„Das hätte mein Vater so gewollt“

Paris · Zehn Jahre nach dem Wintermärchen und zwölf Monate nach dem überraschenden EM-Triumph wollen die deutschen Handballer bei der WM in Frankreich wieder für Furore sorgen. Uwe Gensheimer kann spielen.

 Der Kapitän ist wieder an Bord: Uwe Gensheimer steht für das heutige WM-Auftaktspiel der deutschen Handballer gegen Ungarn zur Verfügung. Foto: murat/dpa

Der Kapitän ist wieder an Bord: Uwe Gensheimer steht für das heutige WM-Auftaktspiel der deutschen Handballer gegen Ungarn zur Verfügung. Foto: murat/dpa

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Der Kapitän kommt, das WM-Abenteuer der deutschen Handballer kann beginnen: Uwe Gensheimer reiste gestern mit Team-Manager Oliver Roggisch an seiner Seite nach Rouen und gab für seinen Einsatz im Auftaktduell gegen Ungarn am heutigen Freitag (17.45 Uhr/handball.dkb.de) grünes Licht. "Das hätte mein Vater so gewollt", sagte Gensheimer: "Ich bitte um Verständnis, dass ich mich hierzu während der WM nicht weiter äußern werde." Er hatte nach dem Tod seines Vaters die Generalprobe gegen Österreich (33:16) verpasst und war auch am Mittwoch nicht mit dem Team nach Frankreich gereist. Zur Beerdigung wird der 30-Jährige in der kommenden Woche noch einmal nach Deutschland fahren.

Eine solch schwierige persönliche Situation hatte auch Ex-Weltmeister Holger Glandorf vor der EM 2008 erlebt, als sein Vater wenige Tage vor dem Turnierbeginn starb und sich der Flensburger dennoch für die Reise nach Norwegen entschied. In Frankreich wird der mittlerweile 33 Jahre alte Rückraumspieler zunächst nicht dabei sein. Doch er könnte Deutschland im Laufe des Turniers verstärken. Bundestrainer Dagur Sigurdsson kündigte an, bei der technischen Besprechung am Donnerstagabend zunächst nur 15 statt möglicher 16 Spieler zu melden. Während des Turniers sind damit nicht nur zwei Wechsel mit Profis aus dem 28-Mann-Kader möglich, sondern über das sogenannte "Late Entry" gibt es eine weitere personelle Option. Es gilt als wahrscheinlich, dass Glandorf die Mannschaft im Verlauf des Turniers ergänzen könnte.

Der Großteil des DHB-Tross hatte Rouen am Mittwochabend erreicht. Mit kleinen Augen und Hunger im Bauch schlurften die "Bad Boys" durch die Lobby ihres Teamhotels. Zehn Stunden Busreise hatten Spuren hinterlassen. "Wir sind leider drei, vier Stunden länger gefahren als geplant", sagte Co-Trainer Axel Kromer nach der Ankunft.

Die Strapazen konnten der guten Stimmung und der Vorfreude im Team auf den Turnierstart allerdings nichts anhaben. Schon im ersten WM-Duell will der Europameister ein Ausrufezeichen setzen - auch, wenn er sich gar nicht unbedingt in der Favoritenrolle wähnt. "Das Auftaktmatch gegen Ungarn wird eines unserer schwersten WM-Spiele überhaupt. Ich sehe unsere Chancen nur bei 40 zu 60", sagte Sigurdsson zurückhaltend: "Die sind unheimlich gut drauf."

Mit Gensheimer stehen die Chancen besser. Wie sehr er in der Nationalmannschaft verankert ist, wurde bei der erfolgreichen EM 2016 deutlich. Obwohl er wegen einer Verletzung für das Turnier ausgefallen war, reiste er zur DHB-Auswahl nach Polen. Gensheimer unterstützte die junge Mannschaft, feuerte auf der Tribüne an, gab Tipps - und feierte anschließend gemeinsam mit dem Team den sensationellen Titelgewinn. Gegen Ungarn wird er wohl direkt auflaufen. "Es ist wichtig, dass wir ihn gut empfangen und er sich wohlfühlt", sagte Sigurdsson, "wir werden ihn sofort brauchen." Umso mehr, weil der Einsatz von Rune Dahmke fraglich ist. Der Linksaußen vom THW Kiel liegt mit einer Grippe flach.

Das Selbstbewusstsein ist jedenfalls da. "Wir wollen Weltmeister werden", sagte Torhüter Andreas Wolff zuletzt bei beinahe jeder Gelegenheit. Die offensive Zielsetzung dbefürwortet der ehrgeizige Vizepräsident Bob Hanning. "Wenn man von innen heraus sagt, man kann um den Titel mitspielen, dann soll man das ruhig tun." Er betonte, dass er der Mannschaft und Sigurdsson vertraue. Er glaube, dass man jede Mannschaft schlagen könne. "Wenn du einmal so einen Erfolg hattest, dann weißt du, wie er schmeckt", sagte Hanning: "Dann hast du die Süße im Mund, die du brauchst." Nächster Akt im schier endlosen TV-Poker: ARD und ZDF sind im letzten Moment auf den WM-Zug der Handballer aufgesprungen. "Das Erste , das ZDF sowie die Dritten werden im Fernsehen und auf ihren Plattformen von allen besonders interessanten Spielen der WM nachrichtlich und ausführlich in Highlights berichten", hieß es gestern in Pressemitteilungen beider Sender. Live-Bilder wird es aber definitiv nicht geben, auch wenn die deutsche Mannschaft das Finale erreicht. "Eine Live-Möglichkeit schließe ich für das Turnier komplett aus", sagte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz.

Einen ähnlichen Fall hatte es 2013 beim Tennisturnier in Wimbledon gegeben. Nach dem Finaleinzug von Sabine Lisicki (Berlin) wurde in der Deutschland der Ruf nach Livebildern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen laut. Doch am Ende war Lisickis Niederlage gegen die Französin Marion Bartoli nur im Bezahlsender Sky zu sehen.

Für die WM 2017 hatten deutsche Sender keine Einigung mit BeIN Sports erzielen. Die Tochter des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera hält die weltweiten Fernsehrechte an der WM. Wie schon 2015 erlaubt beIN Sports auch dieses Jahr keine Übertragung auf unverschlüsselten Satelliten-Sendern. Deswegen kommen für die öffentlich-rechtlichen Sender Livebilder nicht in Frage. Diese sind nun lediglich im Internet-Livestream des Bundesliga-Sponsors DKB zu sehen.

Zuvor hatte sich bereits die ProSieben Sat.1 Media Group Highlight-Rechte gesichert. Die Höhepunkte der deutschen Spiele werden ab 30 Minuten nach Abpfiff in einer Länge von fünf Minuten auf ran.de und bild.de zu sehen sein. Sportdeutschland.TV zeigt Höhepunkte von allen Spielen der Handball-WM. In den Nachrichtenformaten der ProSieben Sat.1 Group werden Beiträge von bis zu zwei Minuten zu sehen sein. Möglich macht das eine Kooperation von 7Sports und Axel Springer. Auch Sky Sport News HD kündigte an, Ausschnitte anzubieten.

DHB-Vizepräsident Bob Hanning zeigte sich weiter enttäuscht, dass die WM nicht live im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen ist. "Das ist kein gutes Signal für unsere Sportart", meinte Hanning: "Wir müssen da über die Politik eine andere Lösung finden." Für Frank Steffel, Obmann der CDU-/CSU-Fraktion im Sportausschuss des Bundestages, müssen sich ARD und ZDF wegen der fehlenden Livebilder gar auf schmerzhafte Konsequenzen einstellen. "Die Sehgewohnheiten ändern sich", sagte der Präsident des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin und fügte an: "Viele Menschen werden sich jetzt das erste Mal damit beschäftigen, wie man das Internet-Signal auf den Wohnzimmer-Fernseher bekommt." Sollte dies einmal eingerichtet sein, könnte sich das "für ARD und ZDF nachteilig auswirken", sagte Steffel. Titelverteidiger Frankreich hat seine Favoritenstellung gleich zum Auftakt in die Handball-WM im eigenen Land eindrucksvoll untermauert. Der Gastgeber setzte sich im Eröffnungsspiel am späten Mittwochabend deutlich mit 31:16 (17:7) gegen überforderte Brasilianer durch. Mit sechs Treffern war Rechtsaußen Valentin Porte in der ausverkauften Pariser Halle bester Torschütze der Franzosen. Die Superstars Nikola Karabatic und Daniel Narcisse erzielten je drei Treffer. "Wir wollen diesen Titel gewinnen. Das war der erste Schritt", sagte Karabatic.

Schon zur Halbzeit hatten sich die Franzosen mit zehn Toren abgesetzt. Mit dem hohen Niveau des Gastgebers konnte nur Jose Toledo mithalten, der mit fünf Treffern bester Schütze der Südamerikaner war.

Zum Thema:

Am Rande Wunschkandidat Christian Prokop soll einem Medienbericht zufolge direkt nach der WM in Frankreich die Nachfolge des scheidenden Dagur Sigurdsson als Handball-Bundestrainer antreten. Prokops Verein, der Bundesligist DHfK Leipzig, dementierte dies gestern. "Wir sind alle sehr überrascht gewesen, als wir das gelesen haben. Das können wir so nicht bestätigen", sagte Geschäftsführer Karsten Günther. Laut "Bild" soll sich der Deutsche Handball-Bund (DHB) angeblich mit Leipzig auf eine Ablöse von 500 000 Euro geeinigt haben. Prokop würde zunächst in Doppelfunktion bis zum Sommer bei dem Bundesligisten und dem Verband arbeiten. "Wir tun jetzt wirklich gut daran, uns auf die WM zu konzentrieren", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning gestern: "Hier gehört das im Moment überhaupt nicht hin." sid

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