Das schwerste Spiel seiner Karriere
Homburg-Erbach. Es gibt eine Anekdote von Herbert von Karajan: Der berühmte Dirigent kommt mit dem Flugzeug in Berlin an und steigt in ein Taxi. Der Fahrer fragt: "Wohin, Maestro?" Antwort Karajan: "Egal, ich werde überall gebraucht."Christian Schwarzer würde so was niemals über sich sagen
Homburg-Erbach. Es gibt eine Anekdote von Herbert von Karajan: Der berühmte Dirigent kommt mit dem Flugzeug in Berlin an und steigt in ein Taxi. Der Fahrer fragt: "Wohin, Maestro?" Antwort Karajan: "Egal, ich werde überall gebraucht."
Christian Schwarzer würde so was niemals über sich sagen. Doch bezogen auf den deutschen Handball hätte der Spruch bei "Blacky" seine Berechtigung. Der Kreisläufer beendet an diesem Sonntag nach 20 Jahren seine Karriere.
Er war an vielen Sternstunden des Deutschen Handball Bundes (DHB) maßgeblich beteiligt: Olympia-Zweiter und Europameister 2004, Weltmeister 2007. Ab 1. Juli wird der 39-Jährige DHB-Jugendkoordinator. "Wir haben Blacky bewusst ausgewählt, weil er ein Vorbild ist", sagt DHB-Vize-Präsident Horst Bredemeier: "Und wir trauen ihm zu, dass er mal eine bedeutsamer Trainer oder Manager wird." Schwarzers Vertrag läuft bis 2012. Wie der von Bundestrainer Heiner Brand. Und dann? "Ich habe ihn mir als Jugendkoordinator gewünscht", so Brand vielsagend: "Und die Frage meiner Nachfolge stellt sich in absehbarer Zeit . . . "
Schwarzer als Bundestrainer? Blacky winkt ab: "Erst mal Lizenzen machen und Erfahrung sammeln." Während er das sagt, sitzt er an diesem Freitag wie so oft seit Juli 2007 in seiner Mercedes-A-Klasse und fährt von seinem Wohnort Niederwürzbach nach Mannheim zum Training der Rhein-Neckar Löwen.
"Zum letzten Mal", sagt Schwarzer und bekennt, dass sich das seltsam anfüllt. An diesem Samstag läuft er letztmals in einem Bundesliga-Spiel auf. Die Löwen spielen beim SC Magdeburg. "Doch das schwerste Spiel meiner Karriere steht erst danach an!", sagt er. Sonntag, 16 Uhr, Sportzentrum Erbach: Das "Who is who" aus zwei Jahrzehnten Spitzen-Handball kommt, um Servus zu sagen. Lavrov, Olsson, Svensson, Sigurdsson, Baur, Stephan, Kretzschmar, Thiel und so weiter. "Ab 13.30 Uhr ist die Gastronomie vor der Halle fürs Publikum geöffnet, ab kurz vor drei sind die Jungs da", sagt Blacky, der nicht verhehlt, dass er am Ende wohl mit den Tränen kämpfen wird. Obwohl er meistens "die Gefühle im Griff" hat, gesteht er: "Eigentlich bin ich ein emotionaler Typ." Dabei sind für die Ausbrüche eher andere bekannt.
Zum Beispiel Stefan Kretzschmar (Foto: dpa). Der "Handball-Punk" ist heute Sportdirektor in Magdeburg. Er hat im Hallenheft geschrieben, sich in Punkto Gelassenheit etwas von "meinem Freund abschauen" zu wollen. In der Nationalmannschaft haben beide jahrelang das Zimmer geteilt. Der Ruhige und das Biest? Schwarzer sagt: "Es gibt den 'Kretzsche', den alle aus dem TV kennen, und den, der mit mir vier Wände geteilt hat, der sich zurückziehen muss, weil er unter Strom steht, oder Frust abbaut, weil er als Profi immer gewinnen will, auch im Training." Wie viel Schwarzer damit über sich selbst verrät, drückt Brand so aus: "Christian gibt's nur zu 100 Prozent. Selbst wenn wir im Test gegen eine Oberliga-Truppe gespielt haben, ist er bei jedem Abpraller in den Kreis gehechtet, um den Ball noch ins Tor zu schlagen." Schwarzer, der Mann am Kreis. Wo gezogen wird und geschubst. Wo es wehtut. Wo er seine auf 1,98 Meter verteilten 100 Kilo immer wieder zum Sprungwurf in die Luft wuchtete, um auf Knie und Ellbogen zu landen. Schwarzer trug deshalb immer Gelenkschoner an Beinen und Armen. An "amüsante Rituale" erinnert sich Volker Zerbe (Foto: dpa), heute Geschäftsführer beim TBV Lemgo. Dort und in der Nationalmannschaft hat er mit Blacky zusammengespielt: "Er zog immer zuerst alles links an."
Am Sonntag wird Schwarzer noch einmal seine Knie- und Ellbogenschützer überstreifen. Und das Trikot mit Nummer acht. Noch einmal 60 Minuten am Kreis "rudern". Dann wird gefeiert. Auch das kann er, verrät Markus Baur (Foto: dpa) "Schorsch", wie der Lemgoer Trainer genannt wird, hat mit Blacky beim TV Niederwürzbach, in Lemgo und in der Nationalmannschaft gespielt. Gefragt nach dem schönsten Erlebnis mit ihm sagt er: "Abgesehen von den Titeln waren das die Abschlussfahrten nach Mallorca und Besuche im 'Bierkönig' und im 'Oberbayern'. . . "
Schwarzer im Touristenlokal? "Ja", sagt Blacky, "das stimmt. Der Schorsch und ich haben . . . " Er hält inne, stoppt den Wagen. Sein letztes Training beginnt gleich. Schwarzer lächelt. Und schweigt. Auch wenn einer wie er vielleicht im Handball überall gebraucht wird: Die Öffentlichkeit braucht nicht alles zu wissen. An diesem Sonntag darf sie aber noch einmal mit ihm gemeinsam in Erinnerungen schwelgen.
Das Abschiedsspiel an diesem Sonntag (16 Uhr/SR-Fernsehen) ist ausverkauft.