Der einzig reizvolle Aspekt

Frankfurt. Lässig schlendert Fußball-Bundestrainer Joachim Löw in den Konferenzsaal, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Kein blauer Pulli unter dem grauen Anzug, sondern offener weißer Hemdkragen. Südafrika und der dortige Winter liegen einen Monat zurück. Der Tross des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) fliegt auch nicht nach Durban, sondern nach Kopenhagen

Frankfurt. Lässig schlendert Fußball-Bundestrainer Joachim Löw in den Konferenzsaal, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Kein blauer Pulli unter dem grauen Anzug, sondern offener weißer Hemdkragen. Südafrika und der dortige Winter liegen einen Monat zurück. Der Tross des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) fliegt auch nicht nach Durban, sondern nach Kopenhagen. Ohne das Stammpersonal des Weltmeisterschafts-Dritten. Auf der Fahrt zur DFB-Zentrale in sommerlicher Mittagssonne mag sich der Bundestrainer gestern über den Auftrieb rund um die Frankfurter Fußball-Arena gewundert haben. Abends wird U2 das Stadion füllen. Da kann einer auf den Gedanken kommen, wie sich dänische Fußball-Fans veräppelt vorkommen müssen: Ersatzleute, bis auf Jerome Boateng, werden heute in Kopenhagen (20.30 Uhr/ZDF) als deutsche Nationalelf auflaufen. Das ist fürs zahlende dänische Publikum so, als würden die Rodgau Monotones als Ersatz für die irische Band U2 rocken. "Wir nehmen das Spiel ernster, als es in der Öffentlichkeit dargestellt wird", versucht Löw das Testspiel bedeutungsvoll zu reden. Die Spieler, so sein Eindruck, hätten sich alle über die Nominierung gefreut. Klar, wenn einer wie Thomas Riether mit 27 Jahren plötzlich Nationalspieler wird. Der Wolfsburger werde spielen, so Löws Ankündigung, wie jeder - bis auf Manuel Neuer -, der mit nach Kopenhagen fliegt. Es sind ja nur noch 16, mit Neuer. Löw sprach "vom Beginn eines neuen Abschnitts für die nächsten 14, 15 Monate". Terminlich stimmt das. Doch für das Ziel Europameisterschaft 2012 dürfte die Partie vor Beginn der Bundesliga-Saison so aufschlussreich sein wie ein Mattenspringen für die Vier-Schanzen-Tournee. Teilzeitspieler und Bankhocker während der WM wie Toni Kroos, Mario Gomez, Marko Marin und Serdar Tasci bekommen ebenso ihr Zuckerle wie die für die WM ausgeladenen Andreas Beck und Thomas Hitzlsperger. Weil Tim Wiese keine Minute in Südafrika im Tor stand, wird er heute mit 90 Minuten entlohnt. 16 der 23 Spieler des WM-Kaders werden geschont. Hitzlsperger ist zum Kapitän bestimmt worden. Seine Rückkehr ist aus deutscher Sicht der einzig reizvolle Aspekt. Nach der Aussprache über die Nichtnominierung für die WM hatte Löw einen "zutiefst enttäuschten" Spieler zurückgelassen, der "lange daran zu knabbern hatte". Jetzt sagt er: "Hitzlsperger braucht für seine körperliche Fitness mehr Wettkampfspiele als andere." Die hatte er beim VfB Stuttgart und bei Lazio Rom nicht. Bei West Ham United weiß ihn Löw wieder "gut aufgehoben. Er hat außerdem viel Erfahrung und kann diese Mannschaft führen". Wenn die eigentliche Kapitänsfrage, Philipp Lahm oder Michael Ballack, nur ebenso einfach zu lösen wäre wie diesmal. Bis Anfang September, dem Beginn der EM-Qualifikation, muss sich Löw entscheiden. Er lässt sich nicht in die Karten gucken: "Ich werde jetzt nichts kommentieren, sondern mich erst dazu äußern, wenn ich mit den beiden Spielern gesprochen und mich entschieden habe." Die Bemerkung, er werde in aller Ruhe überlegen, in welche Richtung es konzeptionell gehe, lässt Spielraum für Interpretationen. Ein langfristiges Konzept mit dem demnächst 34 Jahre alten Ballack? Die Dänen müssen nach der Enttäuschung von Südafrika - Aus in der Gruppenphase - etwas gutmachen. Der echte WM-Dritte aus Deutschland wäre für die von Trainer Morten Olsen veränderte Mannschaft zur Wiedergutmachung recht gekommen. Aber so? Sagt doch selbst Löw: "Wir haben keine eingespielte, homogene Mannschaft. Sie soll zwar offensiv spielen. Ob sie es auch umsetzen kann? Da muss man Abstriche machen."

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