Der Ärger ist verflogen

Siekierki. Was fühlen die Menschen in Kiew und Warschau, in Danzig und Donezk? Was geht ihnen durch den Kopf, wenn sie die Auftritte der anderen Nationen bei der Fußball-EM sehen? Erstaunlicher Befund: Die polnische und die ukrainische Seele nach dem Vorrunden-Aus ihrer Teams sind verletzt - doch die Menschen lassen sich in ihrer EM-Euphorie nicht bremsen

Siekierki. Was fühlen die Menschen in Kiew und Warschau, in Danzig und Donezk? Was geht ihnen durch den Kopf, wenn sie die Auftritte der anderen Nationen bei der Fußball-EM sehen? Erstaunlicher Befund: Die polnische und die ukrainische Seele nach dem Vorrunden-Aus ihrer Teams sind verletzt - doch die Menschen lassen sich in ihrer EM-Euphorie nicht bremsen.In Sopot sind die Kneipen nach wie vor voll, jedes Tor wird bejubelt. Am Bahnhof in Danzig steht einer, der die Wartenden in der Schlange mit einer Eloge auf den deutschen Fußball unterhält. "So werden die Europameister - und wir auch. Schließlich haben wir den Miro und den Lukas ausgeliehen." Auf dem Marktplatz von Posen skandiert eine polnische Musikergruppe in Klose- und Podolski-T-Shirts Jubelgesänge für das deutsche Team. Und in Siekierki, im Nordwesten, sitzt ein junger Museumswärter in der Sonne, guckt seinen Kindern beim Kicken zu und hat nach erster Enttäuschung seinen Fußball-Frieden gefunden.

Der Abend, an dem Polen bei der Europameisterschaft ausschied, war verregnet in Siekierki. Die Menschen hatten alles für eine große Party vorbereitet. Der Grill war bereit, der Fernseher auf die Terrasse geschoben, Bier, Limo und Wodka waren gekühlt, die Steaks mariniert - in der Samstagszeitung stand, wie man die Tschechen in Breslau besiegen würde. Dann kam es ganz anders. Die Menschen in Siekierki und im Rest der Republik mussten das Grillen in die Küche verlegen, versammelten sich in den Wohnzimmern vor den Fernsehgeräten. Und während draußen ein warmer Sommerregen übers Land ging, mussten Polens Fußballfreunde erleben, wie sich die besten Kicker des Landes in ihrer Nervosität mehr und mehr im Weg waren.

Fast eine Woche ist seither vergangen, in den Gemeinden am Oderbruch ist der Alltag eingekehrt. Anton hockt auf der Treppe vor dem Militärmuseum von Siekierki und wartet auf Gäste. Anna und Anton junior haben sich einen Ball besorgt und messen sich im Elfmeterschießen. Der Panzer vor dem Museum ist das Tor, Anna hält den Kasten zum Ärger von Anton junior mit großem Geschick sauber. Anton senior sieht den Kindern lächelnd zu. "Ja, sie waren traurig, dass unsere Mannschaft nicht das Viertelfinale erreicht hat. Aber es sind fröhliche Kinder. Wir haben gesagt, dass wir jetzt die Europameisterschaft auch ohne Polen genießen werden. Es ist schließlich ein großes Fest - das haben wir nicht alle Tage."

Jetzt deutsche Fans

Anton hat bis vor drei Jahren selbst Fußball gespielt - im Mittelfeld. Das letzte Vorrundenspiel der Polen bei der EM erlebte er mit früheren Mannschaftskameraden: "Wir waren sehr sicher, dass unsere Männer es schaffen. Die Niederlage ist ein Schock gewesen. Aber so ist nun mal Fußball." Er lächelt: "Es hat Zeiten gegeben, da hätte sich keiner getraut, mit einem Ball auf einen Panzer zu schießen." Und es hat wohl auch Zeiten gegeben, da hätte man sich einen Satz nicht vorstellen können, den Anton an diesem heißen Juni-Tag auch noch sagt: "Meine Kameraden und ich lieben den Sport. Jetzt, wo Polen