in einem Minenfeld

Jerusalem/Köln · Der Auftakt des Rad-Etappenrennens ist das erste bedeutende weltweite Sportereignis in Israel. Die Sportgeschichte des Landes ist kompliziert.

 Die Radprofis beim Giro d’Italia fahren zu Beginn ab morgigen Freitag so wie hier im Dunklen an einer erleuchteten Mauer der Jerusalemer Altstadt vorbei durch Israel. Das birgt sportpolitisch Sprengstoff.

Die Radprofis beim Giro d’Italia fahren zu Beginn ab morgigen Freitag so wie hier im Dunklen an einer erleuchteten Mauer der Jerusalemer Altstadt vorbei durch Israel. Das birgt sportpolitisch Sprengstoff.

Foto: dpa/Oded Balilty

Die Signori aus der Direktion des Giro d’Italia fanden sich unversehens im Minenfeld wieder. „So werden wir diese Veranstaltung nicht unterstützen“, teilte Israels Sportministerin Miri Regev den Geschäftspartnern aus Italien kühl mit und drohte mit der Streichung von fünf Millionen Euro Fördergeld: „Jerusalem ist Israels Hauptstadt: Es gibt keinen Westen und Osten.“ Basta!

Der Affront, den sich die Radsport-Delegierten geleistet hatten: Bei der Streckenvorstellung der Italien-Rundfahrt 2018, die ab Freitag mit einem dreitägigen Exkurs in Israel beginnt, hatten sie als Startort „West-Jerusalem“ verkündet, wohl eher unbedarft als politisch motiviert, zumindest rein geografisch aber noch völlig korrekt. Doch so einfach ist es in Nahost nicht. Vor allem nicht in Jerusalem, der kompliziertesten, weil ethnisch wie religiös von vielen Seiten beanspruchten Stadt der Welt.

Prompt mussten sich die Giro-Organisatoren von anti-israelischer Seite anhören, dass sie sich mit der Veranstaltung des Rennens „der Okkupation und des Völkerrechtsbruchs“ mitschuldig machten, so die palästinensische Parlamentarierin Hanan Ashrawi, die Richtung Italien forderte, „mit der versöhnlichen Haltung gegenüber Israel auf Kosten unserer grundlegenden Menschenrechte aufzuhören“, das Rennen gefälligst woanders abzuhalten.

Nun rollt der Giro doch durchs Heilige Land - den Ostteil Jerusalems und die palästinensischen Autonomiegebiete klammert die Route aus. Mit einem Gesamtbudget von 120 Millionen Schekeln (27 Millionen Euro) wird der Abstecher zu einer der teuersten Sportveranstaltungen Israels und - abgesehen von den Schach-Olympiaden 1964 und 1977 sowie den Paralympics 1968 - zur ersten wichtigen weltweiten.

Europameisterschaften gab es schon zwischen Mittelmeer und Jordan, zuletzt die Judo-EM vergangenes Wochenende in Tel Aviv, davor jene der U21-Fußballer 2013 und die Kurzbahn-EM der Schwimmer 2015. Aber Weltmeisterschaften im sportverrückten Land? Seit der Staatsgründung 1948 Fehlanzeige. Eine WM nach Israel zu vergeben, würde zwangsläufig zum Boykott diverser Staaten führen - dies will kein Welt-Fachverband riskieren. Doch ebenso wenig, wie Teile der Welt in Israel zu Gast sein wollen, sind israelische Gäste in manchen Ländern willkommen.

In den 70ern wurde Israel aus Asiens Sportverbänden ausgeschlossen, die Aufnahme in die europäischen scheiterte am Ostblock-Veto - Israel landete in Ozeanien. Erst nach dem Kalten Krieg fanden die Israelis in Europa sportlich Zuflucht.

Feindseligkeit gegen Israels Sportler hat lange Tradition. Vor allem Kontrahenten aus Iran weigern sich regelmäßig, trotz drohender Disqualifikation gegen Israelis anzutreten oder sogar - wie Schwimmer Mohammed Alirezai bei Olympia 2008 - auch nur ins gleiche Becken zu springen. Gerne praktiziert wird das Verweigern von Visa für Israelis, zuletzt bei der U18-WM im Taekwondo in Tunesien.

Schikaniert wird keineswegs klandestin: Bei TV-Übertragungen des Schwimm-Weltcups 2013 in Doha wurde Israels Flagge entfernt. Beim Judo-Grand-Slam in Abu Dhabi siegte 2017 der Israeli Tal Flicker. Die Veranstalter verweigerten das Hissen der Landesfahne und die Nationalhymne. Der Weltverband IJF beteiligte sich, um die schwerreichen Gastgeber nicht zu verprellen, am Possenspiel: In der obligatorischen Presseaussendung wurde die Nationalität Flickers verschwiegen.

Dass der Start des Giro irgendetwas an der Gemengelage ändert, ist illusorisch. „Radsport ist eine universale Sprache und kann damit eine Brücke bauen“, sagt zwar Sylvan Adams. Der kanadische Immobilien-Milliardär, der seit zwei Jahren in Israel lebt, ist Hauptfinanzier des Giro-Projektes. Kritiker führen hingegen an, dass das Rennen nur eine sehr teure touristische Werbeveranstaltung sei.

So wird Israel im Weltsport wohl weiter isoliert bleiben, ein Dorn im Auge derer, die ihm das Existenzrecht absprechen. Immerhin: Kein Team, kein Fahrer, das gaben die Organisatoren erleichtert bekannt, werde den Giro boykottieren.

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