Der Ballett-Tänzer der Borussia

Marpingen. Der 74-Jährige streicht sich über den kaum sichtbaren Bauch. "Helma gefällt der nicht so", gesteht Erich Leist. Seine Frau ist nicht da. Sie ist auf einem Geburtstag, als der ehemalige Profi-Fußballer gesteht, dass "ich seit einem Jahr auch kein Tennis mehr spiele". Daher vielleicht der Bauchansatz. Er lächelt

Marpingen. Der 74-Jährige streicht sich über den kaum sichtbaren Bauch. "Helma gefällt der nicht so", gesteht Erich Leist. Seine Frau ist nicht da. Sie ist auf einem Geburtstag, als der ehemalige Profi-Fußballer gesteht, dass "ich seit einem Jahr auch kein Tennis mehr spiele". Daher vielleicht der Bauchansatz. Er lächelt. "In zwei Jahren feiern Helma und ich Goldene Hochzeit."

Beständig ist er, verlässlich, bescheiden. Im Privaten wie damals im Trikot von Borussia Neunkirchen. Von 1958 bis 1968 spielte er für die Borussen. Seine Statistik: 140 Oberliga-Einsätze, 15 Tore. In der Ersten Bundesliga kam er im Borussen-Trikot auf insgesamt 73 Spiele und drei Treffer (1964 bis 1966, 1967/1968), dazu noch Spiele in der Regionalliga. Über Jahre hinweg war er der Kapitän, in mehr als 400 Spielen der Fels in der Brandung. "Ich war Stopper oder Ausputzer, wie man sagte, und spielte nicht gegen den Mann. Dieter Schock hat als Manndecker vor mir abgeräumt", erzählt Leist. Heute würde man sagen: Er war der Libero. Damals gab es diese Position noch nicht.

Im Wohnzimmer seines schmucken Hauses in Marpingen liegt nicht viel auf dem Tisch. Ein paar Bilder von früher, die Saarbrücker Zeitung ("Lese ich jeden Tag"), eine Fernsehzeitung. "Dienstags schaue die Rosenheim Cops, mittwochs die Küstenwache", sagt er und lächelt. Sein Haus habe er sich durch den Fußball verdient, erklärt er. "Die Gehälter damals waren aber nicht mit den heutigen zu vergleichen." 3,50 Mark haben die Borussenspieler damals zum Beispiel nach einer Trainingseinheit bekommen. Für ein Essen im Clubheim. Damit sich Leist auch nach seiner Karriere Essen erlauben konnte, arbeitete er. Mit Ehrgeiz. "Kfz -Mechaniker war ich", erklärt er bescheiden. Seinen Meisterbrief erwähnt er nur auf Nachfrage. Dass er bei einem der größten Autohändler des Saarlandes Betriebsleiter war, wissen nur wenige. Dass er mit 60 Jahren in Rente gegangen ist, erzählt er mit leiser Stimme. Dass er gerne noch ein paar Jahre gearbeitet hätte, spürt man. Dass es sein Job war, der ihn damals von Hellas Marpingen nach Neunkirchen brachte, ist eine nette Anektode. Der damalige Borussen-Trainer Bernd Oles fuhr einen "VW-Käfer und hatte ein Problem mit einer Tür". Da kam er in der Neunkircher Werkstatt vorbei, in der Leist damals arbeitete. "So lernten wir uns kennen", erinnert sich Leist.

Dass der Marpinger kurz darauf zu den Borussen wechselte, sorgte im Dorf natürlich für Aufsehen. Und später für Stolz. Denn Leist war nicht der einzige Marpinger Fußballer, der den Sprung nach ganz oben schaffte. Ob es nun am Härtelwald mit seinen Marien-Erscheinungen liegt, sei mal dahingestellt - aber Marpingen gebar mehrere "Fußball-Götter" der 50er- und 60er-Jahre. Mit Ernst Zägel (1955 zum 1. FC Saarbrücken), Rudi Dörrenbächer (1957), Erich Leist (1958) und Erwin Glod (1959, alle zu Borussia Neunkirchen) wechselten vier Eigengewächse in die damals höchste deutsche Spielklasse. "Der Rudi Dörrenbächer war der beste Stürmer, mit dem ich jemals gespielt habe", erinnert sich der Vater dreier Kinder und erzählt die tragische Geschichte des Wunderstürmers: Zwischen 1958 und 1963 waren die Schwarz-Weißen mit Dörrenbächer vier Mal Oberliga-Vize und einmal Meister geworden. 1961/62 wurde die Borussia südwestdeutscher Meister und Dörrenbächer schoss in dieser Saison 37 Tore - in 30 Spielen. Mehr als Uwe Seeler in der Oberliga Nord. "1963 verletzte sich der Rudi schwer", erzählt Leist. "In Frankenthal stieg er im Strafraum hoch, köpfte ein Tor, doch die Faust des Torhüters traf ihn an der Schläfe". Dörrenbächer knallte mit dem Kopf auf den Boden und brach sich den Schädel. "Danach hat er nie wieder Fußball gespielt", sagt Leist.

Aktiv gespielt hat Leist für die Hellas bis er 40 Jahre alt war. Danach noch in der AH. 1974 gründete er mit ein paar Freunden den Tennisverein TC Grün-Weiß Marpingen, ehe er vergangenes Jahr den Schläger an den Nagel hing. "Es war eine schöne Zeit damals bei der Borussia", sagt er und weiß, dass auch die Fans sie nicht vergessen werden. "Ich bekomme noch jedes Jahr 15 bis 20 Autogrammwünsche per Post", sagt er und erklärt, dass er sich noch heute "über jeden Sieg der Borussen freut." Mehr als Helma über seinen kleinen Bauchansatz. > wird fortgesetzt

"Es war eine schöne Zeit damals bei der Borussia. Mich freut jeder Sieg der Borussen."

Erich Leist

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