Der Entwicklungshelfer

Herr Vogts, aus Ihrer Zeit als Bundestrainer stammt die Feststellung, wonach es im Fußball keine Kleinen mehr gebe. Wie gefällt Ihnen dieser Satz heute? Berti Vogts: Nach wie vor gut. Und nach wie vor entspricht er der Wahrheit, wie man am zweiten Bundesliga-Spieltag gesehen hat. Kaiserslautern hat die Bayern geschlagen, Mainz in Wolfsburg gewonnen, Hannover gegen Schalke

 Berti Vogts trainiert seit 2008 in Aserbaidschan. Foto: dpa

Berti Vogts trainiert seit 2008 in Aserbaidschan. Foto: dpa

Herr Vogts, aus Ihrer Zeit als Bundestrainer stammt die Feststellung, wonach es im Fußball keine Kleinen mehr gebe. Wie gefällt Ihnen dieser Satz heute?Berti Vogts: Nach wie vor gut. Und nach wie vor entspricht er der Wahrheit, wie man am zweiten Bundesliga-Spieltag gesehen hat. Kaiserslautern hat die Bayern geschlagen, Mainz in Wolfsburg gewonnen, Hannover gegen Schalke. Was muss ich noch mehr sagen . . . Wie groß oder klein sehen Sie Aserbaidschans Fußball?Vogts: Ich gehe davon aus, dass wir in vier bis fünf Jahren den Anschluss zur Mittelklasse des europäischen Fußballs gefunden haben werden. Das ist nicht so einfach. In Aserbaidschan, wo Schach und Ringen Sportarten Nummer eins und zwei sind, gibt es nicht so viele Fußballer - und diese kommen zu spät zum Fußball. Das hat zur Folge, dass Erfahrungen, die man in Deutschland auf der Straße oder dem Bolzplatz sammelt, fehlen und sie Fußball lernen müssen. Entsprechend fehlt es an Intuition. Wie kommen junge Aserbaidschaner zum Fußball?Vogts: Seit ich Trainer bin, gibt's Fußball an den Schulen. Das fängt bei den Achtjährigen an und endet bei den Zwölfjährigen, die in Schulmannschaften ausgebildet werden. Was sind die größten Probleme, mit denen man als Trainer von Aserbaidschan zu kämpfen hat?Vogts: Ich sehe mich mehr als Entwicklungshelfer denn als Trainer. In Liga-Spielen geht zu viel Zeit verloren für einzelne Aktionen. Und es wird den Spielern zu lange Ruhepausen gegeben. Aserbaidschans Trainer denken, dass nach einem Spiel drei, vier Tage Pause sein müssen. Qarabag musste Donnerstags gegen Dortmund spielen, prompt wurde das Spiel am darauf folgenden Sonntag abgesetzt, damit die Spieler sich erholen können. So bekommt man keine Wettkampfhärte. Wie oft sind Sie im Land?Vogts: Wenn der Spielbetrieb läuft, bin ich 16 bis 18 Tage pro Monat in Baku. Winfried Schäfer, Trainer beim Hauptstadt-Club FK Baku, hat "richtige Aufbruchstimmung in Sachen Fußball" ausgemacht.Vogts (schmunzelt): Winnie ist erst seit drei, vier Wochen da. Er wusste nicht, dass wir eine U21 und eine gute U19 haben - und dass wir seit zwei Jahren junge Spieler für Wochen zum FC Bayern schicken oder nach Hoffenheim und Hannover, damit sie lernen. Hinzu kommt, dass Trainingsplätze und Stadien gebaut werden, unter anderem ist die nächste U17-WM der Mädchen bei uns. Das Rad fängt an, sich zu drehen. Nicht nur heimische Oligarchen haben ihre Liebe für den Fußball entdeckt, sondern auch reiche Geschäftsleute aus der Türkei und Bulgarien. Welche Perspektiven eröffnet dies?Vogts: Das sind Mosaiksteinchen für die Weiterentwicklung des Fußballs in Aserbaidschan. Dafür muss man dankbar sein. So wie ich der Liga dankbar bin, dass sie meiner Forderung nachgekommen ist, dass drei Aserbaidschaner in jeder Mannschaft spielen müssen. Sonst hätte ich meinen Vertrag nicht verlängert. Kann Aserbaidschans Fußball eine ähnliche Entwicklung nehmen wie zuletzt der russische?Vogts: Davon sind wir meilenweit entfernt. Russland ist ein großes Land. In Aserbaidschan haben wir gerade 24 Mannschaften in der ersten und zweiten Liga. Der Rest findet in Schulen und Unis statt.In der Europa-League-Qualifikation sind aserbaidschanische Clubs zuletzt recht weit gekommen. Wie sehr schürt das die Erwartungen an die Nationalelf?Vogts: Erwartungen sind immer da. Dafür hat man mich ja auch geholt. Dass es den ein oder anderen gibt, der davon ausgeht, dass Aserbaidschan sich als Gruppenerster für die EM qualifiziert, damit muss ich leben. Das sind Menschen, die keine Ahnung haben. Die verwechseln Ringen mit Fußball. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der deutschen Mannschaft?Vogts: So wie sie bei der WM aufgetreten ist, wie sie Fußball gespielt hat, ist sie auch ohne Titel die beste Mannschaft der Welt. Besser auch als Spanien.Sie haben damals Jürgen Klinsmann als deutschen Teamchef ins Spiel gebracht. Steckt also auch ein bisschen Vogts im deutschen Aufschwung?Vogts (schmunzelt): Ja, ich habe es gewagt, dem DFB den Tipp zu geben, Klinsmann zu verpflichten. So wie sie im Moment auftritt, ist mein Konzept aufgegangen.

Auf einen BlickJoachim Löw plant für das Spiel gegen Aserbaidschan mit den Spielern, die am Freitag in Belgien mit 1:0 gewonnen haben. Nur der am Knie verletzte Marcell Jansen fehlt heute in Köln (20.45 Uhr/ARD). "Das wird die einzige Position sein, die wir von Beginn an umbesetzen", kündigte der Bundestrainer an. Für Jansen wird wohl sein Mannschaftskollege beim Hamburger SV, Heiko Westermann, auflaufen. dpa

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