Der Fall Pechstein könnte zum Präzedenzfall werden

Berlin. Claudia Pechstein spricht von "öffentlicher Hinrichtung", der Weltverband ISU feiert eine gelungene Zielfahndung: Der Präzedenzfall mit einer zweijährigen Doping-Sperre für die erfolgreichste Winter-Olympionikin Deutschlands ohne positiven Befund spaltet die Sportwelt

Berlin. Claudia Pechstein spricht von "öffentlicher Hinrichtung", der Weltverband ISU feiert eine gelungene Zielfahndung: Der Präzedenzfall mit einer zweijährigen Doping-Sperre für die erfolgreichste Winter-Olympionikin Deutschlands ohne positiven Befund spaltet die Sportwelt. Bei der Berufungs-Verhandlung muss der Internationale Sportgerichtshof CAS nun ein Grundsatz-Urteil fällen, das für die Doping-Bekämpfung im Sport von richtungweisender Bedeutung sein wird.Zum Verhängnis wurde der 37 Jahre alten Berlinerin der seit 1. Januar gültige neue Code der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, wonach Sperren bei starken Indizienketten auch ohne positiven Befund möglich sind. Pechstein setzte sich mit einer Medien-Offensive zur Wehr. In schwarzem Kostüm und mit dick aufgetragenem Lippenstift beschwor sie im ZDF-Sportstudio ihre Unschuld: "Ich habe nie gedopt und nie Dopingmittel angeboten bekommen." Während der Deutsche Olympische Sportbund und die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) der fünfmaligen Olympiasiegerin Rückhalt gewährten, sehen die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada), Politiker und Doping-Analytiker erste Erfolge der Anstrengungen um sichere Blutprofile. Die Medizinische Kommission der ISU bestätigte, Pechstein habe seit 2007 auffällige Werte gehabt. Anti-Doping-Forscher Werner Franke schloss eine genetische Blutkrankheit als Grund für die um 1,1 Prozent überhöhten Retikulozyten-Werte aus. "Das ist hanebüchener Unsinn. Dann müsste sie ja ein spezielle Art der Leukämie haben, und das ist bei einer Spitzensportlerin, die über so viele Jahre Top-Leistungen bringt, nicht denkbar", sagte der Heidelberger Professor. Für ihn liege ein Fall von "manipulierter Erhöhung der roten Blutkörperchen" vor.Pechstein beklagte eine "öffentliche Hinrichtung", räumte aber auch Lügen ein. Sie schilderte, wie die ISU das deutsche Team mit einem "Kuhhandel" erpresst hätte."Entweder meldet ihr Claudia wegen Krankheit ab oder wir sprechen eine Schutzsperre aus", hätte es von ISU-Seite am 7. Februar geheißen, als sie nach dem ersten Tag der Mehrkampf-WM in Hamar erste Informationen über anormale Retikulozyten-Werte erhalten hatte. Harm Kuipers, Mitglied der Medizinischen ISU-Kommission, bestritt dies. "Natürlich ist es total blöd, dass ich nicht die Wahrheit sagen konnte", sage Pechstein. "Aber mir wurde ja förmlich die Pistole auf die Brust gesetzt von der ISU", behauptete sie. Sie habe Fans und Öffentlichkeit belogen und entschuldige sich dafür, eine Virus-Erkrankung als Grund ihrer Abreise aus Hamar angegeben zu haben. dpa

Am RandeReaktionen zur Doping-Sperre von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein:Thomas Bach (DOSB-Präsident): "Wir waren bestürzt, das ist normal bei einem Fall von dieser Tragweite. Ich habe mit ihr gesprochen, kenne ihre Argumentation. Für uns gilt hier die Unschuldsvermutung." Armin Baumert (Vorstandsvorsitzender der Nada): "Claudia war eine Vorzeige-Athletin. Daher tut das weh, aber Mitleid ist hier unangebracht. Es gibt bei mir keine Träne."Peter Danckert (Vorsitzender des Sportausschusses im Bundestag): "Ich bin total geschockt. Von dieser renommierten Athletin hätte ich das nicht erwartet." Michael Vesper (DOSB-Generaldirektor): "Claudia Pechstein hat uns bekundet, nie gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen zu haben. Es gilt, den Verdacht so schnell wie möglich aufzuklären. Es ist gut, dass es neutrale Untersuchungen gibt."Gerd Heinze (Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft): "Ich gehe davon aus, dass der internationale Sportgerichtshof CAS als neutrale Instanz das Urteil kippen wird."Markus Eicher (Bundestrainer Damen): "Ich habe die Nachricht im Autoradio gehört und konnte es nicht glauben. Ich hoffe, dass diese Sperre vor dem CAS jetzt rückgängig gemacht wird."Anni Friesinger (Olympiasiegerin, Weltmeisterin): "Wenn es wirklich Blutdoping war, muss man hart durchgreifen und die schwarzen Schafe aussortieren. Dann wäre es ein Sieg für die Doping-Kontrolleure."Renate Groenewold (Weltmeisterin/Niederlande):"Sie ist vom Thron gestürzt. Ich weiß nicht, wie lange sie den Laden schon betrogen hat, aber meine Gedanken gehen zurück nach Salt Lake City. Nichts ist schlimmer, als olympisches Gold an jemand zu verlieren, der später erwischt wird. Ich habe keinen Respekt mehr vor ihr." dpaStichwortRetikulozyten sind eine Vorstufe der roten Blutkörperchen, die im Knochenmark entstehen. Durch Epo-Doping können sie künstlich produziert werden. Aus dem Knochenmark gelangen sie ins Blut und werden dort in rote Blutkörperchen umgewandelt. dpa

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