Der gesegnete Hamburger Junge

London · Am ersten Turniertag gab es in Wimbledon Licht und Schatten für die deutschen Tennisspieler. Bei den Damen erreichten vier Spielerinnen die nächste Runde. Philipp Kohlschreiber führte dagegen seine schwarze Serie fort.

Alexander Zverev kann es nicht schnell genug gehen. Schon mit 19 Jahren und zwei Monaten ist der Norddeutsche erstmals in Wimbledon gesetzt. Bereits bei seiner zweiten Teilnahme zählt er als klar jüngster Spieler zu jenen Profis, die in den ersten Runden nicht die vermeintlich schwierigsten Kontrahenten bekommen. Das hoffnungsvollste deutsche Tennis-Talent seit Jahren arbeitet sich schneller voran als gedacht - und will nun ab heute in Wimbledon auftrumpfen. "Ich bin jetzt mehr bereit, große Matches zu spielen", sagte Zverev.

Die Zeiten, in denen ein Teenager wie einst der 17-jährige Boris Becker 1985 auf dem heiligen Rasen triumphieren kann, scheinen derzeit vorbei. Auf der Setzliste hat fast die Hälfte bereits ihren 30. Geburtstag gefeiert. Die Favoriten Novak Djokovic und Andy Murray haben 29 Jahre auf dem Buckel. Der zweitjüngste unter den Gesetzten, der Australier Nick Kyrgios, ist zwei Jahre älter als Zverev.

Der Hamburger durfte sich gestern noch vorbereiten und das Wettkampfgeschehen als Zuschauer verfolgen. Erst für heute war sein erstes Match gegen den 15 Jahre älteren Franzosen Paul-Henri Mathieu angesetzt. Die Tennis-Tour mit ihren dauerreisenden Stars kennt Zverev seit Kindheitstagen. Mit seinem Bruder Mischa, einst Top-50-Spieler, seinem Vater Alexander und seiner Mutter Irina tingelte er früh durch die Welt. Auch seine Eltern sind ehemalige Spitzenspieler.

Der jüngere Sohn, den viele nur Sascha nennen, ist am 20. April 1997 in Hamburg geboren und wohnt in Monte Carlo. Er gilt seit Langem und zurecht als größte Hoffnung im deutschen Herren-Tennis. "Eines schönen Tages kann er in den Top Zehn stehen. Ob vier, sechs, acht oder mehr kann man nicht vorhersehen", sagte Niki Pilic, Berater des Deutschen Tennis Bundes. "Aber als Novak Djokovic bei mir trainierte, da wusste auch keiner, dass er mal die Nummer eins wird."

Seit vergangenen Montag gehört Zverev erstmals zu den weltweit besten 30 seines Sports. Der Schweizer Roger Federer lobte nach seiner Niederlage gegen den Youngster in Halle dessen Aufschlag, Rückhand und seine Fortschritte bei der Vorhand. "Er ist meiner Meinung nach gesegnet", formulierte die noch aktuelle deutsche Nummer eins, Philipp Kohlschreiber . Zulegen muss Zverev vor allem noch bei der Physis. Mit Fitnesstrainer Jez Green, der bereits den Briten Andy Murray zu körperlichen Höchstleistungen pushte, arbeitet Zverev konsequent daran, in seinen langen Körper hineinzuwachsen.

Das Spiel auf Rasen kommt dem 1,98 Meter großen Schlaks dank seines Aufschlags entgegen. Zudem zeichnet ihn sein unbedingter Wille und wenig Scheu vor großen Namen aus. "Deutschland sucht immer den nächsten Boris Becker oder Michael Stich . So eine Zeit wiederzubekommen, ist schwierig", sagte Zverev. "Aber es ist schön, dass sich schon viele für mich interessieren." Dem 19-Jährigen gefällt die große Bühne. In Wimbledon könnte es für ihn jedoch schwierig werden, erstmals die Runde der besten 16 bei einem Grand-Slam-Turnier zu erreichen. Bei seiner Premiere im Vorjahr schied er im zweiten Spiel aus. Diesmal könnte sich sein Weg in der dritten Runde mit dem Finalisten von 2010, Tomas Berdych, kreuzen.

Federer warnte vor gut einer Woche davor, dem jungen Kollegen nicht mit zu hohen Erwartungen den Spaß zu nehmen. "Ich habe nie gesagt, er wird die Nummer eins", so der Schweizer. "Ich finde das unfair. Die Nummer eins wird man nicht einfach so über Nacht, die Nummer eins erkämpft man sich sehr hart." Auch Zverev weiß: "Ich bin immer noch ein kleiner Junge." Ein Junge, der aber weiß, um was es geht. Das sieht jedenfalls der ehemalige Wimbledonsieger Michael Stich so: "Was ihn von vielen Spielern unterscheidet, ist, dass er Tennis in seiner Gesamtheit und Komplexität versteht." Sabine Lisicki hat mit der Rückkehr nach Wimbledon ihr Lächeln wiedergefunden, Philipp Kohlschreiber musste sich vom berühmtesten Tennis-Tunier der Welt gleich enttäuscht verabschieden. "Auf Rasen klappt es oder klappt es nicht, heute war ein Tag, an dem es nicht geklappt hat", klagte der beste deutsche Tennisprofi nach seinem überraschenden Aus in der ersten Runde. Gegen den Franzosen Pierre-Hugues Herbert verlor der Augsburger mit 5:7, 3:6, 6:3, 3:6.

Dahin war für Kohlschreiber die Möglichkeit, sein schwaches Abschneiden bei den Grand-Slam-Turnieren aufzuhübschen. Schon bei den Australian Open und den French Open verlor der 32-Jährige seine Auftaktpartien. Kurz vor dem Auftritt in London hinderte ihn eine Zerrung an der linken Hüfte, noch in der Woche vor dem traditionsreichen Turnier musste er sein Training reduzieren. "Ich bin momentan schmerzfrei. Aber sicherlich steckt das noch im Kopf", sagte er.

Wie Kohlschreiber schieden am Eröffnungstag auch Laura Siegemund und Julia Görges aus. Lisicki, Anqelique Kerber, Carina Witthöft und Anna-Lena Friedsam mischen dagegen weiter mit. Besonders Lisicki tat der Sieg sichtlich gut. Kaum ist sie auf den Rasenplätzen ihres größten Erfolgs zurück, strahlte die ehemalige Wimbledon-Finalistin trotz ihrer lang anhaltenden Formkrise wieder. "Es hilft, an einen Ort zurückzukehren, an dem man Vertrauen spürt", sagte die Berlinerin nach dem 6:1, 6:3 gegen die Amerikanerin Shelby Rogers. Die 21-jährige HamburgerinWitthöft gewann 6:1, 6:4 gegen Irina-Camelia Begu aus Rumänien, die an Nummer 25 gesetzt ist. Die an Nummer vier gesetzte Kerber besiegte Laura Robson (Großbritannien) souverän 6:2, 6:2. Die Andernacherin Friedsam behauptete sich gegen die Kasachin Sarina Dijas 6:4, 6:0. Siegemund musste sich der an Nummer neun gesetzten Madison Keys aus den USA erwartungsgemäß 3:6, 1:6 geschlagen geben. Görges unterlag der Kasachin Jaroslawa Schwedowa 5:7, 4:6.

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