Der frühe Abgang des Maestros

New York · Von zehn Partien gegen Tommy Robredo hatte Roger Federer zehn gewonnen. Doch im Achtelfinale nahm der Spanier den Schweizer auseinander. Die Zweifel am „Maestro“ werden immer größer.

Beim Abgang aus dem Louis-Armstrong-Stadion umrauschte ihn an diesem denkwürdigen Montagabend der gewohnt mächtige Applaus der Fans. Und als Roger Federer dann den rechten Arm erhob und artig in alle Richtungen der Arena winkte, sah auf den ersten Blick alles nach einem dieser üblichen Federer-Tage aus, nach einem ganz normalen Siegmoment auf dem Weg zu einem möglichen Grand-Slam-Titel. Doch der Schein trog gewaltig: Der Beifall, den die 10 000 Tennisfreunde auf dem alten Center Court der US Open spendeten, entsprang dem Mitleid und Mitgefühl mit ihrem alten, sentimentalen Helden. Und wer Federer bei seiner Abschiedsgeste ins Gesicht schaute, sah die Züge eines schockierten, entgeisterten, bitter enttäuschten Mannes, dessen Krise sich beim letzten Major-Turnier der Saison mit dem 6:7 (3:7), 3:6, 4:6-Achtelfinal-Abschied gegen den Spanier Tommy Robredo verschärft hatte.

"Im Moment bricht gerade alles ein wenig zusammen für mich", sprach der konsternierte Eidgenosse hinterher. "Es kann eigentlich nicht sein, dass ich in drei Sätzen so verliere."

144 Minuten dauerte die frappierende Entzauberung des Spielers, der einige Jahre lang bei den US Open wie ein Unantastbarer gespielt und gesiegt hatte. Fünf Triumphe fügte Federer einst zwischen 2004 und 2008 seiner großen Biografie hinzu, als vergötterter "König von New York".

Doch diese Aura ist längst weg, genauso wie der Respekt, den die hetzende Meute der Profikollegen einst vor ihm hatte, dem genialen Maestro. "Wenn das Selbstvertrauen fehlt, ist alles viel schwerer", sagte Federer nach dem vorerst letzten, desaströsen Tennistag in dieser Saison, die ihm nur einen Turniersieg in Halle, dafür aber teils herbe Rückschläge einbrachte.

Als es hart auf hart ging in diesem Match, ob im Tiebreak des ersten Satzes oder den Schlussphasen der Akte zwei und drei, schien Federer in lähmende Verkrampfung zu fallen - ein labiler Wettkämpfer, beschäftigt mehr mit dem drohenden Scheitern als dem möglichen Siegen. "Das Auf und Ab dieses Jahres lässt einen halt nicht kalt", sagte Federer hinterher mit dem Fatalismus eines Mannes, der seine Probleme zwar erkennt, aber keine Lösung dafür findet. Was er in den kommenden Wochen tun werde, könne er noch nicht sagen: "Alles ist möglich. Mehr Turniere spielen, mehr trainieren. Oder gar nicht mehr viel spielen."

"Natur folgt auf die Kunst", twitterte in der Nacht der Achtelfinal-Schlappe und der ersten Dreisatz-Abfuhr bei den US Open seit 13 Jahren der renommierte US-Journalist Jon Wertheim und traf damit den sensiblen Punkt in diesem Karrierestadium Federers. Denn allmählich schleichen sich die ganz normalen, menschlichen Probleme ins einst so störungsfreie System des Überspielers herein: Der Körper zeigt Verschleißerscheinungen im nunmehr 15. Jahr auf der Profitour, das Leben mit der Familie im Wanderzirkus lenkt zuweilen den Blick weg vom Kerngeschäft. Mit 32 Jahren, sagte TV-Experte Boris Becker, "kämpfst du auch gegen die Zeit an." John McEnroe sah sich nach Federers finsterer Vorstellung in seiner Annahme bestätigt, "dass Roger wohl keinen Grand Slam-Titel mehr holen wird".

Natürlich erhob sich in den Stunden nach der Abfuhr ein Gewirr von Ansichten und Meinungen über ihn. Federer hatte das schon geahnt und in seiner Pressekonferenz gesagt, es werde "keinerlei Panik-Reaktionen" geben - auch nicht den Rücktritt, den ihm manche nahelegen. "Ich will so nicht Tennis spielen, sondern besser", sagte er, die Baseballkappe tief ins Gesicht geschoben. Übersetzt hieß das: Ich will nicht so enden wie hier und heute. Sogar Rafael Nadal zog nach einer schweißtreibenden Nachtschicht im Achtelfinale der US Open seinen Hut vor Philipp Kohlschreiber. Dem 29-jährigen Augsburger waren die gut gemeinten Worte allerdings fast schon unangenehm. "Rafael lobt doch jeden Gegner. Und am Netz hatte ich gar kein Ohr für das, was er zu mir gesagt hat", berichtete Kohlschreiber nach seiner 7:6 (7:4), 4:6, 3:6, 1:6-Niederlage gegen den spanischen Turnierfavoriten.

Nadal hatte nach seinem Erfolg im größten Tennis-Stadion der Welt lobende Worte ins Mikrofon gesprochen: "Ich hatte heute einen großartigen Gegner", sagte der French-Open-Sieger nach dem 3:12-Stunden-Match vor rund 20 000 Zuschauern und fügte an: "Ich habe zu viel geschwitzt."

In den Katakomben des Arthur-Ashe-Stadions war Kohlschreiber, der in Flushing Meadows als letzter deutscher Profi ausschied, hin- und hergerissen vom Abenteuer Center Court. "Vielleicht habe ich heute den einen oder anderen Fan dazugewonnen. Es war extrem toll, auf so einem Platz zu spielen. Es ist aber noch schöner, wenn man dann auch gewinnt", sagte der Weltranglisten-25. Im ersten Durchgang wehrte Kohlschreiber beim Stand von 5:6 drei Satzbälle ab und ging selbst in Führung. "Schade, dass er dann so viel besser wurde. Am Schluss war er zwei Klassen besser", gab der Davis-Cup-Spieler am Ende zu.

Für das nächste Duell mit Nadal hat Kohlschreiber bereits eine neue Zielsetzung: "Gegen ihn sollte es der Anspruch sein, das Ganze noch ausgeglichener zu gestalten." Obwohl ihm die erste titellose Saison seit drei Jahren droht, wähnt sich der München-Sieger von 2012 auf einem guten Weg. Kohlschreibers nächstes Ziel ist die Rückkehr in die Top 20.

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